3. Der Spott gegen die mechanische
Weltanschauung.
Einige Partien in der klassischen Walpurgisnacht
und der Anfang des vierten Aktes beschäftigen sich
mit naturwissenschaftlichen Fragen, die im ersten
Drittel des neunzehnten Jahrhunderts eine Rolle spielten.
Obwohl diese Szenen ein ganz subjektives Gepräge
tragen , indem sie der Abneigung des Dichters gegen
zeitgenössische Richtungen in der Wissenschaft Ausdruck geben, so sind sie doch keineswegs als unorganische Bestandteile der Dichtung anzusehen. Denn
ihre Polemik richtet sich gegen das Bestreben, alles
auf mechanische Kausalität zurückzuführen , und so wird durch diese Szenen eine Unterlage geschaffen,
auf welcher sich die Weltanschauung, zu der Faust
geführt wird, deutlicher abhebt.
Wie fremd Goethe die Theorie war , die in der
Welt nur das Produkt blindwirkender mechanischer
Kräfte sieht, zeigt sein Bericht über Holbachs Systeme
de la nature in ,, Dichtung und Wahrheit" III 11. ,,Wie
hohl und leer ward uns in dieser tristen, atheistischen
Halbnacht zu Mute , in welcher die Erde mit allen
ihren Gebilden, der Himmel mit allen seinen Gestirnen
verschwand ! Eine Materie sollte sein von Ewigkeit, und von Ewigkeit her bewegt, und sollte nun mit
dieser Bewegung rechts und links und nach allen Seiten ohne weiteres die unendlichen Phänomene des
Daseins hervorbringen. — — — Indem der Verfasser
einige allgemeine Begriffe hingepfahlt, verläßt er sie
sogleich, um dasjenige, was höher als die Natur oder
als höhere Natur in der Natur erscheint , zur materiellen, schweren, zwar bewegten, aber doch richtungs- und gestaltlosen Natur zu
verwandeln , und glaubt
dadurch recht viel gewonnen zu haben."
Ein typisches Beispiel für die materialistische Erklärungsweise sah Goethe in dem Vulkanismus. Die
Behauptung, daß die Erdoberfläche den Wirkungen
und Ausbrüchen eines im Erdinnern glühenden Zentralfeuers ihre Gestalt verdanke, war mit seiner Meinung
von dem Leben in der Natur ganz unvereinbar. Ihn
interessierte an der Geologie die Konsequenz der übereinander geschichteten Massen, auch im toten Gestein
suchte er ,,die Spuren der großen formenden Hand".
Dagegen war bei dem Vulkanismus ,,von gar nichts
Festem und Regelmäßigem die Rede, sondern von
zufälligen und unzusammenhängenden Ereignissen". Zeitweilig zurückgedrängt, wurde die vulkanische Erhebungstheorie gerade in den letzten Lebensjahren
des Dichters unter dem Einfluß von Leopold v. Buch
und Alexander v. Humboldt zur herrschenden Meinung. Goethe mußte das reiche Beobachtungsmaterial
und den Scharfsinn dieser Forscher anerkennen, aber
ihre Theorie lag, wie er an Zelter schreibt, „außer
den Grenzen seines Kopfes, in den düstern Regionen,
wo die Transsubstantiation haust". Indessen stand er mit seinem so begründeten Widerspruch gegen die
übermächtige Tagesmode am Ende seines Lebens fast allein. Auch gute Freunde glaubten ihn als rückständig über die Achsel ansehen zu dürfen, weil er das Credo verpaßte. Die Rache des Dichters enthalten einige stachelige Gedichte in der Sammlung
„Zahme Xenien" und der zweite Teil der Faustdichtung. Hier vertritt Mephistopheles als Liebhaber von
Tumult, Gewalt und Unsinn den Vulkanismus und verzerrt ihn in der lächerlichsten Weise (IV. Akt Anfang).
