> Gedichte und Zitate für alle: Veit Valentin: C. Die ausleitende Handlung i. auf Erden. V. 11378— 11843. (20)

2019-12-14

Veit Valentin: C. Die ausleitende Handlung i. auf Erden. V. 11378— 11843. (20)

Veit Valentin: Goethes Faustdichtung in ihrer künstlerischen Einheit

Die ausleitende Handlung i. auf Erden. V. 11378— 11843.

Wie Faust sich einst durch einen Fluch von Gott schied und dann mit dem Teufel einen Vertrag schlofs, so scheidet er sich jetzt vom Teufel durch einen Fluch und bahnt sich dadurch die Rückkehr zunächst zu sich selbst, späterhin zu Gott. Hierzu mufs er frei von allem Spuk- und Zauberwesen sein: das kann er aber nur werden, wenn er der Magie überhaupt entsagt, die ihn, nach seiner Überzeugung, mit der teuflischen Geisterwelt in Verbindung gebracht hat. So bricht er jetzt in die Worte tiefster Sehnsucht aus : »Noch hab' ich mich ins Freie nicht gekämpft. Könnt' ich Magie von meinem Pfad entfernen, Die Zaubersprüche ganz und gar verlernen, Stund' ich, Natur ! vor dir ein Mann allein, Da wär's der Mühe wert ein Mensch zu sein ! « Einst hatte er sich der Magie ergeben, in der Hoffnung, dafs ihm «durch Geistes Kraft und Mund« manch Geheimnis offenbar würde; er hatte sich gesehnt, um Bergeshöhle mit Geistern zu schweben; er hatte von der Natur die Unterweisung gehofft, wie Geist zum Geiste sprechen zu können : jetzt will er Magie und Zaubersprüche verlernen , der Natur als Mann gegenüberstehen; er hat erkannt, dafs es dann der Mühe wert, ist ein Mensch zu sein. Und dies war er einst: »Das war ich sonst, eh' ich's im Düstern suchte, Mit Frevelwort mich und die Welt verfluchte.« Jetzt ist es ihm nicht mehr möglich: »Nun ist die Luft von solchem Spuk so voll, Dafs niemand weifs, wie er ihn meiden soll.« Da mufs Hilfe von aufsen ihm entgegenkommen, und diese bleibt ihm auch nicht aus.

Gerade ein Spuk, nach seiner Auffassung, ist es gewesen, der ihm diesen Seufzer aus der Seele prefste. Als er dem Brande der Kapelle zusah, da brachte der Wind Rauch und Dunst zu ihm heran. Der Rauch nimmt Gestalt an, und schattenhaft schweben vier graue Weiber zu ihm her: Mangel, Schuld, Sorge, Not. Nur die Sorge dringt in den Palast ein, die anderen gehen wieder davon, sehen aber wie »von ferne, von ferne, Da kommt er, der Bruder, da kommt er, der Tod«. Und doch kann Faust nicht eher aus dem Leben scheiden, als bis er sein Ziel erreicht hat. Dazu mufs er wieder in vollem Sinne des Wortes Mensch werden. Einen Menschen ohne Sorge giebt es nicht. Als Faust die Sorge von sich zurückwies, in ihr den Grund zu erkennen glaubte, dafs er den Göttern nicht gliche, da wies er damit das Menschentum von sich zurück. Er hatte gesehen, wie sie sich in alles drängt, immer in neuer Form erscheint, so das Leben ausfüllt und es hindert, sich frei, den Göttern gleich, zu entfalten. »Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen, Dort wirket sie geheime Schmerzen, Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh ; Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu, Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen, Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift; Du bebst vor allem, was nicht trifft, Und was du nie verlierst, das mufst du stets beweinen« (V. 644 ff.). Durch seine Verbindung mit der Magie, dann mitMephistopheles hat er alle Sorge hinter sich gebracht. Wie nun die Sorge zu ihm tritt und ihm sagt: »Hast du die Sorge nie gekannt?« mufs er antworten: »Ich bin nur durch die Welt gerannt. Ein jed Gelüst ergriff ich bei den Haaren, Was nicht genügte, liefs ich fahren, Was mir entwischte, liefs ich ziehn.« Ja, selbst das Jenseits hat ihm keine Sorge gemacht: »Thor! wer dorthin die Augen blinzelnd richtet, Sich über Wolken seinesgleichen dichtet; Er stehe fest und sehe hier sich um, Dem Tüchtigen ist diese Welt nicht stumm.« Nichts kann ihn aus der Fassung bringen, dafür aber ist er auch »unbefriedigt jeden Augenblick«. Wen aber die Sorge besitzt: »Bei vollkommnen äufsern Sinnen Wohnen Finsternisse drinnen.« Sie macht ihm das Leben in jeder Weise unerträglich. So will Faust, der zwar weifs, dafs man Dämonen schwerlich los wird, doch ihre Macht nicht anerkennen : er mufs es aber dennoch thun. Indem die Sorge sich mit Verwünschung von ihm wegwendet, haucht sie ihn an und blendet ihn: »Die Menschen sind im ganzen Leben blind, Nun, Fauste! werde du's am Ende!« Durch die Blendung seines Augenlichtes findet sie den von ihm verweigerten Eintritt in sein Herz.

