> Gedichte und Zitate für alle: Wilhelm Bode- Goethes Ästhetik- Die Förderung der Kunst. (Seite 2)

2019-11-29

Wilhelm Bode- Goethes Ästhetik- Die Förderung der Kunst. (Seite 2)



Wenn Goethe sich wie die Boisserees ein eigenes Museum schuf, so erklärt sich das besonders daraus, dafs staatliche oder städtische oder sonst öffentliche Sammlungen in Weimar wie fast überall sonst fehlten. Er war ganz der Meinung, die Heeren in seinen ,Ideen' aussprach: ,, Die Werke der Kunst gehören nicht Einzelnen, sie gehören der gebildeten Menschheit an." Der Privatmann, der solche Schätze besitzt, ist immer versucht, sie mehr, als wünschenswert ist, vor der Mitwelt zu verschliefsen. „Weder Zeit noch Zustand erlauben ihm, treffliche Werke, die einflufsreich werden könnten, die — es sei nun auf Produktivität oder auf Kenntnis, auf That oder Geschichtseinsicht — kräftig wirken sollten, dem Künstler sowie dem Liebhaber öfter vorzulegen und dadurch eine höhere, freigesinnte, fruchtbare Bildung zu bezwecken. Sind aber dergleichen Schätze einer öffentlichen Anstalt einverleibt, sind Männer dabei angestellt, deren Liebe und Leidenschaft es ist, ihre schöne Pflicht zu erfüllen, die ganz durchdrungen sind von dem Guten, was man stiften, was man fortpflanzen wollte, so wird wohl nichts zu wünschen übrig bleiben."

Aber auch hier wäre die Zentralisation, die Aufsaugung der Schätze und Vorbilder in wenigen Grofsstädten eine gefährliche Verirrung. Goethe meinte: „Hauptgrundsatz soll sein, dafs die Kunstwerke und Altertümer viel verbreitet würden, jede Stadt die ihrigen behalte und wieder bekomme." ,,Lafst Düsseldorf wieder etwas haben, wie es in seinen Sälen aufgestellt war, wozu Alles in München? Lafst Köln, Bonn, ja Andernach etwas haben!"

Es ist schon berichtet, dafs Goethe auch durch jährliche Ausstellungen in Weimar, wobei den Künstlern bestimmte Aufgaben gestellt waren, ihnen und der Kunst zu dienen suchte. Er gab diese Ausstellungen nach einigen Jahren auf, weil die damalige Richtung der Malerei und der sonstigen bildenden Kunst ihm eine sehr widerwärtige wurde; seine Meinung über die Wirkung solcher Ausstellungen auf das Publikum mag aber wohl die gleiche geblieben sein, die er 1799 Schillern mitteilte. „Über das Absurde schreit jedermann auf und freut sich, etwas so tief unter sich zu sehen. Über das Mittelmäfsige erhebt man sich mit Behaglichkeit. Den Schein lobt man, ohne Rückhalt und ohne Bedingung; denn der Schein ist eigentlich in der Empirie das allgemein Geltende. Das Gute, das aber nicht vollkommen ist, übergeht man mit Stillschweigen; denn das Echte, was man am Guten bemerkt, nötigt Achtung ab; das Unvollkommene, das man daran fühlt, erregt Zweifel, und wer den Zweifel nicht selbst heben kann, mag sich in diesem Falle nicht kompromittieren und thut auch ganz wohl daran. Das Vollkommene, wo es anzutreffen ist, giebt eine gründliche Befriedigung, wie das Schöne eine oberflächliche, und so bringen beide eine ähnliche Wirkung hervor." An Knebel schreibt er freilich ungünstiger über das Publikum: „Wer der Künstler sei, und wo er sich aufhalte, interessiert die Menschen mehr, als was er gemacht hat."

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Die Erziehung des Publikums zu einer besseren Aufnahme der Kunst war beständig Goethes Bemühen. Er sah ja, dafs es vorwärts ging, im Städtchen Weimar und anderwärts. ,,Man mufs gegen die Menge billig sein. Sie bildet sich doch auch nach und nach und wird für manches empfänglich, was sonst gar weit von ihr abstand."Aber öfter empfand er freilich den blöden Widerstand der Masse, und da war es nur ein leidiger Trost:

,,Du wirkest nicht; alles bleibt so stumpf? 
Sei guter Dinge ! 
Der Stein im Sumpf 
Macht keine Ringe." 

Und es war eine verdriefsliche Erkenntnis:

,,Wer dem Publikum dient, ist ein armes Tier; 
Er quält sich ab, niemand bedankt sich dafür." 

