> Gedichte und Zitate für alle: Rudolf Magnus-Goethe als Naturforscher - Neunte Vorlesung. Mineralogie, Geologie, Meteorologie. (11)

2019-12-09

Rudolf Magnus-Goethe als Naturforscher - Neunte Vorlesung. Mineralogie, Geologie, Meteorologie. (11)



Neunte Vorlesung. Mineralogie, Geologie, Meteorologie.


Meine Herren! „Ich fürchte den Vorwurf nicht, daß es ein Geist des Widerspruchs sein müsse, der mich von Betrachtung und Schilderung des menschlichen Herzens, des jüngsten, mannigfaltigsten, beweglichsten, veränderlichsten, erschütterlichsten Theiles der Schöpfung zu der Beobachtung des ältesten, festesten, tiefsten, unerschütterlichsten Sohnes der Natur geführt hat." So schreibt Goethe im Jahre 1784 bei seinen Studien über den Granit und wir finden den Dichter mehr als 50 Jahre hindurch mit dem eifrigsten Studium der Erdrinde, ihres Aufbaus und ihrer Entstehung beschäftigt. Es würde den Rahmen dieser Vorträge überschreiten, wenn wir ihm auch auf diesem Gebiete in alle Einzelheiten der fachwissenschaftlichen Forschung folgen wollten. Es soll hier nur ein allgemeiner Überblick über seine Untersuchungen und seine Ansichten gegeben werden. 1 Wie wir schon wissen, ist Goethe aus praktischen Gründen zur Beschäftigung mit der Mineralogie veranlaßt worden. Es handelte sich seit 1776 um die Wiederbelebung des seit langem daniederliegenden Ilmenauer Bergbaues, die Goethe als leitender Minister 1777 in die Hand nahm. Er fand aber in Thüringen bereits den Boden für geologische Studien geebnet, denn durch die Nähe der Freiberger Bergakademie und besonders durch das Wirken des berühmtesten Geologen seiner Zeit, Werners, war das Interesse ein reges geworden. Der Ilmenauer Bergbau war ein Flötzbergbau, und es erwuchs dadurch die Aufgabe, bei der bergmännischen Gewinnung der Erze immer ganz bestimmte Schichten und Plötze wieder zu erkennen. Dabei wurde Goethe auf die große Regelmäßigkeit, mit der die Schichten der Erdrinde gerade in Thüringen angeordnet sind, aufmerksam gemacht, und es wurde das für ihn eine wichtige Stütze der Wernerschen Lehre, der als ein Neptunist die Entstehung der Erdrinde auf das Wirken des Wassers zurückführte. 

1. Eine eingehendere Darstellung und Würdigung dieses Zweiges von Goethes Tätigkeit findet sich in der diesjährigen Jenaer Prorektoratsrede des dortigen Mineralogen G. Linck: Goethes Verhältnis zur Mineralogie und Geognosie (Jena 1906, Gustav Fischer). Auf diese Schrift sei hier besonders hin- gewiesen. Sie liegt auch der nachstehenden Darstellung teilweise zugrunde.

Schon in dieser ersten Zeit hatte Goethe Gelegenheit, auch in andern Sinne sich praktisch zu betätigen. Auf seine Veranlassung wurde 1779 vom Herzog das Walchsche Naturalienkabinet mit einer großen Sammlung von Mineralien erworben und unter der Leitung von Lenz, der nachmals der erste Professor der Mineralogie in Jena wurde, im dortigen Schlosse aufgestellt. Sie wurde nach Werners System geordnet und gab den Grundstock für das später so berühmte mineralogische Museum. Um aber auch für das Bergwesen einen geeigneten Fachmann zu gewinnen, veranlaßte Goethe, daß der Herzog den später berühmten J. C. W. Voigt auf die Bergakademie zum Studium schickte und arbeitete 1780 für diesen eine genaue Instruktion zu einer geologischen Reise durch das Herzogtum aus. 

Goethes geologische Anschauungen, die in Thüringen wurzelten, erweiterten sich auf zahlreichen Reisen um ein Beträchtliches. Schon auf der ersten und zweiten Harzreise hatte er geologische Beobachtungen gemacht und die Bergwerke von Goslar und Klausthal besucht. Die dritte Reise, die er im August und September 1784 mit dem Zeichner Kraus unternahm, war ganz mit diesen Studien ausgefüllt. Das geognostische Tagebuch aus diesen Wochen ist erhalten und gibt Zeugnis von dem Ernst, mit dem die Untersuchungen angestellt wurden, und im Goethehaus befinden sich noch heute die schönen Zeichnungen, welche Kraus von den merkwürdigsten und bedeutendsten Granitformationen der Harzkuppen angefertigt hat, denn dem Studium des Granits war diese Reise hauptsächlich gewidmet. Die zahlreichen Aufenthalte in den böhmischen Bädern gaben Goethe Gelegenheit, auch hier geologische und mineralogische Erfahrungen zu sammeln. Er lernte allmählich diesen Teil Böhmens gründlich kennen, beobachtete die Entstehung der heißen Mineralquellen, befestigte seine neptunistischen Anschauungen und sah die Ausbreitung und den Einfluß der großen Kohlenlager. In der Schweiz und Tirol studierte er Form, Ausbreitung und frühere Wirkungen der Gletscher. In Italien lernte er bei der Besteigung des Ätna und Vesuv, beim Besuch der phlegräischen Felder Bau und Wirksamkeit der Vulkane beurteilen und selbst während der Campagne in Frankreich trieb er mineralogische Forschungen. So war das Anschauungsmaterial beschaffen, das Goethe seinen Erdstudien zugrunde legen konnte. Es ist das wichtig, weil sich durch die Betrachtung dieser Landschaften die durch Werner begründeten neptunistischen Anschauungen mehr und mehr in ihm befestigen mußten. Goethe weist darauf hin, daß er vermutlich nicht ein solcher Anhänger dieser Lehren geworden wäre, wenn er seine ersten Studien z. B. in der vulkanischen Auvergne hätte anstellen können. 