Auch eine große Partie in der klassischen Walpurgisnacht richtet ihre Spitze gegen Alexander v. Humboldt
und seine Anhänger. In der Vorführung von Erdbeben, vulkanischen Erhebungen, fallenden Meteorsteinen entlädt sich der Groll des Dichters gegen
,,die vermaledeite Polterkammer der neuen Weltschöpfung". 35
Eine eigentümliche Wendung war der vulkanischen
Erhebungstheorie von dem bekannten Naturforscher
Cuvier (1769 —1832) gegeben worden. Um die Verschiedenheit der fossilen und der gegenwärtigen Tierwelt zu erklären , hatte er seine Kataklysmentheorie
aufgestellt. Viele Erdperioden seien aufeinander gefolgt, jede abgeschlossen durch eine gewaltige, alles
Leben zerstörende Umwälzung. In den älteren Perioden
hätten nur niedere Lebewesen existiert , mit jeder
neuen seien höher organisierte aufgetreten, schließlich
mit der letzten die Krone der Schöpfung, der Mensch.
Diese sonderbare Theorie gelangte zu einem gewissen
Ansehen, da sie den geologischen Ansichten im Zeitalter des Vulkanismus entgegen kam.36 Daß Goethe
sie kannte, zeigt der Aufsatz „Verschiedene Bekenntnisse". Hier spottet er über Elie de Beaumont, durch
den die Katastrophentheorie ihre spezielle Ausbildung
erfahren hatte. In dem „Faust" erhalten wir eine
scherzhafte Darstellung einer solchen Cuvier'schen
Erdperiode und ihres überraschenden Abschlusses
(V. 7872 f.). Kaum ist der vulkanische Berg aus der
Erde gestiegen, so wimmelt er von seltsamen Lebewesen
Pygmäen, Imsen, Däumerlinge
Und andre tätig kleine Dinge.
35. Geologische Probleme und Versuch ihrer Auflösung.
Werke II Bd. 9 S. 257.
36. Vgl. Hertwig, Lehrbuch der Zoologie, Jena 1893 S.17.
Die Frage, woher die Organismen auf einmal gekommen, machte den Vulkanisten keine Beschwerde.
Während sie bei der Bildung der Erdoberfläche nur
rohe Kräfte sinnlos walten ließen, trauten sie der
Natur die größte Zweckmäßigkeit zu bei der Entstehung lebendiger Wesen. Mit der gleichen Naivität
erklären die auf dem vulkanischen Berg entstehenden
Pygmäen V. 7606:
Haben wirklich Platz genommen,
Wissen nicht, wie es geschah.
Fraget nicht, woher wir kommen.
Denn wir sind nun einmal da
!
Zu des Lebens lustigem Sitze
Eignet sich ein jedes Land;
Zeigt sich eine Felsenritze,
Ist auch schon der Zwerg zur Hand.
Zwerg und Zwergin, rasch zum Fleiße,
Musterhaft ein jedes Paar
;
Weiß nicht, ob es gleicher Weise
Schon im Paradiese war.
Anaxagoras, der Vertreter des Vulkanismus, hat an
der Belebung des Feuerberges seine helle Freude und
weist seinen Gegner Thaies triumphierend darauf hin
(V. 7872 f.). Aber die Freude soll nicht lange währen,
da die Kleinen mit den Kranichen in Streit geraten und heftig bedrängt werden. Das Verderben von
„seinem Volke" abzuwehren, wendet sich Anaxagoras
an Diana-Luna-Hekate mit der Bitte um ein Wunder.
Sein Gebet wird erhört, ein Meteorstein stürzt auf
die Kraniche nieder. Aber da in der tumultuarischen
Welt des Vulkanismus überhaupt nichts Vernünftiges
geschehen kann , so erschlägt der Stein auch gleichzeitig die Pygmäen.
Der Fels war aus dem Mond gefallen,
Gleich hat er, ohne nachzufragen,
So Freund als Feind gequetscht, erschlagen.
Freundlicher als Anaxagoras , der Vertreter des
Vulkanismus, ist in der Walpurgisnacht Thaies behandelt, der alles der Wirkung des Wassers zuschreiben
möchte. Das entspricht der Stellung, die Goethe der
neptunistischen Theorie gegenüber einnahm. Sie war
von Werner, dem Leiter der Freiberger Bergakademie,
begründet und beherrschte die Geologie eine Zeitlang
ebenso wie später der Vulkanismus. Da die Neptunisten wenigstens keine gewaltsamen Revolutionen an- nahmen, um die Entstehung der Erdoberfläche zu
erklären, sondern eine allmähliche und ruhige Entwickelung anerkannten , so hielt sich Goethe in der
Regel zu ihnen. Es fehlt aber nicht an Zeugnissen
dafür, daß er sich im stillen auch in einem Gegensatz
zu der Werner'schen Schule befand. In einer Zeit,
wo sie am Ruder war, schreibt er in Briefen an den
Minister Voigt (10. Januar 1810, 23. August 1806) von
den ,, übermächtigen Neptunisten", der ,, herrschenden
Lehre", dem ,, Wassereifer des guten Lenz", der von
,,dem Freiberger Orakel abhängt". Als Gegner neptunistischer Theorien bekennt sich Goethe auch in
dem nicht abgeschickten Brief an den Mineralogen
Leonhard f;. November 18 16, W. A. IV Bd. 27 S. 420) und in einem Brief an Knebel (17. September 18 17).
