> Gedichte und Zitate für alle: Wilhelm Bode- Goethes Ästhetik- Die neun Musen. (Seite 2)

2019-11-26

Wilhelm Bode- Goethes Ästhetik- Die neun Musen. (Seite 2)



Wo zur Teilnahme der Freunde noch der Beifall einer gröfseren Menge hinzutritt, brennt auch das Feuer der Dichtkunst heller. Es ist schwer, vor wenigen stumpfen Zuhörern ein guter Redner zu sein; ist aber der Saal gefüllt und spüren wir, dafs das Publikum Wohlwollen für uns hat, empfinden wir den Beifall schon voraus, den unsere Sätze entzünden werden, so sprechen wir mit einer hinreifsenden Kraft, so dafs wir uns selbst darüber verwundern. Wer einmal Erfolg gehabt hat, geht mit Freudigkeit und Kühnheit auf neue Aufgaben los; sein Glauben an sich und an den Erfolg helfen ihn über alles Verzagen hinweg.

„Was belohnet den Meister? Der zart antwortende Nachklang
Und der reine Reflex aus der begegnenden Brust."

Goethe hatte das Glück, mit zwei grofsen Erfolgen seine Laufbahn zu beginnen, und diese leicht gewonnene allgemeine Anerkennung, dafs er ein Dichter ersten Ranges sei, hat ihn auf Lebenszeit im Dichterberufe bestärkt. Bei seiner vielseitigen Begabung, bei seinen mannigfachen Neigungen hätte er sich ja auch gelehrten Studien oder praktischen Geschäften vor allem Andern widmen können. Als seine späteren poetischen Werke manche Erwartungen enttäuschten, verlor er zwar den Glauben an sein Können nicht, aber die Zahl seiner Dichtungen wäre doch eine viel gröfsere geworden, wenn er die rechten Leser und Hörer nicht erst hätte von der Zukunft erwarten müssen. Resigniert sagte er im Alter :

,,Ich hatte wirklich einmal den Wahn, als sei es möglich, ein deutsches Theater zu bilden. Ja, ich hatte den Wahn, als könne ich selber dazu beitragen und als könne ich zu einem solchen Bau einige Grundsteine legen. Ich schrieb meine ,Iphigenie' und meinen ,Tasso' und dachte in kindischer Hoffnung, so würde es gehen. Allein es regte sich nicht und rührte sich nicht und blieb alles wie zuvor. Hätte ich Wirkung gemacht und Beifall gefunden, so würde ich euch ein ganzes Dutzend Stücke wie die ,Iphigenie' und den Tasso geschrieben haben. An Stoff war kein Mangel. Allein, wie gesagt, es fehlten die Schauspieler, um dergleichen mit Geist und Leben darzustellen, und es fehlte das Publikum, dergleichen mit Empfindung zu hören und aufzunehmen."

Sein Gedicht , Hermann und Dorothea' wurde so- gleich mit herzlichem Beifall aufgenommen, und namentlich empfand der Dichter grofse Freude, dafs Wilhelm v. Humboldt eine besondere Schrift über dieses Gedicht herausgab: ,,Es ist kein geringer Vorteil für mich, dafs ich wenigstens auf der letzten Strecke meiner poetischen Laufbahn mit der Kritik in Einstimmung gerate." Bald aber heifst es wieder resigniert: ,,Wer nicht wie jener unvernünftige Säemann im Evangelio den Samen umherwerfen mag, ohne zu fragen, was davon und wo es aufgeht, der mufs sich mit dem Publiko gar nicht abgeben."

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Kehren wir zur Muse Einsamkeit zurück, so tritt sie uns namentlich auch auf Reisen entgegen, die wir allein unternehmen. Wir brauchen da gar nicht die stillsten Wälder und erhabensten Bergspitzen aufzusuchen; auch im Gewirre der Menschen sind wir einsam, denn selbst die Mitreisenden im gleichen Wagen sind ja nur Bilder, auf denen nur kurze Zeit unser Auge ruht. Aber auch von der Einsamkeit abgesehen, bietet die Reise Kräfte, die die Phantasie entfesseln: da ist namentlich die Be- wegung, gleichviel ob wir gehen oder fahren oder reiten; da ist der ewige Wechsel der Bilder und Ein- drücke, von denen uns hundert vielleicht nicht berühren, aber dann auf einmal dringt etwas ins Innerste. Da ist die Luftveränderung und Luftvermehrung und mit ihnen ein Gefühl, als ob wir stärker und gesünder, freier um die Brust herum würden; da ist namentlich auch das Bewufstsein, dafs wir eine ernstliche Arbeit, unsere Berufsarbeit, nicht thun können, nicht zu thun brauchen. Ein byzantinisches Sprichwort heifst: ,,Du schläfst und dein Schiff fährt"; wir dürfen träumen und dichten, unterdessen geschieht unsere jetzige Arbeit, das Reisen, von selbst.

