> Gedichte und Zitate für alle: Wilhelm Bode- Goethes Ästhetik- Gehalt und Tendenz. (Seite 2 )

2019-11-28

Wilhelm Bode- Goethes Ästhetik- Gehalt und Tendenz. (Seite 2 )



Indem Goethe den Künstler verteidigt gegen andersartige Geister, die ihm Grenzen und Zwecke vor- schreiben wollen, indem er betont, dafs die Kunst nur ästhetischen Gesetzen zu gehorchen habe, lehnt er nicht zugleich ab, dafs sie auch sittlichen Nutzen haben könne. So urteilt er von der Musik, dafs sie so wenig als irgend eine Kunst auf Moralität zu wirken verstehe, immer sei es falsch, wenn man solche Leistungen von den Künsten verlange, dazu seien Phüosophie und Religion da; moralische Erweckungen der Pietät und Pflicht würden die Künste immer nur zufällig veranlassen. ,,Was sie aber vermögen und wirken, das ist eine Milderung roher Sitten," und hier ist sogar eine Ausartung in Weichlichkeit nicht ausgeschlossen. Die Kunst, namentlich die idealistische, wie Goethe sie wünscht, umgiebt uns mit gröfseren Menschen, die eine edlere Sprache reden als die Wirklichkeit. Als Goethe in Rom unter antiken Statuen lebte, vortreffliche Abgüsse schon erblickend, wenn er morgens die Augen aufschlug, schrieb er nieder: ,,A11 unser Denken und Sinnen ist von solchen Gestalten begleitet, und es wird dadurch unmöglich, in Barbarei zurückzufallen."

Sein Herzog Alfons aber fügt die Umkehrung hinzu :

,,Und wer der Dichtkunst Stimme nicht vernimmt, 
Ist ein Barbar, er sei auch, wer er sei." 

Über diese allgemeine Hebung der Kultur hinaus haben die meisten Kunstwerke und Bücher auf die Moral des Publikums sehr wenig Einflufs. ,,

Liest doch nur jeder

Aus dem Buch sich heraus, und ist er gewaltig, so liest er
In das Buch sich hinein, amalgamiert sich das Fremde.
Ganz vergebens strebst du daher, durch Schriften des Menschen
Schon entschiedenen Hang und seine Neigung zu wenden;
Aber bestärken kannst du ihn wohl in seiner Gesinnung,
Oder war' er noch neu, in dieses ihn tauchen und jenes :
Sag ich, wie ich es denke, so scheint durchaus mir, es bildet
Nur das Leben den Mann, und wenig bedeuten die Worte. "

Einige der ersten Meister machen hier freilich eine Ausnahme, und wenn die Bühne auch keine moralische Erziehungsanstalt sein soll, so wird sie es freilich sein, wenn ein Dramatiker von hoher Moralität sie beherrscht.

,,Ein grofser dramatischer Dichter", sagte Goethe,  ,,wenn er zugleich produktiv ist und ihm eine mächtige edle Gesinnung beiwohnt, die alle seine Werke durchdringt, kann erreichen, dafs die Seele seiner Stücke zur Seele des Volks wird. Ich dächte, das wäre etwas, das wohl der Mühe wert wäre. Von Corneille ging eine Wirkung aus, die fähig war, Heldenseelen zu bilden. Das war etwas für Napoleon, der ein Heldenvolk nötig hatte; weshalb er denn von Corneille sagte, dafs, wenn er noch lebte, er ihn zum Fürsten machen würde. Ein dramatischer Dichter, der seine Bestimmung kennt, soll daher unablässig an seiner höhern Entwickelung arbeiten, damit die Wirkung, die von ihm auf das Volk ausgeht, eine wohlthätige und edle sei."