Dazu nehme man, was der Kanzler v. Müller in den
Unterhaltungen unter dem 26. März 1826 berichtet:
„Als Meyer fragte, was es heißen wolle, Plutonist oder
Neptunist, sagte Goethe : O dankt Gott, daß ihr nichts
davon wißt ; ich kann es auch nicht sagen, man könnte
schon wahnsinnig werden, es nur auseinander zu setzen.
Ohnehin bedeutet eine solche Parteinahme späterhin
nichts mehr, löst sich in Rauch auf, die Leute wissen
schon jetzt nicht mehr, was sie damit bezeichnen
wollen."
Solchen Zeugnissen gegenüber kann man Goethe
wohl nicht als einen Neptunisten bezeichnen. Wie
hätte ihn auch diese Theorie befriedigen sollen, da
sie so gut wie der Vulkanismus alle geologischen Erscheinungen mechanisch zu erklären suchte. Für
Goethe kamen die Wirkungen, welche Feuer und
Wasser bei der Gestaltung der Erde ausgeübt haben,
erst in zweiter Linie ; die Hauptsache war ihm durch
die Bildung des Granits entschieden, des Urgesteins,
von dem er in dem schönen Hymnus sagt: Aus bekannten Bestandteilen auf geheimnisvolle Weise zusammengesetzt , erlaubt es eben so wenig seinen Ursprung aus Feuer wie aus Wasser herzuleiten" (Werke
II 9 S. 172). Ein helles Licht auf die geologischen
Ansichten des Dichters wirft auch jene Szene in
den „Wanderjahren" (II loj, in der Wilhelm einem
Streit über Neptunismus, Vulkanismus, Meteorenlehre,
Hebungstheorie und Vergletscherung beiwohnt. Alle
diese Theorien werden mit leisem Spott geschildert
und .schließlich heißt es : ,,Ganz verwirrt und verdüstert ward es unserem Freunde zu Mute, welcher
noch von alters her den Geist, der über den Wassern
schwebte, und die hohe Flut im stillen Sinne hegte, und dem unter diesen seltsamen Reden die wohlgeordnete, bewachsene, belebte Welt vor seiner Einbildungskraft chaotisch zusammenzustürzen schien."
Auf Wilhelm sind hier die Empfindungen übertragen,
mit denen Goethe die geologischen Streitigkeiten seiner
Zeitgenossen verfolgte.
Bei diesen Anschauungen des Dichters ist es begreiflich , daß auch Thaies , der Vertreter des Neptunismus, in der Walpurgisnacht nicht ohne Ironie behandelt ist. ,, Thaies beruft sich auf Springfluten und
Diluvien mit sanfter wogender Stimme (mit didaktisch
wogendem Selbstbehagen)" heißt es spöttisch in einer
Skizze (Paral. 123). Wenn er also seine Lehre, wonach alles aus dem Wasser entsprungen ist, in schwungvollen Versen vorträgt (V. 8432 f. so werden wir uns
hüten, darin Goethes eigene Meinung zu sehen. In
schwungvollen Versen redet ja auch der Seismos
(V 7550)» ohne daß es jemand einfiele, Goethe deshalb zum Anhänger der Hebungstheorie zu machen.
Wie fern Thaies der Weltanschauung des Dichters
steht, ersieht man besonders deutlich daran, daß er
es mit Homunkulus für möglich hält, das Geheimnis
des organischen Werdens ausfindig zu machen. Denn
nach Goethes Ansicht ist uns der Begriff vom Entstehen ganz und gar versagt. Dagegen ist für die
mechanisch -atomistische Weltanschauung Einsicht in
die Entstehung des Lebens und die Möglichkeit, Lebendiges, wäre es auch nur ein Protoplasma, auf künstlichem Wege herzustellen, notwendigerweise das letzte
Ziel. Sie würde sich selbst aufgeben , wenn sie die
Möglichkeit , daß es noch einmal erreicht wird , bestritte.