Mit der Sorge ist die Phantasie aufs engste verbunden : ohne Phantasie giebt es keine Sorge : ihr hatte Faust schon früher die Schuld gegeben, dafs sie, während sie sich »sonst mit kühnem Flug Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert«, nun an kleinem Raum genug hat, »wenn Glück auf Glück im Zeitenstrudel scheitert«. Die Blendung des Augenlichtes durch die Sorge regt in Faust die lange stockende Phantasie wieder an : noch weifs er nicht, dafs er körperlich blind ist, er schreibt sein Nichtsehen der sinkenden Nacht zu: »Die Nacht scheint tiefer, tief hereinzudringen, Allein im Innern leuchtet helles Licht.« Aus der wirklichen Welt wird er in die von ihm nur gedachte Welt gedrängt, die ihm die Phantasie hellleuchtend vorstellt. Mit der Phantasie erwacht nun aber auch alsbald in ihm die Sorge, es möchte das, was er ausgesonnen hat, nicht fertig werden. Und die Sorge drängt ihn sofort zur Wiederaufnahme der Arbeit : »Was ich gedacht, ich eil' es zu vollbringen.« Vom Lager ruft er die Knechte : alles soll zum Werkzeug greifen, um das zu verwirklichen, was er kühn ersann, und mit Wonne fühlt er im Vollgewichte seiner Kraft: »Dafs sich das gröfste Werk vollende , Genügt Ein Geist für tausend Hände.«