Von diesen Reisen brachte er große Sammlungen mit nach Hause, die er ordnete und aufstellte. Durch Voigt war er in die mineralogische Nomenklatur und Systematik eingeführt worden und so entstand jene große, mehr als 18000 Nummern umfassende Kollektion, die durch ihre Reichhaltigkeit und die Schönheit der Einzelstücke noch heute die Bewunderung der Besucher des Goethehauses erregt. Der größte Teil setzt sich aus Fundstücken von Thüringen, dem Harz und Böhmen zusammen, aber auch die andern Teile Deutschlands, Italien und viele andere Länder sind vertreten. Außerdem werden Verzeichnisse angelegt z. B. von sämtlichen in Thüringen aufgefundenen Fossilien. 

Von besonderer Bedeutung wurde die Sammlung des Steinschneiders Joseph Müller in Karlsbad. Derselbe hatte zunächst für sein Gewerbe viele Mineralien bei Karlsbad gesammelt, seine Kollektion immer mehr erweitert und legte sie 1806 Goethe vor. Dieser ordnete die Mineralien, indem er, vom Granit ausgehend, eine kontinuierliche Reihe der verschiedenen Vorkommnisse aufstellte, und fertigte einen genauen wissenschaftlichen Katalog an. Er veranlaßte nun Müller, diese Mineralien in größerer Anzahl zu sammeln und in gleichartiger Anordnung in den Handel zu bringen. Schon 1806 zeigte Goethe im Intelligenzblatt der Jenaischen Literaturzeitung die Kollektion an und veröffentlichte 1808 den Katalog in v. Leonhards mineralogischem Taschenbuch. Auf diese Weise wurde eine mineralogische Mustersammlung allen Gelehrten in gleichmäßiger Weise zugänglich gemacht und der Bonner Mineraloge Noeggerath bezeichnete sie für Unterrichtszwecke geradezu als die beste. Goethe gab dann an ihrer Hand eine genaue mineralogische Beschreibung der Karlsbader Gegend und ließ 1821 eine ebensolche der Umgebung von Marienbad folgen, der eine entsprechende Sammlung zugrunde lag. Er hat auch später der Karlsbader Sammlung sein Interesse bewahrt und noch 1832 eine Folge von verschiedenen Sprudelsintern, die Müllers Nachfolger Knoll in den Handel brachte, ebenfalls angezeigt 

Als Sammler und Forscher stand Goethe in regem Verkehr mit vielen Fachgenossen. Mineralogische Korrespondenz wurde gepflogen mit den Freunden Merck und v. Knebel, mit v. Trebra, v. Leonhard, Aug. v. Herder, Cramer, dem Grafen Stemberg, Grüner und besonders mit Lenz. Ein lebhafter Tauschverkehr mit diesen Fachgenossen und mit den fernsten und fremdesten entwickelte sich. Vielfach vermittelte auch Goethe den Mineralienaustausch, erweiterte so seine und die Jenaische Sammlung und als der Erwerb des bedeutenden Cramerschen Kabinettes für Jena aus Mangel an Mitteln unterbleiben mußte, sorgte er dafür, daß es nach Heidelberg kam. 

In den Jahren 1796—98 wurde durch Lenz die mineralogische Gesellschaft In Jena gestiftet, die Goethe zu ihrem ersten Ehrenmitglied ernannte. Lenz entfaltete eine außerordentlich große Rührigkeit, neue Mitglieder für die Sozietät zu gewinnen und durch deren Vermittlung die Jenaische Sammlung zu vergrößern. Dadurch wurde diese zu einer der bedeutendsten ihrer Zeit und die auswärtigen Gelehrten strömten herbei, um ihre Schätze zu bewundern.

In der damaligen Zeit gewann die Mineralogie zwei wichtige Hilfswissenschaften in der analytischen Chemie und Kristallographie. Auf die Initiative des großen nordischen Chemikers Berzelius hatte man begonnen, die Gesteine auf ihren Gehalt und ihre chemische Zusammensetzung zu analysieren. Goethe selbst hat solche Analysen nicht ausgeführt, wohl aber die Fortschritte der neuen Wissenschaft mit großem Interesse verfolgt. Zuerst durch Göttling, später durch Döbereiner ließ er sich über die Entwicklung der neueren Chemie auf dem Laufenden halten. Für sein reges Interesse legt die große Sammlung chemischer Hand- und Lehrbücher Zeugnis ab, welche in seiner Bücherei zu finden ist. Weniger hat er sich mit Kristallographie beschäftigt, deren Kenntnis ihm vor allem durch Soret vermittelt wurde. Doch stellte er auch gelegentlich Beobachtungen über das Entstehen, das Wachstum und die Größe der Kristalle an. 