Goethe verspottet diesen Glauben in der köstlichen
Szene, wo Wagner sich einbildet, er könne durch
richtige Mischung der Elemente einen Menschen fabrizieren. Dieses Thema wird in der klassischen Walpurgisnacht noch einmal aufgenommen. Homunkulus,
unzufrieden mit der zweifelhaften Existenz in der
Flasche, möchte gern im besten Sinn entstehen und
hofft bei Thaies und Anaxagoras Aufklärung über das
Problem des Werdens zu finden:
Zwei Philosophen bin ich auf der Spur,
Ich horchte zu, es hieß: Natur! Natur!
Von diesen will ich mich nicht trennen,
Sie müssen doch das irdische Wesen kennen;
Und ich erfahre wohl am Ende,
Wohin ich mich am allerklügsten wende.
Es gelingt ihm Thaies für sein Unternehmen zu
interessieren. Wie Herakles auf der Suche nach den
Äpfeln der Hesperiden, so wenden sie sich mit ihrem
Anliegen an den prophetischen Meergott Nereus. Aber
dieser behandelt ihre Sache als einen abgeschmackten
Einfall. Er muß sich Gewalt antun, um ihnen nicht
grob zu werden:
Hinweg! Es ziemt in Vaterfreudenstunde
Nicht Haß dem Herzen, Scheltwort nicht dem Munde.
Hinweg zu Proteus! Fragt den Wundermann:
Wie man entstehn und sich verwandeln kann.
Thaies traut dem Gott, an den sie gewiesen werden,
nicht viel Gutes zu, da er ihm als Schelm bekannt
ist. Aber um nichts unversucht zu lassen, begleitet
er seinen Schützling auch zu Proteus. Nach mancherlei
Scherzen macht ihnen dieser einen seltsamen Vorschlag.
Homunkulus soll im Ozean ein Lebewesen niederster
Ordnung werden, wozu er sich als Hermaphrodit besonders eigne, und sich dann stufenweise zu immer
höherer Organisation emporfressen.
Proteus.
Du bist ein wahrer Jungfernsohn,
Eh' du sein solltest, bist du schon!
Thaies (leise).
Auch scheint es mir von andrer Seite kritisch:
Er ist, mich dünkt, hermaphroditisch.
Proteus.
Da muß es desto eher glücken;
So wie er anlangt, wird sich's schicken.
Doch gilt es hier nicht viel Besinnen,
Im weiten Meere mußt du anbeginnen!
Da fängt man erst im Kleinen an
Und freut sich, Kleinste zu verschlingen.
Man wächst so nach und nach heran
Und bildet sich zu höherem Vollbringen.
Homunkulus findet keine Gelegenheit den Übergang von einer niederen in eine höhere Art durch gute
Ernährung zu versuchen. Denn es hapert gleich mit
dem Anfang, da die Entstehung bei dem einfachsten
Organismus ebenso geheimnisvoll ist wie bei dem
Menschen. Proteus gibt über das Problem ebenso
wenig Aufklärung wie der moderne Darwinismus. In
einen Delphin verwandelt, trägt er Homunkulus in
das Meer und veranlaßt ihn sich an die Göttin Galatea
zu wenden, die mit festlichem Gefolge über das nächtliche Meer daherkommt. Sie gilt dem Dichter als
Nachfolgerin der Aphrodite und waltet ,, unsichtbar
dem neuen Geschlechte" über alle Zeugung auf Erden.
Bei ihr hofft der entzückte Homunkulus die Lösung
des Rätsels, das ihn beschäftigt, zu finden. Aber die Annäherung an die Göttin wird ihm verderblich. Bekümmert sieht ihn Thaies an ihrem Muschehwagen
zerschellen:
Homunkulus ist es, von Proteus verführt ....
Es sind die Symptome des herrischen Sehnens,
Mir ahnet das Ächzen bcängsteten Dröhnens;
Er wird sich zerschellen am glänzenden Thron
;
Jetzt flammt es, nun blitzt es, ergießet sich schon.
Indem das schützende Glas zerspringt , geht die
Individualität des Homunkulus verloren. Die Flamme,
aus der er gebildet ist, wird wieder zum Element.