Und die Knechte kommen und fangen an zu graben — wenigstens in der Phantasie des blinden Greises sind es die Knechte : in Wirklichkeit sind es die »schlotternden Lemuren, Aus Bändern, Sehnen und Gebein Geflickte Halbnaturen.« Sie kommen im Auftrage des Mephistopheles, der wie die grauen Weiber den Tod des Faust als nahe bevorstehend kennt. Er findet das Sterben zwar herzlich dumm : für ihn hat ein Aufhören überhaupt keinen Sinn, aber für den Menschen ist's nun einmal so: bei diesem gehts »aus dem Palast ins enge Haus«. Und während sie »mit neckischen Gebärden« und mit dem derben Humor gefühlsstumpfer Totengräber graben, erfreut sich der blinde Faust an dem Thun, das nach seiner Annahme seinen Plan verwirklicht: »Wie das Geklirr der Spaten mich ergetzt. Es ist die Menge, die mir fröhnet, Die Erde mit sich selbst versöhnet, Den Wellen ihre Grenzen setzt, Das Meer mit strengem Band umzieht.« Es ist eine Szene von tiefstem tragischen Gehalte : Fast glaubt das Letzte, was ihm zum höchsten Ziele noch fehlt, zu erringen, und die Spatenschläge, die er hört, die, wie er meint, den Graben machen, der den verpestenden Sumpf von der Wohnung der Menschen auf dem neugewonnenen Lande abziehen soll, sie wühlen sein eigenes Grab, in dem mit seinem Leichnam auch seine letzte höchste Hoffnung begraben wird. So existiert sie nur in seiner Phantasie : diese wird durch das Anhören der Arbeit aufs mächtigste angeregt. Was er in der Wirklichkeit nicht vollenden kann, vollendet er, wie Euphorion, in seiner dichterisch schaffenden Vorstellung. Da entfaltet sich der treibende Gedanke seines Wirkens zur vollen Blüte: hatte er ursprünglich nur den Kampf mit dem Meer aufnehmen wollen, um die Genugthuung des Siegers zu erlangen, hatte er dann sein Ziel erweitert und »der Völker breiten Wohngewinn« mit hereingezogen, so dafs er von der Rücksicht auf sein persönliches Empfinden übergegangen war auf den Zustand der Menschen aufser ihm, so denkt er jetzt gar nicht mehr an sich: jetzt ist sein Ziel, Räume für Millionen zu schaffen, »nicht sicher zwar, doch thätig frei zu wohnen.« Er erweitert sein eigen Selbst zum Selbst der ganzen Menschheit, deren Wohl und Weh er in seinen Busen gehäuft hat: aber er thut es nicht, um mit ihr zu zerscheitern, sondern um ihr das höchste Wohl zu erringen. Noch droht seinem Volk und seinem Neuland Gefahr : sie kommt von dem besiegt zurückgedrängten Meere her, das sein altes Gebiet wieder gewinnen will und sich unablässig bemüht, die Dämme zu durchbrechen. Dann aber tritt an die Stelle des einen Fürsorgenden der »Gemeindrang« der freien thätigen Menschen, der die Lücke zu verschliefsen eilt. So wächst der Mensch zu dem würdigsten Zustand heran : er mufs Freiheit und Leben sich täglich neu erobern, und durch diese eigene, beständige, nie nachlassende Thätigkeit verdient er sich auch Freiheit und Leben. Und eben dies ist der Charakter des dem Menschen beschiedenen Glückes : das Glück ist kein dauernd verweilender Zustand, sondern es ist das augenblickliche Ergebnis einer Thätigkeit : soll es bleibend werden, so mufs sich die Thätigkeit beständig wiederholen, so dafs der augenblickliche Zustand, den wir Glück nennen, immer neu erzeugt wird. Auf seinem freien Grunde, den er durch solche Arbeit errungen hat und den das dort angesiedelte Volk sich täglich neu erringen mufs, mit diesem eben durch solche Arbeit freien Volke zu stehen, ist sein Wunsch: dann dürfte er sich sagen, dafs, wenn er auch persönlich zu Grunde geht, die Nachwirkung seines Thuns, die Spur von seinen Erdentagen, sein Thun selbst nicht in Äonen untergehen wird. Und solches Erleben und Erreichen müfste die Empfindung geben, durch die die Sehnsucht nach dem höchsten Ziele gestillt wird. Er erreicht zwar
die Sache selbst nicht, aber sein Phantasieleben ist so mächtig, er sieht vor seinem geistigen Auge alles so klar und deutlich, so sicher und unverrückbar, dafs er jetzt »im Vorgefühl von solchem hohen Glück« den höchsten Augenblick wirklich geniefst, den zu erleben er einst als höchstes Ziel seiner Sehnsucht gewünscht hat, den Augenblick, der so voll Befriedigung ist, dafs er von ihm sagen möchte: »Verweile doch«. Damit ist aber auch der Augenblick erreicht, von dem er beim Abschlufs der Wette zu Mephistopheles sagte : »Dann mag die Totenglocke schallen, Dann bist du deines Dienstes frei, Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen, Es sei die Zeit für mich vorbei.« Das Wort erfüllt sich : Faust sinkt sterbend um, die Lemuren fangen den Zusammenbrechenden auf und legen den Leichnam zu Boden.