Wenn Goethes mineralogische und geologische Forschungen auch keinen Markstein in der Geschichte dieser Wissenschaften bilden, so hat er doch „den Besten seiner Zeit genug getan". Seine Beobachtungen wurden wenigstens in den späteren Jahren von den Fachgenossen höchlich geschätzt. Er war Mitarbeiter von v. Leonhards mineralogischem Taschenbuch, seine fachwissenschaftlichen Schriften wurden von Noeggerath in der Jenaischen Literaturzeitung einer höchst anerkennenden Kritik unterzogen; er wurde 1822 wegen seiner Forschungen in Nordböhmen zum Ehrenmitglied der unter dem Präsidium des Grafen K. Sternberg gegründeten Gesellschaft des vaterländischen Museums in Böhmen ernannt und die Wernerische naturforschende Gesellschaft in Edinburgh wählte ihn ebenfalls zum Ehrenmitglied. 

So weit der äußere Gang von Goethes Studien; lassen Sie uns jetzt den Inhalt kennen lernen. 

Goethe hat eine Reihe von sorgfältigen Beschreibungen der verschiedensten Mineralien und Gesteine geliefert, zunächst des Granits und seiner verschiedenen Abarten. Die Schilderung der Feldspatzwillinge des Karlsbader Granits wird von Linck geradezu als mustergültig bezeichnet. Sein Verdienst ist auch die Entdeckung eines zweiten grünlich verwitternden Feldspats in diesem Granit Eingehende Studien widmete er dem Vorkommen des Zinns, das er besonders bei Zinnwalde und Altenburg untersuchte. Er schildert genau das granitähnliche Gestein „Greissen", in dem das Zinn enthalten ist, und untersucht die Übergänge vom Granit zu den zinnhaltigen Gesteinen. Die verschiedenen Porphyrarten werden genau untersucht und die Konglomeratsteine und Breccien damit, wenn auch irrtümlicherweise, verglichen. Auch das Vorkommen der böhmischen Granaten ist von Goethe studiert worden. 

Der Granit war für ihn ebenso wie für seine Zeitgenossen das eigentliche Urgestein, die Unterlage aller geologischen Bildung. Ihm hat er jenen herrlichen hymnusartigen poetischen Aufsatz (1784) gewidmet, dem das Zitat am Anfang dieses Vortrags entnommen ist und dessen Lektüre keiner versäumen sollte. Im Granit sieht er die tiefste Schale unsrer Erdrinde, und vom Granit aus untersucht er die ersten Differenzierungen der Gesteinsarten. Im Harz wie bei Marienbad und in den übrigen Gebirgen findet er im Granit das eigentliche Knochengerüst der Gebirgsbildung. Er ist für ihn das letzte Anschauliche, zu dem die Forschung vordringen kann, das geologische „Urphänomen". „Mein Geist hat keine Flügel, um sich in die Uranfänge emporzuschwingen. Ich stehe auf dem Granit fest und frage ihn, ob er uns einigen Anlaß geben wolle, zu denken, wie die Masse, woraus er entstanden, beschaffen gewesen." Nach Goethes Vorstellung hat sich aus dem ursprünglichen feuerflüssigen Zustand der Erde zunächst ein Kern herauskristallisiert, über dessen innere Beschaffenheit wir nichts wissen, dessen äußere Schale aber der Granit ist. Schon bei der ersten Kristallisation und nicht erst bei der späteren Abkühlung sind in diesem die noch heute vorhandenen Risse und Spalten aufgetreten. Über diesem Kern befand sich eine Hülle von Wasser als großer Ozean, aus dem sich nun zunächst Gneis und Glimmer (-schiefer) niedergeschlagen und den Granit bedeckt haben. Daran schloß sich eine Ablagerung von Tonschiefer und den übrigen Gesteinsarten, die Goethe als Übergangsgebirge bezeichnet. Aus den Wassern fand dann eine weitere Sedimentierung statt, deren Ergebnis die Flötzgebirge sind (Sandstein, Kalk, Gips, Kohle usw.). Zu diesen gesellt sich als jüngste Formation das unter dem Einfluß der fließenden Gewässer gebildete auf- und angeschwemmte Land. 

Um sich die Formbildung bei der ersten Kristallisation des Granits zu veranschaulichen, zieht Goethe die noch heute vor sich gehenden Gestaltungen der großen Schnee- und Gletschermassen heran. Die Bildung der Granitklippen im Harze wird direkt mit der Bildung der Eistürme und Seracs in den Gletscherabbrüchen verglichen. Die schon bei der ersten Bildung auftretenden Risse und Spalten sollten eine gewisse Tendenz haben, in bestimmten Richtungen (nord-südlich) zu verlaufen. Dazwischen sollten sekundäre Spalten entstanden sein (ostwestlich), aber nicht rechtwinklig, sondern schräg zu jenen ersten Spalten. So sollten die ursprünglichen Formen der Granitmassen rhombisch ausgebildet gewesen sein. Für diese Spaltenbildung führt Goethe als noch heute zu beobachtende Beispiele die Risse an, die sich in erweichtem Lehm beim Trocknen oder in zu stark geglühten Ziegelsteinen bilden. Den Grund für das Auftreten dieser Spalten gleichzeitig mit der ersten Kristallisation sieht er darin, daß jede Solideszenz wie auch die des Eises mit einer Erschütterung verbunden sei, und diese letztere dient ihm dazu, manche heute gewaltsam scheinenden Formen zu erklären. Die Entstehung der Klüfte und im Zusammenhang damit der Ursprung der Gänge, z. B. der erzhaltigen Gänge und Adern im Gestein war für Goethe ein Problem, über dessen Lösung er vielfach nachdachte. Im ganzen neigte er dabei zu der Ansicht, daß dieselben gleichzeitig mit den umgebenden Gesteinen bei deren erster Gestaltung und Solideszenz entstanden seien. Er hielt überhaupt manches, wie er an V. Leonhard schreibt, für simultan entstanden, was andere auf verschiedene Bildungsepochen zurückführen wollten. Er versuchte geradezu, vom Granit, dessen verschiedene Bestandteile so eng miteinander verbunden sind, daß man keine Kontinens und kein Kontentum unterscheiden kann, alle Übergänge bis zu den porphyrartigen Bildungen aufzufinden, bei denen die Teile einer Gesteinsart gleichsam in eine andere eingeschmolzen erscheinen, und schloß hieran die Konglomerate und Breccien, bei denen Gesteinstrümmer in eine gemeinsame Bindemasse eingelagert sind. Auch diese letzteren sollten nach Goethe simultan entstandene Gesteine darstellen, eine Ansicht, die heute als widerlegt angesehen werden kann. 

