Zwischen dem Kaiser der Faustdichtung und dem
Kaiser der Entwürfe besteht eine unverkennbare Ähnlichkeit. Als eine oberflächliche Natur war er für den
Dichter auch bei der Vollendung des Werks der Gegenstand einer versteckten Satire. In ihm ist ein Fürst
dargestellt, der alle möglichen Eigenschaften hat sein
Land zu verlieren. ,,Das Wohl des Reichs und seiner
Untertanen macht ihm keine Sorge; er denkt nur an
sich und wie er sich von Tag zu Tag mit etwas Neuem
amüsiere. Das Land ist ohne Recht und Gerechtigkeit,
der Richter selber mitschuldig und auf der Seite der
Verbrecher, die unerhörtesten Frevel geschehen ungehindert und ungestraft. Das Heer ist ohne Sold, ohne Disciplin und streift raubend umher, um sich seinen
Sold zu verschaffen und sich selber zu helfen, wie es kann. Die Staatskasse ist ohne Geld und ohne Hoffnung weiterer Zuflüsse. Im eigenen Haushalte des
Kaisers sieht es nicht besser aus : es fehlt in Küche
und Keller Der Staatsrat will Sr. Majestät
über alle diese Gebrechen Vorstellungen tun und ihre
Abhülfe beraten; allein der gnädigste Herr ist sehr
ungeneigt , solchen unangenehmen Dingen sein hohes
Ohr zu leihen ; er möchte sich lieber amüsieren. Hier
ist nun das wahre Element für Mephisto".4 Er begünstigt die Schwächen des Kaisers in der unverschämtesten Weise. Die Geldnot im Reiche und am
Hofe zu beseitigen, welche Kleinigkeit! Liegen doch
überall im Boden vergrabene Schätze , die man nur
zu heben braucht. Der Schalk weiß sie so anschaulich zu schildern, daß dem Kaiser und seinen Räten
das Wasser im Munde zusammenläuft. Es wäre ja
freilich bequemer, durch einige Zauberkreise und unsinniges Gemurmel der Not des Reiches abzuhelfen,
als durch Sparen und geordnete Tätigkeit. Der Kaiser
kann es gar nicht abwarten, daß das Wunder geschieht,
und drängt Mephisto zu einem sofortigen Versuch:
,,Nur gleich, nur gleich! Wie lange soll es währen!"
Doch läßt er sich schließlich dazu bestimmen, seine
Ungeduld bis zum Ende der Fastnachtszeit zu zügeln.
Am Aschermittwoch soll das große Schatzgraben beginnen. In der frohen Erwartung, daß dann alle Verlegenheit ein Ende haben soll, feiern sie nur lustiger
das wilde Karneval.
In diesen Kreis , wo die Torheit herrscht , der es
nicht einfällt, daß sich das Glück mit dem Verdienst
verkettet, tritt Faust, erfüllt von der Gesinnung, zu
der er sich in dem Eingangsmonologe des zweiten
Teiles bekennt, indem er der erwachenden Erde zuruft:
„Du regst und rührst ein kräftiges Beschließen,
Zum höchsten Dasein immerfort zu streben."
Der Dichter schildert nicht , wie Faust von Mephisto
am Hofe eingeführt wird. Die- auf den Staatsrat
folgende Szene ,, Mummenschanz" setzt die Einführung
als geschehen voraus; denn Faust könnte an dem
Maskenfest der Hofgesellschaft doch nicht teilnehmen,
wenn er mit dem Kaiser nicht schon bekannt wäre.
In der Rolle, die er bei diesem Maskenfest spielt,
spiegelt sich die Auffassung, die er von seiner Aufgabe am Kaiserhofe hat. Diese indirekte Darstellung
ist ein eigentümlicher Kunstgriff des Dichters, durch
welchen er den widerstrebenden Gegenstand, das alte
Danischmendmotiv, nach mancherlei Versuchen künstlerisch gestaltet hat. Fausts Beteiligung an der Maskerade erfordert deshalb sorgfältige Aufmerksamkeit.