Wenn Faust sich von der Magie lossagt und damit die Möglichkeit wieder erlangt, als Mensch rein menschlich wieder zu empfinden, so führt er damit die für sein Schicksal, und zwar nicht nur auf Erden, sondern im Jenseits entscheidende Handlung aus: erst durch sie hat er endlich den rechten Weg gefunden, der allein ihn zum höchsten Heile führen kann und von dem er abwich, als er sich der Magie ergab. So tritt diese Lossagung von der Magie in Gegensatz zu der Ergebung an die Magie : wie mit dieser die Handlung auf der Erde begann, so schliefst mit jener die Handlung auf der Erde. Damit hat aber die Gesamthandlung ihr Ende noch nicht gefunden : für Gott und für den Teufel handelt es sich im Grunde nicht um Fausts Handeln auf der Erde, sondern um den Zustand seiner Seele in der Ewigkeit. Für diesen Zustand ist nach den vom Dichter gemachten Voraussetzungen das Handeln des Menschen auf der Erde von einschneidender Bedeutung : es giebt dem Himmel oder der Hölle, je nachdem es verläuft, den Anspruch auf die von den Fesseln des Erdenlebens frei gewordene Seele. Die Sorge für diesen bleibenden Zustand der Seele Fausts war es, die Gott veranlafst hat, sich des Teufels als eines Mittels zu bedienen, Faust auf den rechten Weg zurückzuleiten ; die Aussicht, in der Seele Fausts einen köstlichen und aufsergewohnlich hohen Gewinn für die Hölle zu machen, war es, die Mephistopheles diese Absicht Gottes verkennen liefs und ihn zu den höchsten Anstrengungen, ja selbst zu nicht geringen Opfern, wie das Preisgeben der höheren Geheimnisse der Mütter, der Übergang in das Altertum, zu reizen. Nun ist durch Fausts selbständiges Handeln der entscheidende Augenblick, das Entweichen der Seele aus dem Körper, gekommen. Es fragt sich nun : gehört sie dem Himmel oder der Hölle an ? Während bisher die Haupthandlung sich zwischen Faust und Mephistopheles vollzog, so tritt jetzt nach Fausts Ausscheiden wieder Gott, der bisher nur wie aus der Ferne seine Hand über Faust gehalten hatte, soweit es notwendig war, um ihn körperlich und seelisch nicht zu Grunde gehen zu lassen, ehe er seine Bahn vollständig durchlaufen hätte, als Gegenspieler zu Mephistopheles in die Handlung ein. Aber er, der im Himmel weilt, erscheint nicht als in die Handlung eingreifend und einem Mephistopheles gegenübertretend, auf Erden : dazu genügen Engel, die in seinem Auftrage kommen, die Seele nach dem Himmel zu bringen. Im Himmel selbst kann die Handlung erst weiter gehen, wenn auch Mephistopheles aus ihr ausgeschieden ist : diese Ausscheidung mufs sich noch auf Erden vollziehen, dem Orte, wo Himmel und Hölle sich berühren können. So bildet die nächste Szene den Abschlufs nach der Seite der Handlung auf Erden : Mephistopheles wird von jedem Einfiufs auf Fausts Seele geschieden ; sie bildet aber auch die Vorbereitung und Überleitung zu der Handlung im Himmel, indem die Engel Fausts Unsterbliches mit sich fortführen.