Die Phänomene der Ablagerung und Sedimentierung studierte Goethe an den gleichmäßig gelagerten Schichten Thüringens und an dem geologischen Aufbau Böhmens, das er als einen uralten Binnensee ansah. Als noch heute fortdauerndes Beispiel solchen Absetzens von Gesteinen betrachtete er die Bildung des Sprudelsteins und Sinters aus den Karlsbader Quellen. Für die Beurteilung des Alters der verschiedenen abgesetzten Schichten und Flötze benutzte er die in ihnen eingeschlossenen Versteinerungen. Er ist höchstwahrscheinlich der erste gewesen, der die Bedeutung der Versteinerungen zu diesem Zweck erkannt hat, denn schon 1782 schreibt er an Merck: „Es wird bald die Zelt kommen, wo man Versteinerungen nicht mehr durcheinanderwerfen, sondern verhältnismäßig zu den Epochen der Welt rangieren wird." Er selbst hat dieses Kriterium gelegentlich verwendet und z. B. einen Schiefer als späte Formation angesprochen, weil sich Larven von Wasserinsekten In ihm fanden.

Die ursprünglich gebildeten Schichten und Gebirgsformen werden nun fortwährend umgebildet und umgestaltet durch die langsam wirkenden Einflüsse des Wassers und der Atmosphäre. Vor allem studiert Goethe den Einfluß der Verwitterung auf die einzelnen Mineralien im kleinen und auf die Gebirgsform im großen und schreibt diesem Faktor die allerwichtigste Bedeutung zu. Er schildert, wie man die groteskesten Bildungen aus Granit, wie sie z, B. an der Luisenburg bei Alexandersbad vorkommen, auch ohne die Mitwirkung vulkanischer Kräfte begreifen könne, wenn man annimmt, daß einzelne Teile des ursprünglichen Granitmassivs verwittert und die widerstandsfähigeren Blöcke dann übereinandergestürzt seien. Er zeigt, daß unter dem Einfluß der Ausdünstung der Marienbader Quellen die umliegenden Gesteine zu Gebilden verwittern, welche vulkanischen Mineralien ganz ähnlich sehen. 

Besonderes Interesse widmete er dem Auftreten der Findlinge und erratischen Blöcke in den Alpen und der norddeutschen Tiefebene. Er führt dieses auf verschiedene Ursachen zurück. Die Granitblöcke des Rhonetales sind seiner Meinung nach in früheren Zeiten durch Gletscher dahin transportiert worden. Viele Blöcke in Norddeutschland betrachtet er aber als Reste einer alten Urgebirgsreihe, die der Verwitterung entgangen seien, und führt als deren wichtigstes Beispiel den Heiligendamm an. Außerdem aber läßt er eine Reihe dieser Findlinge auf Eisschollen und Eisbergen von Skandinavien her übers Meer angeschwemmt sein und schließt sich damit einer Hypothese Voigts an, besonders als tatsächlich das Anschwemmen skandinavischer Gesteinsarten auf Eisschollen an der Ostseeküste durch Preen beobachtet wurde. Im Anschluß an diese Betrachtung entwickelt nun Goethe die Vorstellung einer Eiszeit, und es scheint, daß er tatsächlich der erste gewesen ist, der eine solche Epoche angenommen hat. „Ich habe eine Vermutung, daß eine Epoche großer Kälte wenigstens über ganz Europa gegangen sei." Damals habe sich das Meer noch bis auf 1000 Fuß Höhe über den Kontinent erstreckt, der Genfer See sei mit dem Ozean in Zusammenhang gewesen, und die Gletscher seien von den Alpen bis zum Genfer See heruntergegangen. Auch in Wilhelm Meisters Wanderjahren kehrt diese Anschauung wieder. Überhaupt hat Goethe bei seinen geologischen Studien eine Reihe von Vorstellungen entwickelt, welche erst später zu allgemeiner Anerkennung gelangt sind. Außer seiner Ansicht über die historische Bedeutung der Versteinerungen und seiner Annahme einer Eiszeit war es besonders die Überzeugung, daß die bei der Erd- und Gebirgsbildung wirksamen Kräfte dieselben seien, wie wir sie jeden Tag, nur modifiziert, gewahr werden.