Wie der Herold am Anfange des Maskenfestes
mitteilt, hat der Kaiser bei seiner Romfahrt den Karneval kennen gelernt und läßt ihn nun von der Hofgesellschaft reproduzieren. Er hält es mit seiner kaiserlichen Würde für vereinbar, dabei selbst in der Maske
des Pan mit einem sehr ausgelassenen Gefolge zu
erscheinen.
Von dem festlichen Treiben der Hofgesellschaft
sondern sich die Gruppen der Victoria und des Plutus
durch die bei ihnen vorkommenden Zaubereien deutlich ab. Sie werden auch von dem Herold als ein
fremdartiges Element bezeichnet (V. 5394). Faust wirkt
hierbei nicht nur als Plutus mit , sondern von ihm
stammen auch die Gedanken, die in diesen beiden
Gruppen allegorisch dargestellt werden.
4. Goethe zu Eckermann 1.Okt. 1827
In der ersten Gruppe wird Victorie, „die Göttin aller
Tätigkeiten", verherrlicht und die Klugheit gepriesen,
welche Hoffnung und Furcht, die zwei schlimmsten
Menschenfeinde, gefesselt hält. Neid und böser Wille,
die ewigen Feinde jener Victorie, werden als ZoiloThersites gegeißelt. Was Faust hier andeutet, wird
in Goethes ethischen Betrachtungen oft berührt: der
Mensch soll den Augenblick ergreifen und ihn durch
Tätigkeit adeln. Das Hinstarren auf das Kommende
sei denen überlassen, von welchen es in den ,, Zahmen
Xenien" heißt
:
,,Was ist ein Philister.' Ein hohler Darm,
Mit Furcht und Hoffnung ausgefüllt, daß Gott erbarm!"
In der nächsten Gruppe erscheint Plutus, der Gott
des Reichtums. Seine wohlverschlossene Schatzkiste
hütet der Geiz, ein geheimnisvoller Knabe lenkt das
Viergespann. Die Figur des Plutus ist hier ganz anders
behandelt als etwa in Lukians ,,Timon" oder in dem
Kampfgespräch von Hans Sachs, wo der Gott zum Trost
für alle diejenigen, die nichts haben, möglichst schlecht
gemacht wird. Hier in dem Maskenspiel werden die
wohltätigen Folgen des Reichtums verherrlicht. Ein
König ,, reich und milde" ist Plutus der Schöpfer alles
Behagens, der Beschützer des ,, Knaben Lenker".
In diesem ist die Poesie persönlich dargestellt.
Darunter kann man hier natürlich nicht die Kunst verstehen, die sich der Worte als Zeichen bedient. In
Goethes Zeit wurden ,, Poesie" und die verwandten
Wörter wie Dichtung, poetisch, dichten u. dgl. oft in
einem allgemeineren Sinn gebraucht, der uns ziemlich
fremd geworden ist. So definiert das Wörterbuch von
Adelung die Dichtkunst als ,,die Kunst die Teile eines
vorher in Gedanken zergliederten Dinges willkürlich
wieder zusammenzusetzen , in welchem Verstande Dichtkunst alle schönen und bildenden Künste unter
sich begreift". Wird hier jede Art künstlerischen Vermögens als ein „Dichten" angesehen, so dehnt Goethe
diesen Begriff noch weiter aus. In seiner Rezension
der Voß'schen Gedichte lesen wir z. B.: „Wenn uns
die Erzeugnisse des eigenen Grund und Bodens am
besten schmecken, wenn wir glauben durch Früchte
aus unserem Garten auch Freunden das schmackhafteste Mahl zu bereiten, diese Überzeugung ist schon
eine Art von Poesie, welche der künstlerische Genius
in sich nur weiter ausbildet." Und so wünscht der
Dichter (Sprüche in Prosa 247) jedem wohlgesinnten
Deutschen ,,eine gewisse Portion poetischer Gabe als
das wahre Mittel seinen Zustand von welcher Art er auch sei mit Wert und Anmut einigermaßen zu umkleiden". Poesie im allgemeinsten Sinn ist demnach
für Goethe die Fähigkeit des Menschen, zu der realen
Welt eine Welt des Scheins hinzuzufügen. In einzelnen
Individuen steigert sich dieses Vermögen zu künstlerischer Gestaltungskraft.