Goethe wufste aus reicher Erfahrung, wie gut sich's auf Reisen dichten läfst. Zum Beispiel schrieb er auf einer Fahrt nach Frankfurt zwischen Weimar und Eisenach sechs Lieder des ,Divan' auf und an einem Tage in Frankfurt wieder sechs. Und vier Jahre später berichtet er: ,,Die freie Gemütlichkeit einer Reise erlaubte mir, dem ,Divan' wieder nahezutreten."

Die berühmte Elegie, in der der Greis seine Liebe zu Uhike von Levetzow ausströmte, ist ebenso ent- standen. ,,Ich schrieb das Gedicht, unmittelbar als ich von Marienbad abreiste und ich mich noch im vollen frischen Gefühle des Erlebten befand. Morgens acht Uhr auf der ersten Station schrieb ich die erste Strophe, und so dichtete ich im Wagen fort und schrieb von Station zu Station das im Gedächtnis Gefafste nieder, so dafs es abends fertig auf dem Papiere stand. Es hat daher eine gewisse Unmittelbarkeit und ist wie aus einem Gusse, welches dem Ganzen zu gute kommen mag."

Als er in viel jüngeren Jahren auf dem Brenner seine ,Iphigenie' herausholte, damit sie ihm Begleiterin ins wärmere Land werde, erfüllt sich seine Hoffnung sogleich: „Der Tag ist so lang, das Nachdenken ungestört, und die herrlichen Bilder der Umwelt verdrängen keineswegs den poetischen Sinn, sie rufen ihn vielmehr, von Bewegung und freier Luft begleitet, nur desto schneller hervor."

Aufderselben italienischen Reise erfuhr er, dafs auch die

aller widrigsten Reisezustände die poetische Arbeit nicht hindern müssen. Er fuhr vom 30. März bis 2. April 1787 von Neapel nach Palermo ; das herrliche Seebild konnte er am ersten Tage nicht lange geniefsen, denn die Seekrankheit überfiel ihn bald. Er ging in seine Kajüte, blieb in horizontaler Lage, enthielt sich, abgesehen von weifsem Brot und rotem Wein, aller Speisen und Getränke und fühlte sich bald ganz behaglich. Abgeschlossen von der äufseren Welt, liefs er die innere walten, und da eine langsame Fahrt vorauszusehen war, nahm er die zwei ersten Akte des ,Tasso' vor, um sie aus einer früheren Form in eine kunstvollere, poetischere, umzuschmelzen. Am nächsten Tage waren fast Alle auf dem Schiffe krank; er blieb in seiner wagerechten Lage, und das ganze Stück ward um und um, durch und durch gedacht. Die Stunden gingen vorüber, und wenn nicht sein Begleiter zuweilen Brot und Wein gebracht hätte, so hätte Goethe über dem Dichten gar nicht die Tageszeit bemerkt. Am ersten April wütete morgens um drei Uhr ein heftiger Sturm. Goethe setzte im Schlaf und Halbschlaf seine dramatischen Pläne fort, indessen auf dem Verdeck grofse Bewegung war. Den ganzen Tag liefs er seinen dichterischen Vorsatz nicht aus dem Sinn und wurde des Stückes so ziemlich Herr. Am vierten Tage endlich notiert er mit Vergnügen : „Der Plan meines Dramas war diese Tage im Walfischbauch ziemlich gediehen."

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Goethe empfand übrigens jede Bewegung, selbst das Auf- und Abgehen im Zimmer, als förderlich für die geistige Arbeit; deshalb schrieb er nicht selber, sondern machte sich lieber von einem Schreiber abhängig, der seinem Diktate folgte. Schon in seinem Tagebuche von 1780 lesen wir: „Was ich Gutes finde in Überlegungen, Gedanken, ja sogar Ausdruck, kommt mir meist im Gehen. Sitzend bin ich zu nichts aufgelegt, darum das Diktieren weiter zu treiben." Selbst lange o Erzählungen entstanden nicht in der Nähe des Schreibtisches; er arbeitete sie bis ins Kleinste im Kopfe aus, ehe sie aufgeschrieben wurden. So konnte er dem Hofrat Meyer auf einer Fahrt von Jena nach Weimar die erste Hälfte der , Wahlverwandtschaften' so geläufig erzählen, wie wenn er sie von einem Buche abläse, und doch war an jenem ersten Mai 1808 noch keine Zeile des Romans aufgeschrieben. — Auch den ,Götz' bewegte er lange Zeit im Kopfe herum, und er wäre vielleicht nie geschrieben und gedruckt, wenn nicht seine Schwester ihn schliefslich ungeduldig ermahnt hätte, sich nicht immer mit Worten in die Luft zu ergehen, sondern endlich einmal das, was ihm so gegenwärtig wäre, auf das Papier festzubringen.