Der letzte Satz zeigt uns, wie Ethiker und Ästhetiker sich versöhnen können. Die Moralisten sollen nicht in die Kunst hineinreden, sondern den Künstler als Menschen ergreifen und erhöhen ; ist er von religiösen, sittlichen, patriotischen Ideen erfüllt, so werden sie ganz von selber aus seinen Werken herausklingen. ,,Wenn ein guter Mensch mit Talent begabt ist, so wird er immer zum Heil der Welt sittlich wirken." ,,Hat ein Poet den hohen Gehalt der Seele wie Sophokles, so wird seine Wirkung immer sittUch sein, er mag sich stellen, wie er wolle."

Zweifellos hat derjenige Künstler, dem viel Einflufs auf seine Mitmenschen anvertraut ist, die Pflicht, beständig an seiner Bildung zu arbeiten. Goethe stimmte von Herzen dem Freunde zu, wenn er in seiner feierlichen Weise die Künstler ermahnte:

,,Der Menschheit Würde ist in eure Hand gegeben,
Bewahret sie!
Sie sinkt mit euch! Mit euch wird sie sich heben!
Der Dichtung heilige Magie
Dient einem weisen Weltenplane ;
Still lenke sie zum Ozeane
Der grofsen Harmonie!"

Niemand hat diese besondere Pflicht des Emporsteigens um der Menschheit willen ernster genommen als Goethe. Zu Eckermann sagte er: ,,Ich habe in meinem Berufe als Schriftsteller nie gefragt: ,Wie nütze ich dem Ganzen?' sondern ich habe immer nur dahin getrachtet, mich selbst einsichtiger und besser zu machen, den Gehalt meiner eigenen Persönlichkeit zu steigern und dann immer nur auszusprechen, was ich als gut und wahr erkannt hatte." Und indem er so die philanthropische Absicht ablehnte, konnte er stolz hinzufügen: „Dieses hat freilich, wie ich nicht leugnen will, in einem grofsen Kreise gewirkt und genützt; aber es war nicht Zweck, sondern ganz notwendige Folge, wie sie bei allen Wirkungen natürlicher Kräfte stattfindet." Schon in Italien schreibt er einmal nieder: ,, Welch ein Unterschied ist nicht zwischen einem Menschen, der sich von innen aus auferbauen, und einem, der auf die Welt wirken und sie zum Hausgebrauch belehren will!"

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Den jungen poetischen Talenten riet er immer wieder, auf sich Acht zu haben, dafs ihre Werke an Gehalt mehr und mehr gewinnen. „Poetischer Gehalt aber ist Gehalt des eigenen Lebens," den uns niemand geben und nehmen kann. Ein Prüfstein auf diesen Gehalt ist bei Versen die Übersetzung in Prosa. ,,Ich ehre den Rhythmus wie den Reim, wodurch Poesie erst zur Poesie wird, aber das eigentliche tiefe und gründlich Wirksame, das wahrhaft Ausbildende und Fördernde ist dasjenige, was vom Dichter übrig bleibt, wenn er in Prosa übersetzt wird. Dann bleibt der reine vollkommene Gehalt, den uns ein blendendes Äufseres oft, wenn er fehlt, vorzuspiegeln weifs und, wenn er gegenwärtig ist, verdeckt."  Statt aller technischen Finessen gab Goethe seinen jungen Freunden eine grofse Regel : „Der junge Dichter spreche nur aus, was lebt und fortwirkt, unter welcherlei Gestalt es auch sein möge; er beseitige streng allen Widergeist, alles Mifswollen, Mifsreden, und was er nur verneinen kann; denn dabei kommt nichts heraus" . . . „Fragt euch nur bei jedem Gedicht, ob es ein Erlebtes enthalte, und ob dies Erlebte euch gefördert habe. Ihr seid nicht gefördert, wenn ihr eine Geliebte, die ihr durch Entfernung, Untreue, Tod verloren habt, immerfort betrauert. Das ist gar nichts wert, und wenn ihr noch so viel Geschick und Talent dabei aufopfert. Man halte sich ans fortschreitende Leben und prüfe sich bei Gelegenheiten; denn da beweist sich's im Augenblick, ob wir lebendig sind, und bei späterer Betrachtung, ob wir lebendig waren."