Was wir ohne dieses Vermögen entbehren würden,
faßt Schiller in dem Gedicht ,, Poesie des Lebens"
zusammen:
,, — Du — blickst, mein strenger Freund,
Aus der Erfahrung sicherm Porte
Verwerfend hin auf alles, was nur scheint.
Erschreckt von deinem ernsten Worte,
Entflieht der Liebesgötter Schar;
Der Musen Spiel verstummt, es ruhn der Hören Tänze.
Still trauernd nehmen ihre Kränze
Die Schwestergöttinnen vom schön gelockten Haar;
Apoll zerbricht die goldne Leier
Und Hermes seinen Wunderstab;
Des Traumes rosenfarbner Schleier
Fällt von des Lebens bleichem Antlitz ab.
Die Welt scheint, was sie ist, ein Grab."
Dieses Reich holden Scheins kann sich nach Fausts
Meinung der Mensch nicht oder nur kümmerlich
schaffen, wenn er im Zwange der Dürftigkeit dahinlebt und alle Kräfte für das Notwendige gebraucht.
Dieser Gedanke w'ird in der Allegorie dadurch ausgedrückt, daß sich der Knabe Lenker gern in den
Dienst des Plutus stellt ; er betrachtet ihn als seinen
,, nächsten Anverwandten". Aber auch Plutus weiß,
daß das Behagen, das er selbst dem Menschen schafft,
geschmückt und geadelt wird durch die Tätigkeit des
Knaben. Ihm dankt er den Lorbeer, den er auf der
Stirne trägt, und den er am höchsten schätzt von
allen seinen Kronen. So stellt er dem Knaben das
Zeugnis aus, er sei sein lieber Sohn, an dem er Wohlgefallen habe
,, Faust nimmt alles, was irgend von Geist und
Kenntnis in seinem Kopfe ist, zusammen und spricht
von den erhabensten Gegenständen." So hieß es schon in dem alten Plan von Fausts Verkehr mit dem
Kaiser. Hier erscheint das Motiv in der Dichtung.5 Gemäß den Gesinnungen, die Faust hier allegorisch
ausdrückt, müssen wir uns seinen Verkehr mit dem
Kaiser denken. Er will dem Kaiser den ersehnten Reichtum schaffen, aber nicht durch ein Wunder,
sondern wie so mancher Idealist an den verschuldeten
Höfen des achtzehnten Jahrhunderts, durch vernünftige Förderung aller Tätigkeiten. Und der durch die
Entfesselung der produktiven Kräfte geschaffene Reichtum soll nicht in schalen Vergnügungen vergeudet
werden, sondern gestatten ein Mediceisches Regiment
zu führen.
5. Faust sollte am Schluß der Maskerade seine Absichten
deutlich aussprechen , vgl. Paral. 1o6 „Faust den Heroldstab
fassend enthüllt das Ganze". Der schon oft gemachte Versuch, den ganzen Maskenzug in Abhängigkeit von Faust zu
bringen, ist nicht durchführbar. Goethe hat die Szene mit
Benutzung seiner römischen Erinnerungen und der florentinischen triomphi aus der Zeit des Lorenzo Magnifico so weit
ausgedehnt, weil er zu Fausts Begeisterung für antike Schönheit überleiten will. Deshalb betont er in der Ankündigung
des Herolds den italienischen Charakter des Festes und stellt es in Gegensatz zu der deutschen Fastnacht mit ihren ,, Teufels- Narren- und Totentänzen" (V. 5065J.)