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Dafs Goethe auch die freie Natur zu den neun Musen rechnete, braucht kaum gesagt zu werden; sein Herumstreifen in Feld und Wald war nie ohne Belohnung. Schon als blutjunger Mensch erzählt er von seinen Studentenjahren in Leipzig, wie er an Bächen und Wäldern entlang zog:

„Dann jagt' ich rings umher und fing 
Bald einen Reim, bald einen Schmetterling."

,,Am Tage sang ich diese Lieder, 
Am Abend ging ich wieder heim, 
Nahm meine Feder, schrieb sie nieder, 
Den guten, wie den schlechten Reim."

Die poetisch angehauchten Jünglinge jener Zeit beriefen sich gern auf ein Wort von Ewald v. Kleist, der gegen die Freunde, die ihn wegen seiner öfteren einsamen Spaziergänge neckten, ebenso scherzhaft als wahrhaft äufserte, er sei dabei nicht müfsig, er gehe .auf die Bilderjagd. ,, Einem Edelmanne und Soldaten ziemte dieses Gleichnis wohl, der sich dadurch Männern .seines Standes gegenüberstellt, die mit der Flinte im Arm auf die Hasen- und Hühnerjagd, so oft sich nur Gelegenheit zeigte, auszugehen nicht versäumten." Das Vorbild Kleists vermehrte auch unseres jungen Studenten Neigung zur Bilderjagd in der Natur, „obgleich Apels Garten, die Kuchengärten, das Rosenthal, Gohlis, Raschwitz und Connewitz das wunderlichste Revier sein mochten, um poetisches Wildbret darin aufzusuchen! Schönes und Erhabenes war da nicht viel zu finden, desto deutlicher sah unser Jüngling das Kleinleben der Natur, und weil die zierlichen Begebenheiten, die man in diesem Kreise gewahr wird, an und für sich wenig vorstellen, so gewöhnte er sich, in ihnen eine Bedeutung .zu sehen, die sich bald gegen die symbolische, bald gegen die allegorische Seite hinneigte, je nachdem Anschauung, Gefühl oder Reflexion das Übergewicht behielt."

Aus Goethes jungen Jahren stammt auch noch Künstlers Abendlied',  in dem der Künstler aufseufzt:

Ach, dafs die innere Schöpfungskraft 
Durch meinen Sinn erschölle!"

 und sich dann, fast betend, an die Natur wendet:

,,Wie sehn' ich mich, Natur, nach dir, 
Dich treu und lieb zu fühlen! 
Ein lust'ger Springbrunn, wirst du mir 
Aus tausend Röhren spielen. 
Wirst alle meine Kräfte mir In meinem 
Sinn erheitern Und dieses enge Dasein hier 
Zur Ewigkeit erweitern."

Dafs ihn dieser Glaube nicht täuschte, bezeugt manches Wort aus des Dichters alten Tagen, vor allem die grofse Lehre: „Die frische Luft des freien Feldes ist der eigentlichste Ort, wo wir hingehören; es ist, als ob der Geist Gottes dort den Menschen unmittelbar anwehte und eine göttliche Kraft ihren Einflufs ausübte." „Geniefsen Sie der freien Luft, die Ihnen doch früh oder spät gute Stimmung gewähren wird" hat er auch dem Stubenhocker Schiller zuweilen zugerufen.

