> Gedichte und Zitate für alle: b. Episode : Der Flammen- und der Geldzauber am Hofe des Kaisers. (11)

2019-12-13

b. Episode : Der Flammen- und der Geldzauber am Hofe des Kaisers. (11)


 Der Flammen- und der Geldzauber am Hofe des Kaisers

Der Schwierigkeit des Zutrittes zum kaiserlichen Hofe entsprechend , ist auch das Mittel, ihn zu erreichen und an ihm Stellung zu gewinnen, ein umständlicheres. Naturgemäfs ist es der Geselle Fausts, dem die Aufgabe zufällt, die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Mephistopheles fängt das höchst geschickt an : er versteht es, den Kaiser an der Seite zu fassen, wo er am zugänglichsten ist. Die Staatsgeschäfte langweilen ihn, er will sich unterhalten lassen : diese Aufgabe fällt dem Narren zu. Wie der Kaiser den Staatsrat begrüfst , unterbricht er sich sofort : er vermifst die ihm wichtigste Persönlichkeit, den Narren. Mephistopheles hatte ihn beseitigt, um an seine Stelle zu treten: kaum ist das Fehlen des Narren bemerkt, so drängt sich Mephistopheles schon heran und führt sich mit einem Rätsel ein , in dessen ungelöstem Inhalte Mephistopheles nur allzu wahren bittern Hohn über den Zustand an des Kaisers Hofe ausgiefst. Wiederholt wird im Verlauf der Dichtung die Doppelnatur des Mephistopheles betont, der dem Guten wie dem Bösen nötig ist, der sich ironisch selbst als einen Teil der Kraft bezeichnet, die stets das Böse will und stets das Gute schafft. So ist auch das hier von ihm vorgebrachte Rätselwort doppelzüngig: seine Lösung ist nicht, wie man bei einem Rätsel zunächst erwartet, ein einzelner Begriff, sondern ein doppelter. Am Hofe des Kaisers herrscht der Widerspruch , dafs man das Wertvolle dem Namen nach hochhält und thatsächlich geringschätzt, während das Wertlose zwar äufserlich geringgeschätzt wird , aber in Wirklichkeit , weil es amüsiert, in höchster Achtung steht.

Das Rätselwort ist hiernach so zu lösen:

»Was ist verwünscht und stets willkommen?« — Narrheit.
»Was ist ersehnt und stets verjagt?« — Weisheit.
»Was immerfort in Schutz genommen?« — Narrheit.
»Was hart gescholten und verklagt?« — Weisheit.
»Wen darfst Du nicht herbeiberufen?« — Den Narren.
 »Wen höret jeder gern genannt?« — Den Weisen.
»Was naht sich Deines Thrones Stufen?« — Narrheit.
»Was hat sich selbst hinweggebannt?« -— Weisheit.

Wie sehr die Weisheit den Kaiser verlassen hat, wie wenig es nötig ist, die Narrheit und den Narren herzurufen, beweist die Thatsache, dafs der Kaiser die ihm natürlich nicht offen und verständlich, sondern rätselhaft umkleidete Wahrheit gar nicht einmal zu verstehen sucht : es wäre ja dann auch für Mephistopheles kein rechter Platz an seiner Seite gewesen. Der Kaiser begnügt sich damit, die leer gewordene Stelle rasch wieder zu besetzen, und nimmt nun seine durch das Fehlen des Narren unterbrochene, jetzt nach dem Ersatz in ihrer Weiterführung nicht weiter gehemmte Anrede an den Staatsrat wieder auf: das ihm wichtigste Geschäft ist erledigt: für den Narren ist gesorgt, nun mag das Wohl des Staates an die Reihe kommen.

Es läfst sich voraussetzen, dafs Mephistopheles für sein Auftreten am kaiserlichen Hofe, ebenso wie bei seiner Annäherung an Faust den geeignetsten Augenblick zu wählen verstanden hat. Der Hof ist in bitterer Not : das Geld fehlt, und Mephistopheles unternimmt es zu schaffen , was fehlt. Er thut dies aber, um Faust bei dem Kaiser in Gunst zu bringen: so soll das Herbeischaffen des Geldes verschoben werden, bis das »bunte Freudenspiel« vorbei ist, ein Vorschlag, dem der Kaiser gerne zustimmt. Dieses Freudenspiel, dessen Ausführung Faust zufällt, soll aber zugleich dem Kaiser die Gelegenheit bieten, das zu thun, was er ohne den Freudentaumel zu thun doch wohl sich länger bedacht, vielleicht ganz abgelehnt hätte : er mufs die Unterschrift für die Anweisung auf Schätze geben, deren Vorhandensein im Schofs der Erde einstweilen zwar vorausgesetzt wird, sich aber vielleicht als Gaukelei herausstellen könnte. So ist der »Mummenschanz«, in dessen Verlauf dem Kaiser die Unterschrift abgelockt wird, als ein für den Fortgang der Handlung notwendiger Bestandteil in das Ganze verwoben.

Durch den Verlauf des Mummenschanzes in seinen Hauptbestandteilen , zu denen die anderen nur Einführung und Vorbereitung bilden , wird nun aber der Wert dieses vom Teufel gegebenen Geschenkes klar genug hingestellt. Als der eigentliche Geber des neuen Reichtums soll Faust gelten : so erscheint er als Gott des Reichtums, während der »Geist des Widerspruchs«, Mephistopheles , als sein Gegenbild , als Geiz , auftritt, um Fausts Erscheinen und Handeln um so mehr zu heben.

Plutus wird herbeigefahren , den Wagen lenkt ein Knabe , den man auch ein Mädchen schelten könnte : der Wagenlenker erklärt sich und seinen Herrn für »Allegorien«, ein Ausdruck, der hier in seiner echten Bedeutung erscheint: Allegorien stellen Gegenstände vor, zu denen die sie darstellenden Gestalten sich fremdkörperlich verhalten — die darstellenden Gestalten haben mit den Gegenständen, die sie darstellen sollen , in körperlicher Beziehung , in ihrer äufseren Erscheinung keinerlei Übereinstimmung. Die »Poesie« und der »Reichtum« sind der körperlichen Erscheinung, wie sie hier von ihnen gegeben wird, durchaus fremd. Die Poesie nun vermag, dem ihr eigentümlichen Wesen entsprechend, köstliche Gaben auszuteilen, die hier als kostbare Schmucksachen erscheinen : aber die Gaben der Poesie bleiben nur für den köstlicher Schmuck, der sie als solchen zu würdigen versteht. Wer sie als Wirklichkeiten auffassen will, für den verlieren sie den Wert und die Erscheinung von Kleinoden : in seiner Hand bleibt nur die Wirklichkeit in ihrer rohen Natürlichkeit zurück. So bleibt in den Händen der rohen Menge , die den in der Bildlichkeit liegenden Wert der Kunst nicht versteht und die in der kost- baren Erscheinung nur den materiellen Wert sucht, eben auch nur die der köstlichen Erscheinung zu Grunde liegende Materialität zurück, hier Käfer und frevle Schmetterlinge. Die Poesie hat darum ihren wahren Platz nur da, wo auf die materielle Grundlage ihrer Gaben nicht Rücksicht genommen zu werden braucht : ihre Stelle ist daher beim Plutus, beim Reichtum, der seine echte Schönheit erst durch die Poesie erhält und dies auch freudig anerkennt. Die Flammen aber, die die Poesie als »gröfste Gaben« ausstreut, sprühen wohl auf einem und dem anderen Kopf in der grofsen Menge, hüpfen aber leicht wieder weg, weil keiner sie recht zu halten versteht: »Gar selten aber flammt's empor Und leuchtet rasch in kurzem Flor; Doch vielen , eh man's noch erkannt , Verlischt es , traurig ausgebrannt.« Das weifs Plutus, und so entläfst er den Wagenlenker aus der traurig ihn mifsverstehenden Umgebung , in die er selbst gekommen ist , um ihren groben Gelüsten zu schmeicheln : »Nur wo du klar ins holde Klare schaust, Dir angehörst und dir allein vertraust, Dorthin, wo Schönes, Gutes nur gefällt, Zur Einsamkeit! — Da schaffe deine Welt!« Der Knabe geht, stets bereit, auf leises Lispeln zu seinem »nächsten Anverwandten« zurückzukehren. Und Plutus, der durch die Poesie gebracht worden ist, schenkt nun Gaben , die ihrem innersten Wesen nach doch auch nur poetisch sind , d. h. Realität nur so lange haben , als man an sie glaubt. So verschwendet er nun seine Gaben, ein Vorbild des Kaisers, wenn dieser die von Faust und Mephistopheles geschaffenen Scheine verschenkt, die auch keinen materiellen Wert besitzen, sondern ihn nur so lange darstellen, als man an ihn glaubt, als man ihm » Kredit« zuschreibt. Nun drängt die Menge ungestüm heran : die Täppischen halten wieder den »art'gen Schein« für »plumpe Wahrheit«, und Plutus mufs die Lästigen zurücktreiben: er thut es mit einem Feuerspiel , das eben , weil es Spiel ist, nicht versengt : so offenbart er hier seine Zaubermacht, seine Herrschaft über das Feuer, das auf seinen Befehl erscheint und auch Schein bleibt: um so ruhiger sehen wir später, wie das Feuerspiel dem Kaiser gegenüber verwendet wird : auch hier bereitet der Dichter die gröfsere Wirkung sorgfältig vor, so dafs sie den Miterleber sachlich nicht erschreckt, sondern, da sie den wohl Vorbereiteten nicht täuscht und für ihn Spiel bleibt, ästhetisch auf ihn wirkt. Nun endlich kommt der grofse Pan, von Plutus allein als der Kaiser gekannt. Faune und Satyrn umtanzen ihn, die Gnomen der Erde , die wissen müssen , welche Schätze der Schofs der Erde birgt — dort liegt angeblich das Gold, auf dessen Dasein hin jetzt das Papiergeld geschaffen werden soll — trippeln herein und wuseln emsig hin und her. Eine Deputation von ihnen wendet sich an den grofsen Pan: sie haben eine wunderbare Quelle des Reichtums entdeckt, »die bequem verspricht zu geben , Was kaum zu erreichen war. Dies vermagst du zu vollenden, Nimm es, Herr, in deine Hut! Jeder Schatz in deinen Händen Kommt der ganzen Welt zu gut!« Diese neue Quelle, hier im Spiel eine Feuerquelle, ist thatsächlich die Anweisung, deren Original der Kaiser, dem Appell an seine der ganzen Welt zu gute kommende Macht nicht widerstehend, jetzt unterschreibt : Faust, des Unrechtes, das geschieht,

sich wohl bewufst, sagt mit Bezug auf die Handlung des Unterschreibens zum Herold: »Wir müssen uns im hohen Sinne fassen, Und was geschieht, getrost geschehen lassen.« Aber der Kaiser darf seinerseits nicht zum Bewufstsein dessen kommen , was er thut. So lenkt Faust seine Aufmerksamkeit durch das Flammengaukelspiel ab : der falsche Bart des Kaisers gerät, wie dieser sich über die von den Gnomen entdeckte Feuerquelle beugt , rasch in Flammen : das Feuer verbreitet sich über ihn, über alle, die zu seiner Rettung herbeieilen — da wird es offenbar, dafs der Verunglückte der Kaiser selbst ist ! Immer weiter verbreiten sich die Gluten, und schon klagt der Herold : »Ein Aschenhaufen einer Nacht Liegt morgen reiche Kaiserpracht. Da wird Plutus der Retter: er löscht die Flammen, er wandelt »in ein Wetterleuchten Solcher eitlen Flammen Spiel!« Und mit dem frohen Bewufstsein, solche Macht zu besitzen, fügt er im Vollgefühl dieses Vermögens die stolzen Worte hinzu: »Drohen Geister uns zu schäd'gen, Soll sich die Magie bethät'gen« : er hat die Geister gerufen : wenn ihr Treiben anfängt lästig zu werden, so ist er der Herr und Meister, der sie wieder bändigen kann, und zwar durch die Magie , deren er sich hier mit Freuden bedient.

Das Ergebnis dieses Flammengaukelspiels ist die höchste Gunst des Kaisers: er wünscht sich solcher Scherze viel, und fordert Faust auf, stets zu solchen Spielen bereit zu sein, wenn die »Tageswelt, Wie's oft geschieht, mir widerlichst mifsfällt«. Aber was er dem Gesamteindruck nach als Spiel aufgefafst hat, zeigt auch seine sehr ernste, in das reale Leben bedeutsam hinübergreifende Seite. Die Not am Hofe ist gestillt, die Ämter schwimmen in Geld, und erstaunt hört der Kaiser den Wortlaut der von ihm unterschriebenen Anweisung. Der Sinnentaumel, in den ihn Fausts zur rechten Zeit geschickt in Szene gesetztes Flammenspiel versetzt hat , bewährt sich jetzt : der Kaiser hat keine Spur von Erinnerung mehr daran, dafs er die Unterschrift vollzogen hat. Seine Entrüstung über einen vorausgesetzten Betrug legt sich, sobald ihm sein Thun bezeugt wird, und nachdem ihm Faust und Mephistopheles nochmals die Berechtigung des Verfahrens dargelegt haben, ergiebt er sich darein und freut sich der reichen Gaben , die er nun verschwenderisch und unterschiedslos austeilt, als ob er der Gott Plutus selbst wäre. Und die rohe Menge säumt nicht, die Niedrigkeit ihrer Gesinnung in der geplanten Verwendung der leicht gewonnenen Schätze zu bewähren: der wieder zum Bewufstsein gekommene echte Narr ist der einzig Vernünftige, der den Phantasiewert der Scheine in reale Werte umzusetzen versteht, ehe der grofse Zusammenbruch erfolgt, der bei dem Schwinden des Kredites des »Papiergespenstes« nicht ausbleiben kann.
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