Daher auch sein Bestreben, für die geologischen Prozesse in unserer heutigen Umgebung anschauliche Beispiele, wie z. B. die Gestaltung des Gletschereises, zu finden. „Was mich betrifft, so traue ich der Natur zu, daß sie noch am heutigen Tage Edelsteine uns unbekannter Art bilden könne." Ja, er dehnt diese Vorstellung sogar auf das Gestein aus, das für ihn die Grundlage bildet, auf den Granit: „Es ist sehr möglich, daß Granit mehrmals vorkommt." Da für die Erdgestaltung seiner Ansicht nach die noch heute spielenden Kräfte genügen und die Umbildung der Erdoberfläche in unsern Tagen nur eine sehr langsame ist, so mußte schon Goethe zu der jetzt allgemein angenommenen Überzeugung kommen, daß die Perioden der Erdbildung von ganz außerordentlich langer Dauer gewesen seien, und er legt diese seine Überzeugung im 2. Teile des Faust dem Thaies in den Mund: 

„Nie war Natur und ihr lebendiges Fließen 
Auf Tag und Nacht und Stunden angewiesen; 
Sie bildet regelnd jegliche Gestalt, 
Und selbst im Großen ist es nicht Gewalt." 

So sehen wir, wie Goethe durch seine geologischen Studien zu ganz modernen Anschauungen über die Erdbildung geführt wird. Die Zeit, in welche seine Beschäftigung mit der Geologie fiel, wurde beherrscht durch den Streit zwischen Neptunisten und Vulkanisten, zwischen denjenigen, welche dem Wasser, und denjenigen, welche den vulkanischen Kräften den Hauptanteil an der Gestaltung unserer Erde zuschrieben. Der alte Gegensatz ist heute längst ausgeglichen. Man hat dem Wasser und dem Feuer beiden ihren gebührenden Anteil an dem geologischen Geschehen zugewiesen. In der damaligen Zeit aber tobte der Streit mit der größten Heftigkeit. Goethe hat sich im großen und ganzen von den Übertreibungen der beiden Lehren fern zu halten gewußt. Dem ganzen Gange seiner Ausbildung nach neigte er mehr zu den neptunistischen Anschauungen Werners und klagte in den „Zahmen Xenien": 

„Kaum wendet der edle Werner den Rücken, 
Zerstört man das Poseidaonische Reich; 
Wenn alle sich vor Hephästos bücken, 
Ich kann es nicht sogleich: 
Ich weiß nur in der Folge zu schätzen, 
Schon hab' ich manches Credo verpaßt. 
Mir sind sie alle gleich verhaßt 
Neue Götter und Götzen." 

Die großartigste Darstellung dieses wissenschaftlichen Streites aber hat er im 2. Teil des Faust gegeben. In der klassischen Walpurgisnacht läßt er Thales als Neptunist und Anaxagoras als Vulkanist über Gebirge und Meere wandern und stellt ihre Ansichten in scharfen Gegensatz. Auch hier läßt er ahnen, daß er selbst auf Seite des Thales steht und verspottet die Lehren der ungestümen Vulkanisten,

die sich nicht scheuen würden, selbst Steine vom Monde herabfallen zu lassen. Trotzdem wird auch im Faust eine endgültige Entscheidung über den Streit nicht gegeben, vielmehr die Bergentstehung nach vulkanistischer Ansicht durch Seismos (Erdbeben) anschaulich vorgeführt: 

„Das hab' ich ganz allein vermittelt. 
Man wird mir's endlich zugestehn: 
Und hätt' ich nicht geschüttelt und gerüttelt, 
Wie wäre diese Welt so schön?" 

Demgegenüber aber bleibt Thales auf seinem neptunistischen Standpunkt, den er in den herrlichen Versen ausspricht: 

„Alles ist aus dem Wasser entsprungen!! 
Alles wird durch das Wasser erhalten! 
Ocean, gönn' uns Dein ewiges Walten. 
Wenn Du nicht Wolken sendetest, 
Nicht reiche Bäche spendetest, 
Hin und her nicht Flüsse wendetest. 
Die Ströme nicht vollendetest, 
Was wären Gebirge, was Ebnen und Welt? 
Du bist's, der das frischeste Leben erhält." 

Goethes eigene Stellung zu der Wirksamkeit und Bedeutung vulkanischer Kräfte ist im Laufe seiner Forschungen eine wechselnde gewesen. Er hat sich ihrer Bedeutung wohl niemals verschließen können, schreckte aber vor den Übertreibungen der damaligen Schule zurück. Er versuchte vieles, was als Produkt vulkanischer Eruptionen auftrat, im Anschluß an Werner auf unterirdische Erdbrände zurückzuführen, als deren Träger man besonders die großen Steinkohlenlager betrachtete. Vor allem glaubte er solche Vorkommnisse in Böhmen zu finden. Das Brennen der Gesteine sollte durch die eingelagerten vegetabilischen Reste erleichtert werden. So fand er z. B. bei Grünlaß einen Brandschiefer, der an der Flamme entzündet werden konnte. Von diesem Gesichtspunkte aus studierte er den Einfluß des Brennens und Glühens auf eine ganz beträchtliche Anzahl von Gesteinsarten, und es ist uns noch ein Verzeichnis von 38 verschiedenen Mineralien erhalten, die er 1820 in Zwetzen dem Feuer des Töpferofens aussetzen ließ, um die Wirkung des Glühens zu ermitteln. Solche Versuche hat er noch mehrfach angestellt, und sie waren für die Beurteilung des in der Natur Vorkommenden für ihn von großer Bedeutung. So fand er „uralte neuentdeckte Naturfeuer- und Glutspuren" 1824 bei Pograd in Böhmen und studierte bei Karlsbad den Einfluß solcher Erdbrände auf schieferigen Ton und Quarz, wodurch sich schließlich Erdschlacken bilden. Solchen Prozessen schrieb er einen sehr großen Einfluß zu, verschloß sich aber doch nicht der Erkenntnis, daß auch vulkanische Kräfte angenommen werden müßten. So hat er selbst 1808 den Kammerbühl bei Eger, dessen vulkanische Gesteinsarten er sammelte und genau beschrieb, als einen alten submarinen Vulkan angesprochen und 1822 den Vorschlag gemacht, zur Befestigung dieser Meinung der Seite her einen Stollen in den Berg einzutreiben, um seinen Aufbau studieren zu können, ein Projekt, das nach seinem Tode vom Grafen Sternberg tatsächlich ausgeführt worden ist. 1824 aber glaubte er doch wieder auch pseudovulkanische Prozesse hier zu erkennen und ließ den Basalt des Kammerberges durch Brand eines darüber liegenden Gemenges von Tonschiefer und Steinkohle nachträglich verändert sein. 