Goethe deutet in diesen Sätzen an, welche Kunstarten er, der Weitherzige, vertilgt sehen möchte: die tadelnden und entstellenden, denn Mifswollen und Mifsreden fördert weder den Autor noch sein Publikum. Er war zeitlebens ein Feind der Karikatur, mifstraute auch den Witzbolden und ,, Humoristen". Die Gestaltung ist Aufgabe des Künstlers, nicht die Verzerrung der Gestalten. Dafs die mythologischen Gebüde der Inder und Ägypter so oft fratzenhaft sind, war unserm Dichter immer wieder peinlich; er war kein grofser Hundefreund, ,,sind doch Tiere nur Zerrbilder der Menschen;"er meinte, Lichtenbergs Wohlgefallen an Karikaturen rühre wohl von seiner unglücklichen körperlichen Konstitution her: es erfreue ihn, etwas noch unter sich zu erblicken. In den , Guten Weibern' läfst Goethe eine Gesellschaft sich mit dem Besehen von Zerrbüdern unterhalten; ein Freund derselben, Sinklair, bemerkt:

„Aus dem Häfslichen läfst sich viel machen, aus dem Schönen nichts."

Darauf erwidert Artemidoros: „Aber dieses macht uns zu etwas, jenes vernichtet uns."

Henriette: ,,Hat nicht jedes Zerrbild etwas umwiderstehlich Anziehendes ?"

Amalie: „Hat nicht jede üble Nachrede, wenn sie über einen Abwesenden hergeht, etwas unglaublich Reizendes ?" Henriette: ,, Macht ein solches Bild nicht einen unauslöschlichen Eindruck?" Amalie : „Das ist's, warum ich sie verabscheue . . . Ich mag es machen, wie ich will, so mufs ich mir den grofsen Pitt als einen stumpfnasigen Besenstiel und den in so manchem Betracht schätzenswerten Fox als ein vollgesacktes Schwein denken."

Im gleichen Sinne schreibt Goethe 1824 an Zelter: ,,Wie ich ein Todfeind sei von allem Parodieren und Travestieren, habe ich nie verhehlt; aber nur deswegen bin ich's, weil dieses garstige Gezücht das Schöne, Edle, Grofse herunterzieht, um es zu vernichten; ja selbst den Schein sehe ich nicht gern dadurch verjagt."

Nun konnte man freilich Goethen erwidern, dafs doch die alten Griechen, die er so hoch preise, nach den ergreifendsten Tragödien Possen spielen liefsen. Er erwiderte: „Hier findet sich keineswegs der parodistische Sinn, welcher das Hohe, Grofse, Edle, Gute, Zarte herunterzieht und ins Gemeine verschleppt, woran wir immer ein Symptom sehen, dafs die Nation, die daran Freude hat, auf dem Wege ist, sich zu verschlechtern; vielmehr wird hier das Rohe, Brutale, Niedrige, das an und für sich selbst den Gegensatz des Göttlichen macht, durch die Gewalt der Kunst dergestalt emporgehoben, dafs wir dasselbe gleichfalls als an dem Erhabenen teilnehmend empfinden und betrachten müssen!" Und an anderer Stelle betont er:

„Bei den Griechen, deren Poesie und Rhetorik einfach und positiv war, erscheint die Billigung öfter als die Missbilligung bei den Lateinern hingegen ist es umgekehrt, und je mehr sich Poesie und Redekunst verdirbt, desto mehr wird der Tadel wachsen und das Lob sich zusammenziehen."

Lustig mag das Tadeln und Spotten scheinen, aber es ist nur ein scheinbarer Gewinn an Lust. ,,Sehr schlimm ist es dabei, dafs das Humoristische, weil es keinen Halt und kein Gesetz in sich selbst hat, doch zuletzt früher oder später in Trübsinn und üble Laune ausartet, wie wir davon die schrecklichsten Beispiele erleben müssen. Übrigens giebt es noch immer Menschen genug, die dergleichen Dinge anstaunen und verehren, weil das Publikum es Jedem Dank weifs, der ihm den Kopf verrücken will."


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