Aber er blieb nicht beim unfruchtbaren Klagen; er sann immer wieder nach, wie er das Volk zur Teilnahme an den Künsten gewinnen könne. Die wirksamste Veranstaltung dazu ist das Theater. Die Verbesserung der Bühne, die soziale Hebung des Schauspielerstandes, die Ausbildung und Berufung solcher Bühnenkünstler, die den andern Vorbilder werden konnten, die Heranziehung neuer Schichten des Publikums und immer wieder die Erziehung dieses Publikums — diese Ziele kamen nie lange aus seinen Gedanken heraus. Auch als er die weimarische Bühne nicht mehr leitete, stand er ihr mit Rat und That bei. Uns kommt es heute sehr seltsam vor dafs Goethe im Jahre 1825 erst noch vorschlagen mufste, man solle doch auch Sonntags spielen, dadurch würde die Einnahme erhöht und die grofse arbeitende Klasse aus den Stadt- und Dorfschenken heraus zu einer edleren Unterhaltung gezogen. Bisher fiel nämlich am Sonntag das Schauspiel aus, weil das Theater eine blofse höfische Einrichtung war und der Hof die Sonntage anders besetzt hatte. Ein Jahr später empfahl Goethe, recht viele Gastspiele zu veranstalten, damit das Publikum verleitet werde, auch bekannte gute Stücke wiederum zu sehen.

„Das einzige Mittel, um jetzt ein deutsches Theater oben zu halten, sind Gastrollen. Hätte ich jetzt noch die Leitung, so sollte der ganze Winter mit trefflichen Gastspielern besetzt sein. Dadurch würden nicht allein alle guten Stücke immer wieder zum Vorschein kommen, sondern das Interesse würde auch mehr von den Stücken ab auf das Spiel gelenkt; man könnte vergleichen und. urteilen, das Publikum gewönne an Einsichten, und unsere eigenen Schauspieler würden durch das be- deutende Spiel eines ausgezeichneten Gastes immer in Anregung und Nacheiferung erhalten. Wie gesagt: Gastrollen und immer Gastrollen, und Ihr solltet über den Nutzen erstaunen, der daraus für Theater und Publikum hervorgehen würde.

Ich sehe die Zeit kommen, wo ein gescheiter, der Sache gewachsener Kopf vier Theater zugleich übernehmen und sie hin und her mit Gastrollen versehen wird, und ich bin gewifs, dafs er sich besser bei diesen vieren stehen wird, als wenn er nur ein einziges hätte."

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Auch wenn er an die andern Künste dachte, wünschte er immer wieder, dafs die Zeit und sein Vaterland für das steigen grofser Talente günstiger werden möchten,, d.h. dafs der Boden fleifsig vorbereitet werde, auf dem sie sich entwickeln können. ,,Zwar ist es meistens eine leere Klage, wenn sich bald diese oder jene Kunst- und Wissenschaftsbeflissene beschweren, dafs gerade ihr Fach von den Mitlebenden vernachlässigt werde; denn es darf nur ein tüchtiger Meister sich zeigen, so wird er die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Rafael möchte nur immer heute wieder hervortreten, und wir wollten ihm ein Übermafs von Ehre und Reichtum zusichern. Ein tüchtiger Meister macht brave Schüler, und ihre Thätigkeit ästet wieder ins Unendliche." Aber es ist doch auch das gröfste Genie abhängig von der allgemeinen Kultur und besonders von dem Kunstverständnis seines Volkes, sodann auch von den Werken seiner Vorgänger.

,,Es geht durch die ganze Kunst eine Filiation. Sieht man einen grofsen Meister, so findet man immer, dafs er das Gute seiner Vorgänger benutzte, und dafs eben dieses ihn grofs machte. Männer wie Rafael wachsen nicht aus dem Boden. Sie fufsten auf der Antike und dem Besten, was vor ihnen gemacht worden. Hätten sie die Avantagen ihrer Zeit nicht benutzt, so würde wenig von ihnen zu sagen sein."

Wie haben doch die deutschen Dichter des achtzehnten Jahrhunderts gelitten, weil sie sich erst aus einer allgemeinen Barbarei erheben mufsten! Man denke an Schiller! Seine drei Jugendwerke : ,Räuber', ,Fiesko', , Kabale und Liebe' zeugen von sehr grofsem Talent, aber nicht von grofser Bildungsreife des Dichters. „Daran ist aber nicht Schiller schuld," fährt Goethe fort," „sondern der Kulturzustand seiner Nation und die grofse Schwierigkeit, die wir alle erfahren, uns auf ein- samem Wege durchzuhelfen.

