XIII. Von den Augen und ihrer Entwickelung
85. Jeder Knoten hat von der Natur die Kraft, ein
oder mehrere Augen hervorzubringen; und zwar geschieht
solches in der Nähe der ihn bekleidenden
Blätter, welche die Bildung und das Wachstum der
Augen vorzubereiten und mit zu bewirken scheinen.
86. In der sukzessiven Entwickelung eines Knotens
aus dem andern, in der Bildung eines Blattes an
jedem Knoten und eines Auges in dessen Nähe beruhet
die erste, einfache, langsam fortschreitende Fortpflanzung
der Vegetabilien.
87. Es ist bekannt, daß ein solches Auge in seinen
Wirkungen eine große Ähnlichkeit mit dem reifen
Samen hat; und daß oft in jenem noch mehr als in diesem
die ganze Gestalt der künftigen Pflanze erkannt
werden kann.
88. Ob sich gleich an dem Auge ein Wurzelpunkt
so leicht nicht bemerken läßt, so ist doch derselbe
ebenso darin wie in dem Samen gegenwärtig, und entwickelt
sich, besonders durch feuchte Einflüsse, leicht
und schnell.
89. Das Auge bedarf keiner Kotyledonen, weil es
mit seiner schon völlig organisierten Mutterpflanze
zusammenhängt, und aus derselbigen, solange es mit
ihr verbunden ist, oder, nach der Trennung, von der
neuen Pflanze, auf welche man es gebracht hat, oder
durch die alsobald gebildeten Wurzeln, wenn man
einen Zweig in die Erde bringt, hinreichende Nahrung
erhält.
90. Das Auge besteht aus mehr oder weniger entwickelten Knoten und Blättern, welche den künftigen Wachstum weiter verbreiten sollen. Die Seitenzweige also, welche aus den Knoten der Pflanzen entspringen, lassen sich als besondere Pflänzchen, welche ebenso auf dem Mutterkörper stehen, wie dieser an der Erde befestigt ist, betrachten.
91. Die Vergleichung und Unterscheidung beider ist schon öfters, besonders aber vor kurzem so scharfsinnig und mit so vieler Genauigkeit ausgeführt worden, daß wir uns hier bloß mit einem unbedingten Beifall darauf berufen können.
92. Wir führen davon nur so viel an. Die Natur unterscheidet
bei ausgebildeten Pflanzen Augen und
Samen deutlich voneinander. Steigen wir aber von da
zu den unausgebildeten Pflanzen herab, so scheint
sich der Unterschied zwischen beiden selbst vor den
Blicken des schärfsten Beobachters zu verlieren. Es
gibt unbezweifelte Samen, unbezweifelte Gemmen;
aber der Punkt, wo wirklich befruchtete, durch die
Wirkung zweier Geschlechter von der Mutterpflanze
isolierte Samen mit Gemmen zusammentreffen, welche
aus der Pflanze nur hervordringen und sich ohne
bemerkbare Ursache loslösen, ist wohl mit dem Verstande,
keineswegs aber mit den Sinnen zu erkennen.
93. Dieses wohl erwogen, werden wir folgern dürfen:
daß die Samen, welche sich durch ihren eingeschlossenen
Zustand von den Augen, durch die sichtbare
Ursache ihrer Bildung und Absonderung von den
Gemmen unterscheiden, dennoch mit beiden nahe verwandt
sind.
Inhalt Morphologie
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