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Die Zustände der Natur, die Jahreszeiten, das Wetter berühren den empfindlichen Dichter viel mehr als den Handwerker oder auch den forschenden Gelehrten. Im Winter wird der graue Himmel, die frühe Dunkelheit,, die tiefhängende Wolkenmasse ihn bedrücken, im Sommer schmerzt ihn die elektrische Spannung in der

Atmosphäre, die sich nur selten bald genug in einem Gewitter entladet. Goethe empfand die Naturzustände ganz nach nervöser Art; manchmal überwand er sie durch energische Anstrengung des Willens, oft genug aber fand er auch, dafs man solche Tage irgendwie unthätig hinbringen, verschlafen oder vertändeln sollte. Schiller schrieb ihm einmal: ,,Wie sind wir doch mit aller unserer geprahlten Selbständigkeit an die Kräfte der Natur angebunden, und was ist unser Wille, wenn die Natur versagt ! Worüber ich schon fünf Wochen fruchtlos brütete, das hat ein milder Sonnenblick binnen drei Tagen in mir gelöst; freilich mag meine bisherige Beharrlichkeit diese Entwickelung vorbereitet haben, aber die Entwickelung selbst brachte mir doch die erwärmende Sonne mit." Goethe antwortete: „Wir können nichts thun, als den Holzstofs erbauen und recht trocknen; er fängt alsdann Feuer zur rechten Zeit, und wir verwundern uns selbst darüber." Und ein andermal, als seine eigene poetische Thätigkeit lange stockte, wählte er das drollige Bild: ,,Ich mufs mich nur als eine Zwiebel ansehen, die in der Erde unter dem Schnee liegt, und auf Blätter und Blüten in den nächsten Wochen hoffen."

Einige Freiheit gegenüber der Natur gewinnen wir durch eine hygienische Lebensweise sicherer als durch Willenswiderstand. Goethe hielt viel auf Diät und empfahl sie andern Dichtern, die es brauchen konnten, angelegentlich. „Ich will alle meine diätetischen Künste zusammennehmen, um diesmal etwas zu liefern," schreibt

er einmal an Schiller. Dieser Freund betrübte ihn immer wieder dadurch, dafs er die Nacht zum Tage machte. Goethe ging früh zu Bett und stand sehr früh auf Wenn er im dunkeln Winter des Morgens nicht so früh heraus wollte, so begann er schon im Bette, seinem Schreiber zu diktieren.

Ein scherzhaftes Gedicht ,Die Musageten' ist wohl namentlich auf Schiller, den ,,Lucifugen" gemünzt, der es in seinem Musen-Almanach abdruckte. ,,Und nach jedem späten Morgen folgten ungenutzte Tage," heifst es darin, und schliefslich werden die — Fliegen als Musenführer gepriesen, weil sie den Dichter beim ersten Morgenschimmer im Schlafe stören und unbarmherzig ihn immer wieder plagen, bis er ganz munter wird. „Rüstig spring' ich von dem Lager, Suche die geliebten Musen, Finde sie im Buchenhaine, Mich gefällig zu empfangen, Und den bissigen Insekten Dank' ich manche goldne Stunde!" Auch die Diät im Essen und Trinken gehört hierher. Nach seines Arztes Urteil war Goethe allerdings bei seiner Hauptmahlzeit nicht zurückhaltend genug, aber im übrigen hatte er wohl ein Recht, das Wort zu zitieren : ,,Mäfsigkeit und klarer Himmel sind Apollo und die Musen".  Es klingt wie Selbslob, wenn er 1798 zu Jean Paul sagte, er könne sechs Monate seine Arbeit voraussagen, weil er sich durch eine gescheite leibliche Diät vorbereite; aber wer Goethes Art kennt, versteht solche Worte als eine verhüllte Mahnung: ,, Lieber Jean Paul Richter, ruinieren Sie Ihr Talent nicht durch eine unvernünftige Lebensweise!" Jean Paul sündigte auch im Kaffeetrinken; Schillers Irrtum dagegen war, dafs er zum Alkohol Zuflucht nahm. Goethe klagte darüber mal in späteren Jahren, als er Eckermann von dem toten Freunde erzählte :

,,Der Grofsherzog bestimmte Schillern bei seiner Hierherkunft einen Gehalt von jährlich tausend Thalern und erbot sich, ihm das Doppelte zu geben, im Fall er durch Krankheit verhindert sein sollte, zu arbeiten. Schiller lehnte dieses letzte Anerbieten ab und machte nie davon Gebrauch. „Ich habe das Talent," sagte er, ,,und mufs mir selber helfen können." Nun aber, bei seiner vergröfserten Familie in den letzten Jahren, mufste er der Existenz wegen jährlich zwei Stücke schreiben, und um dieses zu vollbringen, trieb er sich, auch an solchen Tagen und Wochen zu arbeiten, in denen er nicht wohl war; sein Talent sollte ihm zu jeder Stunde gehorchen und zu Gebote stehen. „Schiller hat nie viel getrunken, er war sehr mäfsig; aber in solchen Augenblicken körperlicher Schwäche suchte er seine Kräfte durch etwas Likör oder ähnliches Spirituoses zu steigern. Dies aber zehrte an seiner Gesundheit und war auch den Produktionen selbst schädlich.

