IV. Mephistos Triumph
„Helena im Mittelalter. Satyrdrama (aus Satyrisches
Drama). Episode zu Faust." So steht von Goethes
Hand auf dem Umschlag einer Handschrift , welche
die Dichtung bis zu V. 9164 schon ziemlich vollständig
enthält. Wir erinnern uns dabei jenes Briefes an
Schubarth , worin der Dichter im Jahre 1820 von der
geplanten Darstellung der „herrlichen Irrtümer" Fausts
schreibt: „In der Einsamkeit der Jugend hätt' ich's aus
Ahnung geleistet , am hellen Tag der Welt sah' es wie ein Pasquill aus."
Der Vertreter der Satire in der Helenadichtung ist Mephistopheles. Man muß sich freilich in die Dichtung eingelebt haben , um den Hohn zu fühlen , mit dem er als Phorkyas Euphorion betrachtet. So ist z. B. der Bericht, den er von der Geburt des Wunderknaben gibt , auf den Ton einer behaglichen Teilnahme gestimmt. Aber unter der Maske verbirgt sich die Schadenfreude. Er weiß, daß Euphorion ein Todgeweihter ist : nachdrücklich weist er sofort auf den entscheidenden Punkt hin, die unbezwingliche Lust des Knaben, sich von der Erde zu entfernen und die Bestimmung, die ihm bei der Strafe der Vernichtung das verbietet. Auch die schönen Verse , mit denen er den auftretenden Euphorion empfängt, sind bei Licht besehen nur eine Bosheit. Denn die Vorzüge, die er an Euphorion rühmt, bedingen ja gerade den verhängnisvollen Zwiespalt seines Wesens, an dem er zugrunde geht. Die überlegene Ironie, mit der Mephistopheles von Euphorion spricht, richtet sich in Wahrheit gegen Faust , da ja der Dichter durch die allegorische Figur Vorgänge in Fausts Seele zur sinnlichen Erscheinung bringt. Zwar tritt in der märchenhaften Dichtung Faust mehrmals in einen Gegensatz zu Euphorion, indem er Helenas Warnungen unterstützt. Aber solche Gegensätze sind in demselben Individuum doch wohl denkbar : man kann eine Neigung in sich bekämpfen und doch von ihr hingerissen werden. Daß Faust tatsächlich anders empfindet als Helena und ihre naive Freude an sinnlicher Schönheit nicht teilt, tritt an einer Stelle ganz deutlich hervor. Wenn Euphorion mit den Mädchen singt und tanzt, ist Helena von seiner Kunst bezaubert :
,,Ja, das ist wohlgetan,
Führe die Schönen an
Künstlichem Reih'n."
Faust dagegen, den es nach Höherem verlangt, ruft voll Unmut:
„Wäre das doch vorbei!
Mich kann die Gaukelei
Gar nicht erfreu'n."
Mephisto kennt den Genossen zu genau, um seinen Wunsch, ein Grieche zu werden, für ausführbar zu halten. Er steht dem griechischen Abenteuer von vornherein mit kühler Verständigkeit gegenüber:
,,Wen Helena paralysiert
Der kommt so leicht nicht zu Verstande."
Der ,, herrliche Irrtum" ist in Mephistos Augen eine zwecklose Torheit. Wenn er Faust nach der Katastrophe verkündet, das zurückgebliebene Gewand Helenas trage ihn über alles Gemeine rasch am Äther hin, so fügt er die spöttische Einschränkung hinzu
„so lange du dauern kannst". Hier hat „dauern" die Bedeutung „es aushalten", „in demselben Zustand bleiben".31
31. So schreibt Goethe an Merck im August 1775 ,,zu Ende dieses Jahres muß ich fort. Daur' es kaum bis dahin, auf diesem Bassin herum zu gondolieren". Auch bei Grimm werden ähnliche Wendungen angeführt, z.B. ,,ich kann nicht lange ohne Essen dauern", ,,man hat bei uns (lärmenden Kindern) nicht dauern können".
Mephistopheles glaubt nicht, daß Faust aus der Verbindung mit Helena ein bleibender Gewinn er- wachsen sei. Und so richtet er sich, wie es im Szenarium heißt, am Schlüsse als Phorkyas riesenhaft im Proszenium auf. Nachdem er die Maske abgelegt ,, zeigt er sich als Mephistopheles, um insofern es nötig wäre, im Epilog das Stück zu kommentieren". Diese Bemerkung weist darauf hin, daß Mephistopheles der Handlung mit aufmerksamem Auge gefolgt ist. Die Tendenz des Epiloges, der dem Dichter vorschwebte, kann bei Mephistos ganzer Weltanschauung nicht zweifelhaft sein. Wie allem, so steht er auch der modernen Kunst als Geist der Verneinung gegenüber. Wer mag sich die Bosheiten ausdenken, mit denen er sie überschütten würde!