„Nehmen Sie dagegen Beranger. Er ist der Sohn armer Eltern, der Abkömmling eines armen Schneiders, dann armer Buchdruckerlehrling, dann mit kleinem Gehalte angestellt in irgend einem Bureau, er hat nie eine gelehrte Schule, nie eine Universität besucht, und doch sind seine Lieder so voll reifer Bildung, so voll Grazie, so voll Geist und feinster Ironie und von einer solchen Kunstvollendung und meisterhaften Behandlung der Sprache, dafs er nicht blofs die Bewunderung von Frankreich, sondern des ganzen gebildeten Europa ist.

,, Denken Sie Sich aber diesen selben Beranger, anstatt in Paris geboren und in dieser Weltstadt herangekommen, als den Sohn eines armen Schneiders zu Jena oder Weimar und lassen Sie ihn seine Laufbahn an gedachten kleinen Orten gleich kümmerlich fortsetzen und fragen Sie Sich, welche Früchte dieser selbe Baum, in einem solchen Boden und in einer solchen Atmosphäre aufgewachsen, wohl würde getragen haben!

„Also, ich wiederhole: es kommt darauf an, dafs in einer Nation viel Geist und tüchtige Bildung in Kurs sei, wenn ein Talent sich schnell und freudig entwickeln soll.

,,Wir bewundern die Tragödien der alten Griechen; allein, recht besehen, sollten wir mehr die Zeit und die Nation bewundern, in der sie möglich waren, als die einzelnen Verfasser. Denn wenn auch die Stücke unter sich ein wenig verschieden, und wenn auch der eine dieser Poeten ein wenig gröfser und vollendeter erscheint als der andere, so trägt doch, im grofsen und ganzen betrachtet, alles nur einen einzigen durch

gehenden Charakter. Dies ist der Charakter des Grofsartigen, des Tüchtigen, des Gesunden, des Menschlich-Vollendeten, der hohen Lebensweisheit, der erhabenen Denkungsweise, der reinkräftigen Anschauung, und welche Eigenschaften man noch sonst aufzählen könnte. Finden sich nun aber alle diese Eigenschaften nicht blofs in den auf uns gekommenen dramatischen, sondern auch in den lyrischen und epischen Werken; finden wir sie ferner bei den Philosophen, Rhetoren und Geschichtsschreibern und in gleich hohem Grade in den auf uns gekommenen Werken der bildenden Kunst: so mufs man sich wohl überzeugen, dafs solche Eigenschaften nicht blofs einzelnen Personen anhafteten, sondern dafs sie der Nation und der ganzen Zeit angehörten und in ihr in Kurs waren.

 ,, Nehmen Sie Burns! Wodurch ist er grofs, als dafs die alten Lieder seiner Vorfahren im Munde des Volkes lebten, dafs sie ihm sozusagen bei der Wiege gesungen wurden, dafs er als Knabe unter ihnen heranwuchs und die hohe Vortrefflichkeit dieser Muster sich ihm so einlebte, dafs er darin eine lebendige Basis hatte, worauf er weiter schreiten konnte? Und ferner, wodurch ist er grofs, als dafs seine eigenen Lieder in seinem Volke sogleich empfängliche Ohren fanden, dafs sie ihm alsobald im Felde von Schnittern und Binderinnen entgegenklangen und er in der Schenke von heitern Gesellen damit begrüfst wurde. Da konnte er freilich etwas werden!"

Künstlerische Kultur des ganzen Volkes mufs die Einzelnen, denen die Gabe der Gestaltung gegönnt ist, zur höchsten Höhe emportragen. „Viele Gedanken heben sich erst aus der allgemeinen Kultur hervor wie die Blüten aus den grünen Zweigen. Zur Rosenzeit sieht man Rosen überall blühen." Wohl gehört der Künstler zu den Führern der Menschheit, aber es müssen doch auch gröfsere Scharen zu seiner Aufnahme bereit sein und seinen Zuruf verstehen können.

 „Denn der Künste Chor 
Tritt nie behaglich auf, wofern er nicht bequem 
Gebahnte Wege findet. Durch ein wild Gesträuch, 
Durch rohen Dorngeflechtes Unzugänglichkeit 
Kann er die leichten Tänze nicht gefällig ziehn. 
Was sie zu leisten immer auch sich vorgesetzt, 
Gelingt nur dann und wächst nur dann erst weiter fort, 
Wenn schon gebildet ihnen, heiter, Herz und Sinn 
Mit lebenskräft'ger Fülle reich entgegenstrebt." 

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