> Gedichte und Zitate für alle: Wilhelm Büchner -Fauststudien: Am Hofe des Kaisers-Pläne und Entwürfe (3)

2019-11-15

Wilhelm Büchner -Fauststudien: Am Hofe des Kaisers-Pläne und Entwürfe (3)

Fauststudien


Am Hofe des Kaisers. 

I. Pläne und Entwürfe. 

In Wielands Roman „Der goldene Spiegel" läßt sich der Sultan Gebal, der schlecht einschlafen kann, allabendlich von seiner Umgebung lehrreiche Geschichten vorlesen oder vorerzählen. Er sieht darin ein gutes Schlafmittel, und wenn er dreimal gegähnt hat, dürfen sie aufhören und ihn allein lassen. Der Hofphilosoph Danischmend, unbekannt mit dem Zweck, dem seine Unterhaltung dienen soll, hält die Gelegenheit für günstig, um dem Sultan die höchsten Wahrheiten mit Wärme und Schwung vorzutragen. Während seiner begeisterten Rede schläft der Sultan alsbald ein, sogar ohne gegähnt zu haben.

Der junge Goethe hatte an diesem bitteren Spaß ein besonderes Wohlgefallen. Er hebt ihn in den ,, Frankfurter gelehrten Anzeigen" bei der Besprechung des Romans (1772) ausdrücklich hervor, ja er plante sogar, dieses Motiv für die Faustdichtung zu ver- wenden. Faust sollte am Kaiserhof eine ähnliche Erfahrung machen wie der Philosoph Danischmend beim Sultan. Nach einer Erzählung des Dichters hatte er einmal folgende Szene im Sinne : Mephisto bestimmt Faust, bei dem Kaiser um eine Audienz nachzusuchen.

„Beide gehen ins Audienzzimmer und werden auch wirklich vorgelassen. Faust seinerseits, um sich dieser Gnade wert zu machen, nimmt alles, was irgend von Geist und Kenntnis in seinem Kopfe ist, zusammen und spricht von den erhabensten Gegenständen. Sein Feuer indessen wärmt nur ihn; den Kaiser selbst läßt es kalt. Er gähnt einmal über das andere und steht sogar auf dem Punkte, die ganze Unterhaltung abzubrechen. Dies wird Mephistopheles noch zur rechten Zeit gewahr und kommt dem armen Faust versprochenermaßen zu Hilfe. Er nimmt zu dem Ende dessen Gestalt an Nun setzt er das Gespräch genau da fort, wo Faust geendigt hatte; nur mit einem ganz andern und weit glänzendem Erfolge. Er raisonniert nämlich, schwadroniert und radotiert so links und rechts, so kreuz und quer, so in die Welt hinein und aus der Welt heraus, daß der Kaiser vor Erstaunen ganz außer sich gerät und die umstehenden Herren von seinem Hofe versichert, das sei ein grundgelehrter Mann , dem möchte er wohl tage und wochenlang zuhören, ohne jemals müde zu werden. Er als Kaiser müsse bekennen, einen solchen Schatz von Gedanken, Menschenkenntnis und tiefen Erfahrungen nie in einer Person, selbst nicht bei dem weisesten von seinen Räten , vereinigt gefunden zu haben."1

Also Faust erlebt hier mit seinem ehrlichen Idealismus eine gründliche Enttäuschung, Mephisto weiß besser, wie man reden muß, um in der Welt etwas zu gelten. In etwas anderer Gestalt zeigt denselben Gedanken die Skizze, die Goethe am 20. Dezember 18l6 diktierte, um bei der Schilderung der Frankfurter Zeit in „Dichtung und Wahrheit." klarzulegen, wie er sich als Jüngling die Fortsetzung des ,, Faust" gedacht habe. Auch hier lockt Mephisto seinen Genossen an den Hof. ,, Faust wird angemeldet und gnädig aufgenommen. Die Fragen des Kaisers beziehen sich alle auf irdische Hindernisse, wie sie durch Zauberei zu beseitigen. Fausts Antworten deuten auf höhere Forderungen und höhere Mittel. Der Kaiser versteht ihn nicht, der Hofmann noch weniger. Das Gespräch verwirrt sich, stockt, und Faust, verlegen, sieht sich nach Mephistopheles um, welcher sogleich hinter ihn tritt und in seinem Namen antwortet. Nun belebt sich das Gespräch, mehrere Personen treten näher, und jedermann ist zufrieden mit dem wundervollen Gast." 2