,,Denn was gescheite Köpfe an seinen Sachen aussetzen, leite ich aus dieser Quelle her. Alle solche Stellen, von denen sie sagen, dafs sie nicht just sind, möchte ich pathologische Stellen nennen, indem er sie nämlich an solchen Tagen geschrieben hat, wo es ihm an Kräften fehlte, um die rechten und wahren Motive zu finden."

In jungen Jahren war auch Goethe dem Weine bei der poetischen Produktion nicht gerade aus dem Wege gegangen. In der Epoche zwischen Strafsburg und Weimar schrieb er zwar gewöhnlich seine Dichtungen zur frühesten Tageszeit auf, „aber auch abends, ja tief in die Nacht, wenn Wein und Geselligkeit die Lebensgeister erhöhten", konnte man von ihm fordern, was man wollte. Den Scherz , Götter, Helden und Wieland' schrieb er eines Sonntagnachmittags bei einer Flasche guten Burgunders in einer Sitzung nieder. Bei den minder übermütigen Dichtungen der reiferen Jahre hat er die Mitarbeit des Weines ausgeschlossen.

Bemerkenswert ist, dafs Goethe die Vorschrift der Mäfsigkeit auch auf den Stand und die Besitzverhältnisse des Dichters übertrug und die mittleren Verhältnisse für die besten erklärte. Von seinem englischen Lieblinge urteilte er: „Der hohe Stand als englischer Peer war Byron sehr nachteilig; denn jedes Talent ist durch die Aufsenwelt geniert, geschweige eins bei so hoher Geburt und so grofsem Vermögen. Ein gewisser mittlern Zustand ist dem Talent bei weitem zuträglicher; weshalb wir denn auch alle grofsen Künstler und Poeten in den mittlern Ständen finden. Byrons Hang zum Unbegrenzten hätte ihm bei einer geringern Geburt und niedern Vermögen bei weitem nicht so gefährlich werden können."

Von sich selber gestand Goethe: „Ich bin in einer prächtigen Wohnung, wie ich sie in Karlsbad gehabt, sogleich faul und unthätig," und ein andermal: „Eine Umgebung von bequemen, geschmackvollen Möbeln hebt mein Denken auf und versetzt mich in einen passiven Zustand."

 Weiter noch führt uns Goethe, wenn er dem Dichter eine allgemeine Mäfsigkeit in seinen Wünschen und Ansprüchen anrät, namentlich auch einen rechtzeitigen Verzicht auf jene unerfüllbaren Träume und Hoffnungen, denen sich doch gerade der mit kühner Phantasie begabte Dichter gern hingiebt. Wie ein Testament klingt es, was er 183 1 mit der Überschrift ,Für junge Dichter' diktierte:

Jüngling, merke dir in Zeiten, 
Wo sich Geist und Sinn erhöht, 
Dafs die Muse zu begleiten, 
Doch zu leiten nicht versteht."

 „Wenn wir beim Eintritt in das thätige und kräftige, mitunter unerfreuliche Leben, wo wir uns alle, wie wir sind, als abhängig von einem grofsen Ganzen empfinden müssen, alle früheren Träume, Wünsche, Hoffnungen und die Behaglichkeiten früherer Märchen zurückfordern, da entfernt sich die Muse und sucht die Gesellschaft des heiter Entsagenden, sich leicht Wiederherstellenden auf, der jeder Jahreszeit etwas abzugewinnen weifs, der Eisbahn wie dem Rosengarten die gehörige Zeit gönnt, seine eigenen Leiden beschwichtigt und um sich her recht emsig forscht, wo er irgend ein fremdes Leiden zu lindern, Freude zu fördern Gelegenheit finde. Keine Jahre trennen ihn sodann von den holden Göttinnen, die, wenn sie sich der befangenen Unschuld erfreuen,, auch der umsichtigen Klugheit gerne zur Seite stehen, dort das hoffnungsvolle Werden im Keime begünstigen, hier eines Vollendeten in seiner ganzen Entwickelung sich freuen".
— — Wir fassen zusammen: die neun Musen haben bei unserem Dichter die Namen: Liebe — Jugend — Einsamkeit — Sammlung — Anregung — Zustimmung — Bewegung — freie Natur — Mäfsigung.




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