Seiner Meinung nach sind die Vulkane nicht gemeinsamen Ursprungs aus einem feuerflüssigen Kern der Erde, sondern entstehen rein lokal, wenn Wasser an Stellen in die Tiefe dringt, wo unterirdische Brände stattfinden. Daher liegen die Vulkane auch meist in der Nähe des Meeres; bei den feuerspeienden Bergen der höchsten Anden Südamerikas wird das Wasser vom schmelzenden Schnee geliefert. Eines der Probleme, das Goethe und seine Zeitgenossen beschäftigte, war die Entstehung des Basalts, der für eine sehr junge Formation gehalten wurde und einen Hauptstreitpunkt zwischen Neptunisten und Vulkanisten bildete. Auch Goethe hat über diese Streitfrage geforscht und geschrieben und Vergleichsvorschläge für die widerstrebenden Meinungen gemacht, ohne zu einem endgültigen Ergebnis zu gelangen. Daher sein Stoßseufzer:

 „Amerika, du hast es besser 
Als unser Continent, das alte, 
Hast keine verfallenen Schlösser 
Und keine Basalte."

In einem Punkte war aber Goethes Stellungsnahme gegen die Vulkanisten eine durchaus entschiedene und klare. Er lehnte grundsätzlich die Annahme ab, daß unsere Erdoberfläche nach ihrer ersten Gestaltung noch nachträglich durch Heben und Senken, durch Faltungen, durch Risse und Verwerfungen umgestaltet worden sei. Die damaligen Vulkanisten ließen diese Vorgänge, für welche man heute Zeiträume von langer Dauer annimmt, katastrophenähnlich ganz plötzlich eintreten und ganze Gebirge auf einmal sich zu ihrer vollen Höhe erheben. Dagegen hat Goethe immer wieder aufs energischste Front gemacht. „Die Sache mag sein wie sie will, so muß geschrieben stehen, daß ich diese vermaledeite Polterkammer der Weltschöpfung verfluche." Wir haben schon gehört, daß Goethe die Gebirge in ihren Hauptformen schon bei der ersten Entstehung des Granits in allen wesentlichen Zügen ausgebildet sein ließ und keine spätere Gebirgsbildung mehr annahm. In diesem Sinne spricht Faust: 

«Gebirgesmasse bleibt mir edel — stumm, 
Ich frage nicht woher und nicht warum? 
Als die Natur sich in sich selbst gegründet, 
Da hat sie rein den Erdball abgerundet, 
Der Gipfel sich, der Schluchten sich erfreut 
Und Fels an Fels und Berg an Berg gereiht; 
Die Hügel dann bequem hinabgebildet, 
Mit sanftem Zug sie in das Thal gemildet, 
Da grünt's und wächst's, und um sich zu erfreuen 
Bedarf sie nicht der tollen Strudeleien."

Die Ansicht seiner Gegner aber persifliert die Erzählung Mephistos, wie die Teufel im Innern der Erde eingeschlossen husten und pusten und durch die so produzierten Gase die Erdoberfläche umgestalten. Der Hauptgrund für Goethe, diese nachträglichen Formänderungen der Erdoberfläche zu verwerfen, war die in Mitteldeutschland schon im Anfang seines geologischen Studiums gemachte Erfahrung, daß die Schichten und Plötze mit größter Regelmäßigkeit angeordnet sind. Was er hier vor Augen sah, übertrug er auch auf andere Gebiete. An Stellen, wo die geologischen Schichten nicht horizontal, sondern mehr oder weniger geneigt gestellt sind, glaubte er sogar hypothetisch annehmen zu dürfen, daß auch solche Ablagerungen ursprünglich seien. Ein Hauptbeweisstück für Höhenveränderung der Erde in historischen Zeiten war der Serapistempel in Pozzuoli, dessen noch aufrechte Säulen in der Mitte des Schaftes von Bohrmuscheln angefressen sind, jetzt aber wieder in freier Luft stehen, v. Hoff sah hierin, in Übereinstimmung mit der heute allgemein angenommenen Meinung, den Beweis, daß das Meer im Mittelalter diesen Küstenstrich überflutet und dieser sich später wieder gehoben habe. Goethe aber setzt an der Hand von Zeichnungen auseinander, daß bei der Verschüttung des Tempels sich höchstwahrscheinlich in der Mitte eine Vertiefung und ein See gebildet habe, in dem die Bohrmuscheln leben konnten, ohne daß man solche nachträgliche Hebungen annehmen müsse. 

