Wie ein Kommentar zu Fausts Erlebnissen am
Kaiserhof klingen die Worte, mit denen Goethe, auf
den Mißerfolg gewisser eigener Bemühungen zurückblickend , in Italien schrieb: ,,Man verdient wenig
Dank von den Menschen, wenn man ihr innres Bedürfnis erhöhen, ihnen eine große Idee von ihnen
selbst geben, ihnen das Herrliche eines wahren edlen
Daseins zu Gefühl bringen will. Aber wenn man die
Vögel belügt, Märchen erzählt, von Tag zu Tag ihnen
forthelfend sie verschlechtert, da ist man ihr Mann,
und darum gefällt sich die neuere Zeit in soviel Abgeschmacktem. Ich sage das nicht, um meine Freunde
herunterzusetzen; ich sage nur, daß sie so sind, und
daß man sich nicht verwundern muß, wenn alles ist,
wie es ist."9
So werden wenigstens zum Teil die Worte verständlich, die Goethe im Jahre 1820 über die geplante
Fortsetzung des Faust an einen jungen Freund schrieb:
,,Es gibt noch manche herrliche, reale und phantastische Irrtümer auf Erden, in welchen der arme
Mensch sich edler, würdiger, höher, als im ersten gemeinen Teile geschieht, verlieren dürfte. Durch diese
sollte unser Freund Faust sich auch durchwürgen. In
der Einsamkeit der Jugend hätte ich's aus Ahnung
geleistet , am hellen Tage der Welt sah' es wie ein
Pasquill aus."10 Einer von den herrlichen Irrtümern,
durch die sich Faust durchwürgt, ist sein Glaube, am
Kaiserhof etwas Rühmliches erreichen zu können.
9. Italienische Reise 1786 19. Sept. Der Ausdruck „Vögel
belügen" erklärt sich aus Treufreunds Rolle in dem Lustspiel
„Die Vögel".
10. An Schubarth 3. Nov. 1820, Pniower 331. „Gemein" hat
in diesem Brief, wie so oft bei Goethe , den Sinn von „alltäglich".
Aber die Darlegung seines Abenteuers, wie sie hier
versucht worden ist , erschöpft den Gehalt der Dichtung keineswegs. Denn was Faust am Hofe erlebt,
ist ein ,, eminenter Fall", der typisch ist für tausend
andere und an sie erinnert. Goethe nannte eine solche
Darstellung, wo durch das Besondere ein Allgemeines ausgedrückt wird, symbolisch.11 Symbolische Bedeutsamkeit in diesem Sinne verlangte Schiller von der
Faustdichtung ausdrücklich. Bei den Verhandlungen
über die Vollendung des Werkes schrieb er an Goethe,
die Anforderungen an den Faust seien zugleich philosophisch und poetisch. Weil die Fabel ins Grelle und
Formlose gehe, so wolle man nicht bei dem Gegenstande stille stehen, sondern von ihm zu Ideen geleitet
werden.12
11. Vgl. Werke 49 I, S. 142.
12. An Goethe 22. Juni 1797.
Auf die Idee, die sich in Fausts Abenteuer am
Kaiserhofe spiegelt, weist Goethe in dem ersten Paralipomenon , wo er den Gedankengang der Dichtung
kurz skizziert, deutlich hin. Während hier Fausts
Zustand am Schlüsse des Dramas bezeichnet wird mit
den Worten ,, Schöpfungsgenuß von innen", heißt es von dem Anfang des zweiten Teiles ,, Tatengenuß nach
außen". Darunter sind alle Versuche begriffen, die der
Mensch macht, um auf andere zu wirken, in der Hoffnung durch die Gegenwirkung der anderen belohnt
zu werden. Solange er seine Hoffnungen auf das
setzt, was andere von seinem Wirken halten oder
was es anderen nützt, bleibt er den Enttäuschungen
preisgegeben, und je höher er gesinnt ist, desto
zahlreicher und bitterer müssen diese Enttäuschungen
ausfallen. Wohl ihm, wenn auf diesem Wege nichts
Schlimmeres in ihm lebendig wird als die wehmütige Resignation, mit der Faust in einem Paralipomenon (112) auf seine Bemühungen am Kaiserhof
zurückblickt:
,, Irrtum du bist gar zu schön
Könnt ich dich nur wieder finden."
Der Widerstand der stumpfen Welt gegen den Einzelnen,
Hochgesinnten ist auch in den eingangs erwähnten
älteren Entwürfen zu den Szenen am Kaiserhofe das
Thema. Die schließliche Gestalt des Aktes ist aus
diesen Entwürfen auf organische Weise hervorgegangen.
Sie verhält sich zu ihnen wie der Schmetterling zur Raupe und Chrysalide. Die Idee .ist gleich, die Erscheinung verschieden.
Bühnenwerke und Fragmente
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