Mephistopheles, im sicheren Gefühle seines Sieges, hat für die mit Hilfe der Phantasie erreichte Befriedigung Fausts nur Hohn: er, den nichts sättigte, »den letzten schlechten, leeren Augenblick, Der Arme wünscht ihn festzuhalten.« Wenn er aber hinzufügt: »Der mir so kräftig widerstand, Die Zeit wird Herr, Der Greis liegt hier im Sand,« so giebt er damit schon zu, dafs er die Wette nicht gewonnen haben kann : er schreibt den Tod Fausts der Altersschwäche des Greises zu, nicht der Erfüllung der Bedingung bei ihrer Wette, dafs, wenn es ihm gelänge, Faust mit Genufs so zu betrügen, dafs er sich selbst gefiele , der bis dahin Unersättliche und nun Gesättigte sterben sollte. Aber noch behelligt ihn die Frage nach seinem Anspruch nicht: er spottet über die Sinnlosigkeit des Begriffes »vorbei«: »Vorbei und reines Nichts, vollkommnes Einerlei.« Schaffen und das Geschaffene in Nichts hinwegzuraffen, hat keinen Sinn. Und dazu thut das Geschaffene noch, als ob es etwas wäre. Hieraus begreift es sich, wie Mephistopheles mit dem Körperlichen, dem Leichnam, nichts zu thun haben will : für ihn hat nur das Bleibende, das Ewige Sinn und Reiz, und das ist nur die Seele. Sie ist darum von dem in seiner Erscheinung vergänglichen Menschen für ihn das einzig Wertvolle, der einzig wünschenswerte Besitz.

Für Gott jedoch ist jetzt der Augenblick gekommen, einzugreifen. Hat Faust mit all seinem Thun Gott nur verworren gedient, ist er sich aber als guter Mensch in seinem dunklen Drange des rechten Weges bewufst gewesen, so ist es jetzt an Gott, seinen Knecht, wie er Faust, ihn dadurch von vornherein als ihm gehörig bezeichnend, nannte, nun in die Klarheit zu führen. Hat der Teufel dazu geholfen, so verdient er darum keinen Dank : Gott hatte Mephistopheles von Anfang offen gesagt, dafs er dem Menschen den Teufel zum Gesellen gebe, damit dieser den leicht der Unthätigkeit sich ergebenden Menschen zur Thätigkeit anstachele; er hat ihm den Ausgang zudem deutlich vorausgesagt : »Steh beschämt, wenn du bekennen mufst.: Und doch hatte der Teufel, von Hochmut und blinder Gier getrieben, das Wagestück übernommen. Nun ist der Augenblick da, wo er, wiederum in seltsamer Verblendung, es als ganz selbstverständlich annimmt, dafs Fausts Seele ihm verfallen sei : das Einzige, was er meint fürchten zu müssen, ist nur dies, dafs sie ihm nicht noch im letzten Augenblick entwendet wird.

Um dieses Problem in dramatischer Gestaltung zum Austrag zu bringen, hat der Dichter eine Voraussetzung gemacht, die es ihm ermöglicht, die für eine Handlung notwendige zeitliche Entwicklung zu gewinnen. Mephistopheles klagt, früher sei es viel besser gewesen : sonst fuhr die Seele mit dem letzten Atem aus, »Ich pafst' ihr auf und, wie die schnellste Maus, Schnapps, hielt ich sie in fest verschlossnen Klauen.« So ist in der That die Szene bei alten Kreuzigungen dargestellt : über dem unbufsfertigen Schacher lauert der Teufel auf den Augenblick des Sterbens, und so hat Cornelius die Szene in der Ludwigskirche zu München im Sinne der mittelalterlichen Kunst wieder dargestellt. Jetzt aber, klagt Mephistopheles weiter, ist es anders geworden: »Nun zaudert sie und will den düstern Ort, Des schlechten Leichnams ekles Haus nicht lassen : Die Elemente, die sich hassen, Die treiben sie am Ende schmählich fort.« Obendrein kommt noch dazu, dafs man gar nicht weifs, »wann, wie und wo« die Seele dem Körper entrinnt: ist es doch sogar manchmal unsicher, ob überhaupt der Tod eingetreten ist. Unter solchen traurigen Verhältnissen mufs der Teufel Fürsorge treffen : er läfst den Höllenrachen herbeibringen, er ruft verschiedene Klassen von Teufeln zu Hilfe und weist jeder ihre Stelle, ihre besondere Aufgabe zu.