1. Nach einer Erzählung Goethes berichtet von Falk (Pniower 316 = Graf 1188).

2. Paralipom. 63, vgl. 100.

Die Ausführung der geplanten Audienzszene bereitete dem Dichter große Schwierigkeit. Faust hätte vor dem Kaiser reden müssen wie Marquis Posa vor dem König Philipp. Solche rhetorische Ergüsse entsprachen nicht der Weise des Dichters. Auf einen Versuch, der Schwierigkeit auszuweichen, deutet das Paralipomenon 68 , ein Gespräch zwischen Faust und Mephisto, worin Mephisto eventuellen Bemühungen um den Kaiser einen gründlichen Mißerfolg prophezeit:

,,Geh' hin, versuche nur dein Glück! 
Und hast du dich recht durchgeheuchelt, 
So komme matt und lahm zurück. 
Der Mensch vernimmt nur was ihm schmeichelt. 
Sprich mit dem Frommen von der Tugend Lohn, 
Mit Ixion sprich von der Wolke, 
Mit Königen vom Ansehn der Person, 
Von Freiheit und von Gleichheit mit dem Volke!

Faust: 

Auch diesmal imponiert mir nicht 
Die tiefe Wut, mit der du gern zerstörtest, 
Dein Tigerblick, dein mächtiges Gesicht. 
So höre denn, wenn du es niemals hörtest: 
Die Menschheit hat ein fein Gehör, 
Ein reines Wort erreget schöne Taten. 
Der Mensch fühlt sein Bedürfnis nur zu sehr 
Und läßt sich gern im Ernste raten. 
Mit dieser Aussicht trenn' ich mich von dir, 
Bin bald und triumphierend wieder hier.

Mephisto: 

So gehe denn mit deinen schönen Gaben! 
Mich freut's, wenn sich ein Tor um andre Toren quält. 
Denn Rat denkt jeglicher genug bei sich zu haben, 
Geld fühlt er eher, wenn's ihm fehlt."

Als Goethe diese Verse entwarf, hatte er wohl vor, Fausts entscheidendes Gespräch mit dem Kaiser hinter die Szene zu verlegen. Seine Enttäuschung konnte dann in einem späteren Dialog mit Mephisto, der durch Fausts letzte Worte schon vorbereitet wird, bequem zur Darstellung gebracht werden.3

 Aber daneben beschäftigte den Dichter der Gedanke, der Schwierigkeit nicht auszuweichen, sondern Fausts für den Kaiser bestimmten Ratschlägen eine Form zu geben, die sie aus dem Gebiet der Rhetorik in das der Poesie erhebe. Erhalten ist ein sehr flüchtiger und oft unverständlicher Entwurf einer Prosaszene (Paralipomenon 65), worin Faust und Mephisto vor dem Kaiser die Geister tüchtiger Regenten er- scheinen lassen. Die zitierten Gespenster äußern edle Gesinnungen, die nach einer Bemerkung des anwesenden Bischofs an die Selbstgespräche des Mark Aurel erinnern. Faust verfährt also hier wie der Zauberer

Prospero in Shakespeares Sturm (IV 1), der den für ein junges Paar bestimmten Lehren und Wünschen dadurch besonderen Nachdruck verleiht, daß er sie von seinen Geistern aussprechen läßt , die als Iris, Juno, Ceres und Nymphen auftreten. Wie Prospero kann auch Faust sagen: , .Geister, die mein Wissen Aus ihrem Reiche rief, um vorzustellen Was mir gefällt."

3. Vgl. Morris, Goethestudien II 124 f.

Prospero in Shakespeares Sturm (IV 1), der den für ein junges Paar bestimmten Lehren und Wünschen dadurch besonderen Nachdruck verleiht, daß er sie von seinen Geistern aussprechen läßt , die als Iris, Juno, Ceres und Nymphen auftreten. Wie Prospero kann auch Faust sagen: , .

Geister, die mein Wissen 
Aus ihrem Reiche rief, um vorzustellen 
Was mir gefällt."

Fausts so hübsch eingekleidete Weisheit verfehlt aber die gewünschte Wirkung auf des Kaisers Majestät durchaus. Der Marschall macht ihn darauf aufmerksam , daß der Kaiser während der Aufführung sachte eingeschlafen sei: ,, Redet nicht so laut, der Kaiser schläft, Ihre Majestät scheinen nicht wohl". Hier ist der Einfluß der oben erwähnten Wielandschen Erzählung von dem Philosophen Danischmend besonders deutlich.




   Bühnenwerke und Fragmente

Keine Kommentare: