Qluse in Savoyen den 3. November.
Heute beim Abscheiden von Genf teilte sich die Gesellschaft; der Graf, mit mir und einem Jäger, zog nach Savoyen zu; Freund W. mit den Pferden durchs Pays de Vaud ins Wallis. Wir, in einem leichten Kabriolett mit vier Rädern, fuhren erst, Hubern auf seinem Landgute zu besuchen, den Mann, dem Geist, Imagination, Nachahmungsbegierde zu allen Gliedern heraus will, einen der wenigen ganzen Menschen, die wir angetroffen haben. Er setzte uns auf den Weg, und wir fuhren sodann, die hohen Schneegebirge, an die wir wollten, vor Augen, weiter. Vom Genfer See laufen die vordern Bergketten gegeneinander, bis da, wo Bonneville zwischen der Mole, einem ansehnlichen Berge, und der Arve inne liegt. Da aßen wir zu Mittag. Hinter der Stadt schließt sich das Tal an, obgleich noch sehr breit, die Arve fließt sachte durch, die Mittagseite ist sehr angebaut und durchaus der Boden benutzt. Wir hatten seit früh etwas Regen, wenigstens auf die Nacht, befürchtet, aber die Wolken verließen nach und nach die Berge und teilten sich in Schäfchen, die uns schon mehr ein gutes Zeichen gewesen. Die Luft war so warm wie Anfang Septembers und die Gegend sehr schön, noch viele Bäume grün, die meisten braungelb, wenige ganz kahl, die Saat hochgrün, die Berge im Abendrot rosenfarb ins Violette, und diese Farben auf großen, schönen, gefälligen Formen der Landschaft. Wir schwatzten viel Gutes. Gegen fünfe kamen wir nach Cluses, wo das Tal sich schließet und nur einen Ausgang läßt, wo die Arve aus dem Gebirge kommt und wir morgen hineingehen. Wir stiegen auf einen Berg und sahen unter uns die Stadt an einen Fels gegenüber mit der einen Seite angelehnt, die andere mehr in die Fläche des Tals hingebaut, das wir mit vergnügten Blicken durchliefen und auf abgestürzten Granitstücken sitzend, die Ankunft der Nacht mit ruhigen und mannigfaltigen Gesprächen, erwarteten. Gegen sieben, als wir hinabstiegen, war es noch nicht kühler, als es im Sommer um neun Uhr zu sein pflegt. In einem schlechten Wirtshaus, bei muntern und willigen Leuten, an deren Patois man sich erlustigt, erschlafen wir nun den morgenden Tag, vor dessen Anbruch wir schon unsern Stab weitersetzen wollen.
Abends gegen zehn.
Salenche den 4. Nov. mittags.
Bis ein schlechtes Mittagessen von sehr willigen Händen wird bereitet sein, versuche ich das Merkwürdigste von heute früh aufzuschreiben. Mit Tagesanbruch gingen wir zu Fuße von Cluses ab, den Weg nach Balme. Angenehm frisch war’s im Tal, das letzte Mondviertel ging vor der Sonne hell auf und erfreute uns, weil man es selten so zu sehen gewohnt ist. Leichte, einzelne Nebel stiegen aus den Felsritzen aufwärts, als wenn die Morgenluft junge Geister aufweckte, die Lust fühlten, ihre Brust der Sonne entgegenzutragen und sie an ihren Blicken zu vergülden. Der obere Himmel war ganz rein, nur wenige durchleuchtete Wolkenstreifen zogen quer darüber hin. Balme ist ein elendes Dorf, unfern vom Weg, wo sich eine Felsschlucht wendet. Wir verlangten von den Leuten, daß sie uns zur Höhle führen sollten, von der der Ort seinen Ruf hat. Da sahen sich die Leute untereinander an und sagten einer zum andern: ,,Nimm du die Leiter, ich will den Strick nehmen, kommt, ihr Herrn, nur mit!" Diese wunderbare Einladung schreckte uns nicht ab, ihnen zu folgen. Zuerst ging der Stieg durch abgestürzte Kalkfelsenstücke hinauf, die durch die Zeit vor die steile Felswand aufgestufet worden und mit Hasel- und Buchenbüschen durchwachsen sind. Auf ihnen kommt man endlich an die Schicht der Felswand, wo man mühselig und leidig, auf der Leiter und Felsstufen, mit Hülfe übergebogener Nußbaumäste und daran befestigter Stricke, hinaufklettern muß; dann steht man fröhlich in einem Portal, das in den Felsen eingewittert ist, übersieht das Tal und das Dorf unter sich. Wir bereiteten uns zum Eingang in die Höhle, zündeten Lichter an und luden eine Pistole, die wir losschießen wollten. Die Höhle ist ein langer Gang, meist ebenen Bodens, auf einer Schicht, bald zu einem, bald zu zwei Menschen breit, bald über Mannshöhe, dann wieder zum Bücken und auch zum Durchkriechen. Gegen die Mitte steigt eine Kluft aufwärts und bildet einen spitzigen Dom. In einer Ecke schiebt eine Kluft abwärts, wo wir immer gelassen siebzehn bis neunzehn gezählt haben, eh ein Stein, mit verschiedentlich widerschallenden Sprüngen, endlich in die Tiefe kam. An den Wänden sintert ein Tropfstein, doch ist sie an den wenigsten Orten feucht, auch bilden sich lange nicht die reichen, wunderbaren Figuren wie in der Baumannshöhle. Wir drangen so weit vor, als es die Wasser zuließen, schossen im Herausgehen die Pistole los, davon die Höhle mit einem starken dumpfen Klang erschüttert wurde und um uns wie eine Glocke summte. Wir brauchten eine starke Viertelstunde, wieder herauszugehen, machten uns die Felsen wieder hinunter, fanden unsern Wagen und fuhren weiter. Wir sahen einen schönen Wasserfall auf Staubbachs Art; er war weder sehr hoch noch sehr reich, doch sehr interessant, weil die Felsen um ihn wie eine runde Nische bilden, in der er herabstürzt, und weil die Kalkschichten an ihm, in sich selbst umgeschlagen, neue und ungewohnte Formen bilden. Bei hohem Sonnenschein kamen wir hier an, nicht hungrig genug, das Mittagessen, das aus einem aufgewärmten Fisch, Kuhfleisch und hartem Brot bestehet, gut zu finden. Von hier geht weiter ins Gebirg kein Fuhrweg für eine so stattliche Reisekutsche, wie wir haben; diese geht nach Genf zurück, und ich nehme Abschied von Ihnen, um den Weg weiter fortzusetzen. Ein Maulesel mit dem Gepäck wird uns auf dem Fuße folgen.
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