Da zögert nun auch Gott nicht mehr: er sendet die himmlische Heerschar. Die Engel kommen singend, und Mephistopheles ruft entsetzt: »Mifstöne hör' ich, garstiges Geklimper.« Er hält mit den Seinen das Grab umschlossen. Da streuen die Engel Rosen, und die Teufel können die himmlischen Flammen nicht ertragen : die Rosen werden bei der Berührung der Teufel zu Feuerflammen. All ihr Mut ist dahin, da zudem in den Flammen trotz ihrem Brennen eine den Teufeln »fremde Schmeichelglut« enthalten ist. Da stürzen sich die Teufel, Rettung suchend, in die Hölle. Nun mufs sich Mephistopheles selbst mit den Rosen herumschlagen. Er meint zwar, es seien nur Irrlichter, die, wenn man sie hasche, sich als «Gallertquark« erwiesen. Aber es ist nicht so: er fühlt »ein überteuflisch Element«, von dem er eine seltsame Wirkung verspürt. Er späht sehnsüchtig nach der andern Seite hin : »Hat mich ein Fremdes durch und durchgedrungen? Ich mag sie gerne sehn, die allerliebsten Jungen.'; Das himmlische Element besiegt auch den Teufel, aber die einzige höhere Stimmung, die er gewinnen kann, ist die Lüsternheit, »das Spiel mit dem zu Geniefsenden und dem Genossenen« (Sprüche in Prosa 653). Die Engel erscheinen ihm als »schöne Kinder« : «Ihr seid so hübsch, fürwahr, ich möcht' euch küssen.' Er ruft ihnen zu, sich zu nähern : sie thun es und drängen ihn vom Grabe fort, indem sie allmählich den ganzen Raum einnehmen. Immer heftiger wird seine Leidenschaft ; ihm gefällt alles an den Engeln, nur sind sie ihm zu ernst: »Ein bischen weltlicher bewegt die holden Glieder! Fürwahr, der Ernst steht euch recht schön, Doch möcht' ich euch nur einmal lächeln sehn, Das wäre mir ein ewiges Entzücken ! Selbst wie sie sich, von seiner Lüsternheit angewidert, wegwenden, findet er noch: »Die Racker sind doch gar zu appetitlich.« Aber bald kommt er wieder zu sich : der Liebesspuk wirft sich ihm auf die Haut, die »hiobsartig, Beul' auf Beule« zeigt, aber »gerettet sind die edlen Teufelsteile«, und so flucht er die Engel all zusammen nicht (»allzusammen« : er will die Engel alle »zusammenfluchen«, sie durch Fluch vernichten, nicht aber ihnen allen zusammen, auf einmal fluchen!). Die Wirkung ist nicht die gewünschte, denn gerade jetzt erheben sich die Engel mit Fausts Unsterblichem und entführen es. Da bleibt für Mephistopheles nur die bittere Klage übrig. Recht hat er, wenn er ausruft: »Mir ist ein grofser, einziger Schatz entwendet,« aber Selbsttäuschung ist es, wenn er fortfährt: »Die hohe Seele, die sich mir verpfändet, Die haben sie mir pfiffig weggepascht« : die Engel haben offen das ihnen Gehörende weggeholt. Er ist auch nicht getäuscht worden : es lag nicht in der Absicht der Engel, durch ihre Erscheinung seine Lüsternheit zu erwecken ; wohl aber erkennt er richtig, dafs er, die Täuschung, wie es von ihm geschieht, als richtig vorausgesetzt, sie auch verdient hat: »Ich habe schimpflich mifsgehandelt, Ein grofser Aufwand, schmählich ! ist verthan ; Gemein Gelüst, absurde Liebschaft wandelt Den ausgepichten Teufel an.« So erkennt er denn, dafs er trotz seiner Vielerfahrenheit doch ein Thor gewesen ist : hat sich doch seiner zum Schlufs eine nicht geringe Thorheit bemächtigt, so dafs es von Seiten des Himmels nicht einmal der Gewalt bedurfte, um zu seinem Rechte zu gelangen. Zugleich liegt eine starke Ironie darin, dafs Mephistopheles durch das Mittel, das er mit Vorliebe gebraucht, um andere zu beherrschen, nun hier, da er vor seinem höchsten Ziele steht und meint, es schon sicher in Händen zu haben, selbst überwunden worden ist.
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