So erweist sich der Rat, den ihm Proteus gegeben
hat, als ein boshafter Scherz.
Die Ansicht über die Entstehung des Menschen,
die Proteus mit offenbarer Ironie vorträgt , vertrat zu Goethes Zeit im Ernst der Naturforscher Oken. Man
erkennt seine Hypothese am bequemsten aus einem
Aufsatz ,,über die Entstehung des Menschen", der im
Jahre 1819 in der ,,Isis" erschienen ist (S. 1118f.).
Oken entwickelt hier zunächst seine bekannte Theorie,
wonach der menschliche Embryo im Uterus alle Stufen
des Tierreichs nacheinander durchläuft : er ist zuerst
ein geschlechtsloses zwitteriges ,, Keimtier", wird dann
zum ,, Eingeweidetier", später zum „Sinnentier" und
schließlich ein Mensch. Diese Tatsache, meint Oken,
gebe einen Fingerzeig, wie man sich die Entstehung
der ersten Menschen zu denken habe. ,,Daß aus dem
Meer alles Lebendige gekommen , ist eine Wahrheit,
die wohl niemand bestreiten wird, der sich mit Naturgeschichte und Philosophie beschäftigt hat. — (Menschliche) Embryonen entstehen ohne Zweifel zu Tausenden
im Meer, wenn einmal entstehen. Die einen — verkommen. Was tut das? Sind ja noch Tausende
übrig, welche sanft und reif an den Strand getrieben
werden, welche daselbst ihre Hüllen zerreißen, die
Würmer ausscharren , die Muscheln und Schnecken
aus den Schalen ziehn [vgl. Vers 8261 f.]. — Daß also
Kinder im Meer sich entwickeln, sich sodann außer
ihm erhalten können, wäre gezeigt. Allein wie kommen
sie in dasselbe? Von außen offenbar nicht. Denn
im Wasser muß alles Organische entstehen. Sie sind
also im Meer entstanden — wie andere Tiere in ihm
entstanden sind und noch täglich entstehen, Infusorien,
Medusen wenigstens. Wie aus Schleim ein Infusorium
zusammengerinnt, ist allenfalls begreiflich; denn ein
Tropfen Schleim ist schon ein Infusorium. Daß dieses
nach Umständen lang wird, nach Umständen andere
sich mit ihm verbinden, und es also ein zusammengesetztes Tier wird, ist wohl auch zu begreifen. —
Daß mithin im Meer aus einem Haufen Schleim eine
menschliche Zeichnung entstehen könne, ist wohl mehr
als gewiß. Eine solche Zeichnung muß immer von
vorne entstehen, das heißt aus ungeformtem, mithin
flüssigem Schleim. — Der Mensch entsteht mithin als
Embryo mit menschlichem Entwurf aus dem Schleim
im Meer."
Wenn sich Proteus in dem Gespräch mit Thaies
und Homunkulus als gläubiger Anhänger dieser Lehre
aufspielt , so verfährt er ebenso ironisch wie Mephistopheles bei der Schilderung des Vulkanismus. Beide
glauben offenbar, es sei schon Spott genug, wenn man
diese Absurditäten nur vortrage.
Okens Aufstellungen bekunden einen platten Materialismus. Er hielt es wirklich für möglich, daß aus
dem Meerschleim ein menschlicher Embryo zufällig
zusammengeronnen sei. Der Spott gegen diese Meinung, der den Schluß der klassischen Walpurgisnacht
durchzieht, gehört in eine Reihe mit dem Spott über
Vulkanismus und Neptunismus. Wie Homunkulus an
dem Wagen der Galatea, so zerschellen die mechanischen Theorien an der geheimnisvollen Tatsache des
gestaltenden Lebens. Und so klingt die Walpurgisnacht nach all den Spöttereien ernst und feierlich aus
in einem Hymnus auf die vier Elemente und den ,,Eros, der alles begonnen". Mit dem mythologischen
Namen bezeichnet Goethe den Bildungstrieb , der das
in der Materie schlummernde Leben zu immer neuen
Gestalten erweckt. So meinten es ja auch die alten
Mythologen, die erzählten, auf das Chaos sei die Erde
gefolgt und zugleich Eros, als erster der Götter.37
37. Hesiod, Theogonic 116; Plato, Symposion 6; vgl. Goethe,
Der neue Pausias und sein Blumenmädchen, V. 3
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