Ebenso wie die Vulkane, so ließ Goethe auch die heißen Quellen rein lokalen Ursprungs sein und leitete sie von dem Oberflächenwasser ab, das in die Tiefe dringt Er war überzeugt, daß die Karlsbader Thermen aufhören würden zu sprudeln, wenn man die Tepel aus ihrem Bette ableiten würde. Das Oberflächenwasser, in die Tiefe dringend, sollte seiner Ansicht nach das feste Gestein durch die Benetzung wie eine galvanische Säule in Tätigkeit und Hitze bringen und so die Entstehung der Thermen veranlassen. Diese Meinung behielt er auch später noch bei, gegenüber der allgemein angenommenen Ansicht, daß die Quellen „aus dem siedenden Abgrund unserer Erdkruste hervordringen" Auch praktisch hat sich Goethe einmal mit Balneologie beschäftigt und 1812 ein eingehendes Gutachten darüber verfaßt, ob die Schwefelquellen bei Berka durch die Anlage eines Badeortes nutzbar gemacht werden sollten. Diese durch ihre Gründlichkeit mustergültige Schrift, die auf einer Analyse Döbereiners fußt, enthält genaue Angaben über die voraussichtliche Ergiebigkeit der Quellen, Ober Anlagen zur Erwärmung des Wassers, zu Dampf- und Schlammbädern, über den Versand des Wassers und über die praktische Einrichtung des Badeortes.

Es werden wohl wenige Geologen, wenn sie eine ihrer schön und deutlich kolorierten Karten [zur Hand nehmen, sich dessen bewußt sein, daß diese Farbengebung auf Goethe zurückgeht. Als Käfersteins geognostisch-geologische Karte von Deutschland 1821 erschien, wurde die Kolorierung, die in den wesentlichsten Zügen noch die heute maßgebende ist, nach Goethes Vorschlägen ausgeführt, der dabei von zwei Gesichtspunkten ausging: einmal die einzelnen geologischen Schichten so zu färben, daß sie sich möglichst voneinander unterscheiden, und zweitens, die Färbung der gesamten Karte harmonisch zu gestalten. So spielen Goethes Studien zur Farbenlehre hinüber bis in die praktische Geologie der neuen Zeit. 

Dieser kurze Überblick über Goethes mineralogische und geologische Tätigkeit läßt erkennen, daß er auch hier gründlich geforscht und sein Wissen in die Tiefe und die Breite ausgedehnt hat. Im Gegensatz zu den optischen Studien, in denen er stets mit der größten Entschiedenheit und dem ausgesprochendsten Selbstgefühl auftritt, ist er in seinen geologischen Schriften viel zurückhaltender und bescheidener. Er war sich wohl bewußt, daß das ihm zugängliche Tatsachenmaterial nur eine unzureichende Grundlage abgab, die Entstehung des Erdballs zu erklären, und deshalb hat er auf geologischem Gebiete die Notwendigkeit, Hypothesen zu Hilfe zu nehmen, stets anerkannt. Charakteristisch aber für seine Forschungsweise ist, daß er auch hier immer das Tatsächliche und das Hypothetische sorgfältig auseinander hält, die Tatsachen möglichst genau sammelt, sichtet und registriert, in den Hypothesen sich selbst aber eine Meinungsänderung vorbehält. 

An die Besprechung der mineralogischen Arbeiten schließen wir die von Goethes meteorologischen Untersuchungen an. Ebenso wie er die Phänomene auf und unter der Erde zu ergründen suchte, so entgingen die zahlreichen Erscheinungen in dem Luftmeer seiner Beobachtung nicht. Dazu wurde er schon durch Erfahrungen am eigenen Körper veranlaßt, denn es ist bekannt, daß er gegen Witterungsumschläge sehr empfindlich war und unter dem trüben Klima Weimars litt Es ist dies einer der Gründe für seine dauernde Sehnsucht nach den südlichen Lüften Italiens. So wurde er schon früh zu Beobachtungen über die Witterung veranlaßt und lernte regelmäßig auf die Änderungen des Barometerstandes achten. Bereits auf der ersten Schweizerreise und auf der italienischen Reise machte er Notizen über Wind und Wolkenformen. Es blieben aber alle diese Beobachtungen nur vereinzelt, weil es ihm zunächst nicht möglich war, In die schier unendliche Fülle der wechselnden Erscheinungen, wie sie besonders die Wolkenbildung zeigte, irgend welche Regelmäßigkeit zu bringen.

Da wurde die Terminologie der Wolkenform, welche Luke Howard 1803 veröffentlichte und die 1815 zu Goethes Kenntnis kam, für ihn der Ausgangspunkt zu neuen Untersuchungen. Er ergriff diese Einteilung „mit Freuden, weil sie ihm einen Faden darreichte, den er bisher vermißt hatte". Jetzt konnte er seine Beobachtungen über Wolkenform und Bewölkung in ein festes Schema bringen und so wissenschaftlicher Bearbeitung zugänglich machen. Er gewöhnt sich, „die Bezüge der atmosphärischen und irdischen Erscheinungen mit Barometer und Thermometer in Einklang zu setzen". Die Howardschen Wolkenbezeichnungen Stratus, Cumulus, Cirrus und Nimbus, von Goethe noch durch die der Wolkenwand Paries vermehrt, werden auch heute noch in der Meteorologie verwendet. Goethe schreibt schon 1817 einen Aufsatz „Wolkengestaltungen nach Howard" und macht bei seinen Reisen in die böhmischen Bäder 1820—23 genaue tagebuchartige Aufzeichnungen über Wolken und Wetter. Durch die einfache Howardsche Nomenklatur war ihm plötzlich die Möglichkeit geworden, sich in den Wirrsalen der atmosphärischen Erscheinungen zurecht zu finden, daher auch seine große Verehrung für den englischen Forscher: 

„Dich im Unendlichen zu finden, 
Mußt unterscheiden und dann verbinden; 
Drum danket mein beflügelt Lied 
Dem Manne, der Wolken unterschied."