Der Vertreter der Satire in der Helenadichtung ist Mephistopheles. Man muß sich freilich in die Dichtung eingelebt haben , um den Hohn zu fühlen , mit dem er als Phorkyas Euphorion betrachtet. So ist z. B. der Bericht, den er von der Geburt des Wunderknaben gibt , auf den Ton einer behaglichen Teilnahme gestimmt. Aber unter der Maske verbirgt sich die Schadenfreude. Er weiß, daß Euphorion ein Todgeweihter ist : nachdrücklich weist er sofort auf den entscheidenden Punkt hin, die unbezwingliche Lust des Knaben, sich von der Erde zu entfernen und die Bestimmung, die ihm bei der Strafe der Vernichtung das verbietet. Auch die schönen Verse , mit denen er den auftretenden Euphorion empfängt, sind bei Licht besehen nur eine Bosheit. Denn die Vorzüge, die er an Euphorion rühmt, bedingen ja gerade den verhängnisvollen Zwiespalt seines Wesens, an dem er zugrunde geht. Die überlegene Ironie, mit der Mephistopheles von Euphorion spricht, richtet sich in Wahrheit gegen Faust , da ja der Dichter durch die allegorische Figur Vorgänge in Fausts Seele zur sinnlichen Erscheinung bringt. Zwar tritt in der märchenhaften Dichtung Faust mehrmals in einen Gegensatz zu Euphorion, indem er Helenas Warnungen unterstützt. Aber solche Gegensätze sind in demselben Individuum doch wohl denkbar : man kann eine Neigung in sich bekämpfen und doch von ihr hingerissen werden. Daß Faust tatsächlich anders empfindet als Helena und ihre naive Freude an sinnlicher Schönheit nicht teilt, tritt an einer Stelle ganz deutlich hervor. Wenn Euphorion mit den Mädchen singt und tanzt, ist Helena von seiner Kunst bezaubert :
,,Ja, das ist wohlgetan,
Führe die Schönen an
Künstlichem Reih'n."
Faust dagegen, den es nach Höherem verlangt, ruft voll Unmut:
„Wäre das doch vorbei!
Mich kann die Gaukelei
Gar nicht erfreu'n."
Mephisto kennt den Genossen zu genau, um seinen Wunsch, ein Grieche zu werden, für ausführbar zu halten. Er steht dem griechischen Abenteuer von vornherein mit kühler Verständigkeit gegenüber:
,,Wen Helena paralysiert
Der kommt so leicht nicht zu Verstande."
Der ,, herrliche Irrtum" ist in Mephistos Augen eine zwecklose Torheit. Wenn er Faust nach der Katastrophe verkündet, das zurückgebliebene Gewand Helenas trage ihn über alles Gemeine rasch am Äther hin, so fügt er die spöttische Einschränkung hinzu
„so lange du dauern kannst". Hier hat „dauern" die Bedeutung „es aushalten", „in demselben Zustand bleiben".31
31. So schreibt Goethe an Merck im August 1775 ,,zu Ende dieses Jahres muß ich fort. Daur' es kaum bis dahin, auf diesem Bassin herum zu gondolieren". Auch bei Grimm werden ähnliche Wendungen angeführt, z.B. ,,ich kann nicht lange ohne Essen dauern", ,,man hat bei uns (lärmenden Kindern) nicht dauern können".
Mephistopheles glaubt nicht, daß Faust aus der Verbindung mit Helena ein bleibender Gewinn er- wachsen sei. Und so richtet er sich, wie es im Szenarium heißt, am Schlüsse als Phorkyas riesenhaft im Proszenium auf. Nachdem er die Maske abgelegt ,, zeigt er sich als Mephistopheles, um insofern es nötig wäre, im Epilog das Stück zu kommentieren". Diese Bemerkung weist darauf hin, daß Mephistopheles der Handlung mit aufmerksamem Auge gefolgt ist. Die Tendenz des Epiloges, der dem Dichter vorschwebte, kann bei Mephistos ganzer Weltanschauung nicht zweifelhaft sein. Wie allem, so steht er auch der modernen Kunst als Geist der Verneinung gegenüber. Wer mag sich die Bosheiten ausdenken, mit denen er sie überschütten würde!
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