Die Gedanken und Wünsche, die Faust bewegen
stehen zu der Gesinnung des Hofes, wie sie besonders
in den Verhandlungen des Staatsrates zutage tritt , in
einem schneidenden Gegensatz. Der Kaiser und die
Seinen wollen keine Vertröstungen auf die Zukunft,
sondern sofortige Hilfe aus peinlicher Verlegenheit
keine Ideale, sondern Geld, keine Tätigkeit, sondern
Vergnügen. Was soll ihnen Fausts Hymnus auf die
menschliche Arbeit
!
„Droben aber auf der Zinne
Jene Göttin mit behenden
Breiten Flügeln, zum Gewinne
Allerseits sich hinzuwenden.
Rings umgibt sie Glanz und Glorie
Leuchtend fern nach allen Seiten;
Und sie nennet sich Victorie,
Göttin aller Tätigkeiten."
Vergebens sucht Faust in der Maske des Plutus dem
Kaiser klar zu machen , daß des Plutus Schätze so
mühelos nicht zu haben sind, als er sich in seiner
Hoffnung auf die Schatzgräberei am Aschermittwoch
einbildet. Das ist wohl der ernste Sinn eines Maskenspaßes, den sich Faust mit dem Kaiser erlaubt. Man
erinnere sich an die Stelle, wo eine Deputation der
Gnomen zu dem als Pan verkleideten Kaiser kommt
und ihn auffordert, die mit Gold und Edelsteinen
bis zum Rande gefüllte Schatzkiste des Plutus sich anzueignen. Sei doch hier bequem und auf einmal
zu haben, was sonst mühsame Arbeit im Innern der
Erde zusammensuche. Als der Kaiser dieser Aufforderung folgend, an die Kiste herantritt, erschreckt
Faust durch einen Scheinbrand ihn und das Hofgesinde. ,, Kiste schlägt zu fliegt fort", heißt es in
einer Skizze im Anschluß an den Brand (Paral. 106).
Aber die Hoffnung des Kaisers, sofort und ohne
Mühe aus der Geldklemme zu kommen , ist durch
Mephistos Versprechungen so angeschürt , daß Faust
jeden Versuch eines Wirkens am Hofe aufgeben müßte,
wenn nicht auf der Stelle ein Wunder geschähe. In
diesen Zusammenhang gehören die in einem Paralipomenon (113) erhaltenen hämischen Worte Mephistos :
,,Er mag sich wie er will gebärden,
Er muß zuletzt ein Zaubrer werden."
Das Zaubermittel, zu dem sich Faust durch die Verblendung des Hofes drängen läßt, ist das Papiergeld.
Es ist eine empfindliche Lücke in der Dichtung,
daß der Schluß des Maskenfestes nicht dargestellt
ist. Aus den Andeutungen der folgenden Szene ergibt
sich , daß Faust noch während des Festes den Entschluß faßt, den Kaiser sofort aus der Geldnot zu
befreien. Dazu bedarf er Mephistos Hilfe. Mit dem
betrügerischen Unsinn der Schatzgräberei kann dieser
einem Faust natürlich nicht kommen; aber der Nieverlegene weiß ein Mittel, das auch einen Klugen betören kann. Mit Fausts Einwilligung bringt er es dahin, daß der Kaiser noch während des Festes ein
Papier unterschreibt, das dadurch zu Geldeswert erhoben und in der Nacht vervielfältigt wird.6
6. Vgl. V. 6067 f., 6052 und Eckcrmanns Bericht vom
27. Dez. 1829
Der Gedanke, daß Faust an dem Hofe unversehens zu Mephistos Mitteln gedrängt wird, tritt schon in der
Skizze der Urgestalt (Paralip. 63) deutlich hervor.
Dort macht Faust vor der Audienz die Bedingung:
„Mephistopheles dürfe nicht in den Saal, sondern
müsse auf der Schwelle bleiben, ferner daß in des
Kaisers Gegenwart nichts von Gaukelei und Verblendung vorkommen solle." Als er aber mit seinen
höheren Forderungen und höheren Mitteln keinen Eindruck auf den Kaiser macht, sieht er sich verlegen
nach Mephistopheles um, ,, welcher sogleich hinter ihn
tritt und in seinem Namen antwortet".
Bühnenwerke und Fragmente
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