Zu Howards Ehre und zur Erläuterung seiner Lehre schreibt er das schöne Gedicht „Howards Ehrengedächtnis" und läßt sich von ihm eine Autobiographie schicken, der Howard 1822 sein Werk „Das Klima von London" folgen ließ. 

Schon 1822 sind Goethes Beobachtungen und Überlegungen so weit gediehen, daß er einen Aufsatz „Über die Ursachen der Barometerschwankungen" schreibt und 1825 den „Versuch einer Witterungslehre" verfaßt. Er geht dabei von der Tatsache aus, daß das Barometer an verschiedenen Orten im Laufe eines Monats völlig gleichartige Schwankungen ausführt. Vom Meer bis zur Höhe von 2000 Fuß, von Boston bis Karlsruhe, von London bis Wien hatten z. B. im Dezember 1822, wie eine graphische Aufzeichnung des Jenenser meteorologischen Beobachters Schrön zeigte, die Kurven der Barometerschwankungen völlig parallelen Verlauf. Daraus folgerte Goethe, daß die Ursache der Barometerschwankungen nicht in irgend welchen lokalen Veränderungen gesucht werden dürfte, und er macht weiter energisch Front gegen die damals verbreitete Lehre, daß der Mond oder die Planeten die Barometerschwankungen nach Art einer Ebbe und Flut der Atmosphäre verursachen könnten. So kam er dazu, die periodischen Änderungen des Luftdrucks, wie sie das Barometer anzeigt, auf eine periodische Veränderung der ; Schwerkraft zurückzuführen. Die Erde sollte ihren Dunstkreis zeitweise mehr und zeitweise weniger anziehen. Diese Hypothese, welche er schon 1816 in der italienischen Reise angedeutet hatte, versuchte er des weiteren auszuführen und zu begründen, war sich allerdings völlig darüber klar, daß es eben nur eine Hypothese war. „Ob ich gleich mir nicht einbilde, daß hiermit alles gefunden und abgetan sei, so bin ich doch überzeugt: wenn man auf diesem Wege die Forschungen fortsetzt und die sich hervortuenden näheren Bedingungen und Bestimmungen genau beachtet, so wird man auf etwas kommen, was ich selbst weder denke noch denken kann, was aber sowohl die Auflösung dieses Problems als mehrerer verwandter mit sich führen wird." Goethe hat mit dieser Prophezeiung recht behalten. Seine Hypothese hat sich als unrichtig erwiesen, weil das Beobachtungsmaterial, auf dem er fußte, noch zu klein war. Ausgedehnte Untersuchungen haben gezeigt, daß die Barometerschwankungen auf der ganzen Erde durchaus nicht immer gleichsinnig verlaufen. Aber die von Goethe angestrebte und veranlaßte Reihe fortgesetzter meteorologischer Beobachtungen hat tatsächlich im Laufe der Zeit zur Aufklärung der schwierigen Witterungsprobleme geführt 

Goethe beobachtet weiterhin den Zusammenhang zwischen Barometerstand und Wolkenbildung, macht auf den Einfluß der Gebirge auf die Wolkenbildung aufmerksam, erörtert den Zusammenhang der Windrichtungen mit dem Barometerstand und findet, daß zwischen den Schwankungen des Thermometers und des Barometers keine direkte Abhängigkeit bestehen könne. Er sammelt zahlreiche Einzelbeobachtungen über seltenere atmospärische Erscheinungen, Nordlicht, Nebensonnen usw. und sieht die Atmosphäre als in mehrere aufeinander folgende Schichten gegliedert an, in denen gleichzeitig verschiedene Witterungsphänomene eintreten können. 

So gewinnt Goethe eine genaue Kenntnis der Vorgänge, die sich im Luftmeer abspielen, und sucht, wenn auch ohne großen tatsächlichen Erfolg, in die Gesetzmäßigkeit dieser Phänomene einzudringen. Sehr viel größere Bedeutung als seine theoretischen Studien zur Meteorologie besitzen seine praktischen Anregungen. Ihm ist vor allem die Gründung zahlreicher meteorologischer Stationen, zunächst im Herzogtum Weimar, dann auch im weiteren Deutschland zuzuschreiben. Er selbst arbeitet mit Hilfe der Jenenser Meteorologen 1817 eine ganz genaue Instruktion für die Beobachter auf den verschiedenen Stationen aus, welche durch Zweckmäßigkeit und Übersichtlichkeit noch heute Bewunderung verdient, und sorgt dafür, daß das Material wissenschaftlich verarbeitet wird. Er dringt darauf, daß das Netz der meteorologischen Stationen bis auf die höchsten Berge ausgedehnt wird, verschafft sich Beobachtungen vom großen St. Bernhardt, regt an, daß auch auf der Höhe des Meeres solche Untersuchungen angestellt werden. Die Gründung der meteorologischen Station auf der Schneekoppe ist ebenfalls auf seine Anregung zurückzuführen. So legte er den Grund für das dichte Netz von Beobachtungsstationen, die heute alle zivilisierten Länder überziehen, und wenn uns heute der Telegraph von diesen Stationen relativ zuverlässige Wetterprognosen übermittelt und wenn wir heute über die Ursache der Winde, über die Gesetze der Barometerschwankungen besser unterrichtet sind als vor hundert Jahren, so haben dazu nicht zum kleinsten Teil die praktischen Anregungen beigetragen, die Goethe zur Beförderung meteorologischer Untersuchungen gegeben hat.

Goethe auf meiner Seite

weiter

Inhalt

Keine Kommentare: