Wenn der Künstler sich der Schaffung eines Kunstwerkes zuwendet, so steht ihm unbestreitbar
" die Wahl des Stoffes als Recht zu. Nicht
minder unbestreitbar ist aber auch das Recht des Publikums, die getroffene Wahl abzulehnen: es kann von
vornherein überzeugt sein, dafs die Empfindungen , zu denen es durch ein Kunstwerk angeregt werden möchte,
in dem gewählten Stoffe überhaupt keinen Träger
und Vermittler finden können, und dafs andrerseits
die Empfindungen, die der Künstler mit Hilfe des von ihm gewählten Stoffes anregen kann, ihm überhaupt
keine Freude bereiten dürften. Billigt aber das Publikum die Wahl, und ist es bereit, die von dem Künstler
beabsichtigte Wirkung durch Vermittelung des von ihm
ergriffenen Stoffes auf sich ergehen zu lassen, so bindet
es damit sein Urteil in der Weise, dafs es eine Reihe von Voraussetzungen von vornherein zugiebt, in deren
Wahl der Dichter nicht willkürlich verfahren ist : mit
der Wahl seines Stoffes hat er zugleich eine Reihe von Voraussetzungen , die dem Stoffe selbst eignen, mit angenommen und ist an diese seinerseits gleichfalls gebunden. Es wäre daher ebenso widerspruchsvoll wie ungerecht, wenn man dem Dichter die mit
der zugegebenen Wahl gleichfalls zugegebenen , von ihm unabhängigen und an dem Stoffe haftenden Voraussetzungen nach der guten wie nach der schlimmen
Seite hin so anrechnen wollte, als ob sie ihm zur Last
fielen: sein Wirken beginnt erst innerhalb der durch
die Voraussetzungen gegebenen Grenzen.
So bleibt auch Goethes Faustdichtung gegenüber
zunächst nur die Verwerfung der Wahl des Stoffes
übrig, oder aber das Zugestehen einer Reihe von Voraussetzungen , die zugleich mit der Wahl des Stoffes gegeben waren : durch sie ist der Dichter an bestimmte
Vorstellungskreise gebunden. Nicht diese selbst, sondern erst das, was er auf ihrem Grund aufbaut, kommt
auf seine Rechnung.
Die erste mit der Wahl des Stoffes gegebene
Voraussetzung ist die vorkopernikanische Weltanschauung. Die Erde gilt als Mittelpunkt des Weltalls,
der Mensch ist der Zweck des Weltdaseins , das ihm
zur Erreichung des Zieles dienen mufs, um deswillen
er selbst geschaffen ist seine Bestimmung ist, selig zu werden. Die Frage: wie soll ich selig werden? was mufs ich thun, um selig zu werden? ist darum
die erste und wichtigste sie ist im Grunde genommen
überhaupt die einzig wichtige.
Diese Seligkeit wird nicht immer, ja sie wird vielfach überhaupt nicht erreicht. Mag sie aber erreicht werden oder nicht, in jedem Falle führt die Seele nach
dem Aufhören ihrer irdischen Vereinigung mit dem
menschlichen Körper ein persönlich fortdauerndes Dasein, das mit der Fähigkeit des Empfindens ausgestattet
ist. Für die in persönlicher Daseinsart fortlebende
Seele bedarf es eines Aufenthaltes, und zwar eines
nach der Doppelmöglichkeit der Art dieser Fortdauer
zweigeteilten Aufenthaltes dieser erscheint als räumlich zu denkender Himmel, der Wohnort der Seligen,
und als räumlich zu denkende Hölle, der Wohnort
der Unseligen.
An der Spitze dieser beiden aufserirdischen Welten
stehen ihre Herren: der Herr des Himmels ist Gott,
der Herr der Hölle ist Satan. Beide werden als Personen gefafst und unterliegen für diese Vorstellungsweise der Beschränkung, die mit der körperlichen
Gestaltung verbunden sie erscheinen an bestimmten
Orten und sind alsdann an anderen nicht. So wie sie selbst durch die Persönlichkeit begrenzt und bestimmt
sind, so sind es auch die Geister, die sie umgeben;
die Engel und die Teufel. Mit dieser Persönlichkeit
ist jedoch nicht eine Sichtbarkeit im irdischen Sinne
verknüpft besonders für menschliche Sinne ist die Empfindung der von den geistigen Wesen ausgehenden
Wirkung von dem Willen der Geister selbst abhängig,
falls diese nicht durch besondere Verhältnisse einem
Zwang unterliegen.
Zwischen Gott und Satan, zwischen den guten
und den bösen Geistern besteht ein ewiger Kampfeszustand das Wesen der einen Seite schliefst das
Wesen der anderen Seite aus. Zum Ausbruch kommt
der Kampf von seiten der bösen Geister, und zwar
durch das Bemühen, das köstlichste aller Besitztümer
zu erringen, den Besitz der menschlichen Seele. Wo
irgend eine Handhabe sich zu bieten scheint, wird der Versuch gemacht, sie Gott abspenstig zu machen je
bedeutender die Seele veranlagt ist , um so gröfser
sind die Bemühungen der bösen Geister, sie zu gewinnen,
um so gröfser ist der Triumph , falls sie ihr Ziel erreichen.
Das Böse ist jedoch nicht ohne den Willen Gottes
entstanden wenn es nicht seine bestimmte Stelle im
Weltenplane Gottes ausfüllen müfste, so hätte Gott
seine Entstehung verhindern können. Da er sie aber
zugelassen hat, so hat das Böse in dem Plane, den
Gott mit der Schaffung und Erhaltung der Welt verfolgt, ein gottgewolltes Dasein und mufs gerade durch
sein Widerstreben als förderndes Element in dem
Weltprozefs mitwirken indem es nach dem selbst gesteckten Ziele hinstrebt, mufs es den Absichten Gottes
dienen und ihre Ausführung erleichtern.
Zwischen Gott und Satan , zwischen Himmel und
Hölle, steht der erdengeborene Mensch. Beiden gegenüber tritt er an Macht weit zurück aber ihm kommt
eine auszeichnende Fähigkeit zu , die ihm eine durchaus eigenartige Stellung giebt. Gott kann nur das
Gute wollen , Satan kann nur das Böse wollen , der
Mensch aber hat die gefährliche Freiheit der Entscheidung seines Willens nach der guten oder nach der
bösen Seite hin. Er ist daher nicht blofs Spielball
in der Hand Gottes oder Satans bei allem Handeln
kommt es auf seine Mitwirkung nach eigenem Prüfen
und Urteilen an. Dafür fällt ihm aber auch die volle Verantwortlichkeit für sein Handeln zu je nachdem
er dieses auf die eine oder die andere Seite lenkt,
wird ihm Lohn oder Strafe, Seligkeit oder Verdammnis zu teil. In jedem Falle haben aber die Entscheidung , die er trifft , die Handlungen , die er ausführt, eine mafsgebende Bedeutung für die Gestaltung seines nachirdischen, ewigen Daseins.
In diesem Widerstreite der Empfindungen , die des Menschen Erdendasein ausfüllen, kann er sich an den Mitteln genügen lassen, die Gott ihm zu seiner Erlösung dargeboten hat mit ihrer Hilfe vermag er den Verlockungen der sich zu seiner Verführung gerne
herandrängenden bösen Geister zu entgehen. Aber
es liegt keineswegs aufserhalb der Möglichkeit, dafs der Mensch selbstthätig in den Verkehr der ihn stets umgebenden Geisterwelt eintritt er kann dies durch
Erlangung von Hilfsmitteln , die es ihm ermöglichen,
die Geisterwelt zu einer Offenbarung zu zwingen. Diese
Hilfsmittel bietet die Magie. Diese geisterbezwingende,
Zaubermacht verleihende Wissenschaft und Kunde
ist jedoch in ihrer Wirkung keineswegs auf die bösen
Geister beschränkt auch die guten Geister unterliegen
ihren Einwirkungen, und es kommt wiederum auf den
Menschen selbst an , ob er sich an die eine oder die andere Seite wenden will.
Das Verhalten der Geister ist hierbei je nach
ihrer Beschaffenheit ein durchaus verschiedenes. Die
guten Geister befleifsigen sich der Zurückhaltung: sie sind im Sinne Gottes thätig, und sein Wille geht dahin, dafs der Mensch selbständig handle. Erst dann
ist sein Handeln ein solches, für das er die volle Verantwortlichkeit trägt, erst dann kann ihn also sein Guthandeln selig , sein Schlechthandeln unselig und
zwar mit vollem Rechte machen. Die bösen Geister
dagegen sind stets bereit, dem Menschen entgegenzukommen nur so können sie die Schwankenden zu sich herüberziehen , die Unbefangenen verlocken , den
Widerstrebenden Schlingen legen.
In jedem Falle jedoch ist die Anwendung der
Magie ein Hinausgreifen über die dem Menschen von
Gott gesteckten Schranken und wird eben dadurch
für ihn eine Schuld sie ist es auch dann , wenn die Magie zum Verkehr mit guten Geistern führt, sie ist es aber in erhöhtem Mafsc, wenn das Ergebnis der
Verkehr oder gar ein Bund mit den bösen Geistern ist. Die Vertreterin Gottes auf Erden ist die Kirche sie kann ausschliefslich nach den feststehenden göttlichen Gesetzen, deren Obhut ihr anvertraut ist, urteilen: so bleibt ihr einer solchen Schuld gegenüber in der
That nur eine Möglichkeit übrig. Sie kann gar nicht anders als den Schuldigen verurteilen, und zwar nicht nur im Diesseits , sondern , da ihr auch die Machtbefugnis gegeben ist, ihre Einwirkung auf die Ewigkeit
zu erstrecken , auch im Jenseits die Seele des Schuldigen verfällt der ewigen Verdammnis.
Werden diese Voraussetzungen dem Dichter zugestanden, so ist es keine Frage, dafs für ihn damit
ohne weiteres ein im höchsten Grade günstiger Boden
gegeben ist, auf dem sich der dichterische Keim jedenfalls aufs reichste auswachsen kann ein einzelner bestimmter Mensch mit der Fähigkeit zu verantwortlicher,
ihre entscheidende Wirkung auf die Ewigkeit erstreckender Handlung, mitten in den Ansturm der
bösen Geister gegen die Schöpfungen und die Absichten Gottes hineingestellt, wird der Gegenstand der
Bestrebungen des Teufels , der Gott eine Seele abspenstig machen und für sich gewinnen will. Es fragt sich nun , was die dichterische Phantasie aus diesem
Keime hat herausgestalten können.
In jeder Zeit und auf jeder Stufe der Entwicklung
eines Volkes will die Kunst durch ihre Schöpfungen
den Menschen nach einer bestimmten Richtung hin zu Empfindungen anregen , die ihn absichtlich mit voller Kraft und Entschiedenheit in dieser Richtung über die
zufälligen Anregungen der Wirklichkeit hinaus tief und kraftvoll erfassen , so dafs er sich dieser einen
Richtung des Empfindungslebens vollständig hingeben
kann. Ist diese allgemeine Absicht der Kunst stets dieselbe, so bleibt doch die Richtung, in der das Empfindungsleben angeregt werden soll, keineswegs dieselbe. Es läfst sich vielmehr bei jeder naturgemäfsen,
nicht durch fremde Einflüsse in ihrem ruhigen Verlaufe
gestörten Kunstentwickelung verfolgen, wie in Zeiten,
in denen die Kunst noch im Dienste des Kultus steht,
jeder bedeutsamere Gegenstand, den sie ergreift, naturgemäfs dieselbe Richtung einschlägt , die der Kultus
selbst verfolgt: er will den Menschen in den Dienst
der Gottheit ziehen , er will ihn so stimmen , dafs er des Schutzes und des Beistandes der Gottheit würdig
wird, er will ihn von der alltäglichen Handlungsweise
zu einer gottgefälligeren hinführen , mit einem Wort
er will ihn bessern der Zweck der Kunstübung ist ein moralischer. Dieser moralische Zweck wird aber
um so besser erfüllt werden, je entschiedener bei seiner Erzielung zugleich die der Kunst eigentümlichen
Wirkungsmittel zur Anwendung kommen können, je reicher die Einbildungskraft angeregt und je lebendiger
dadurch diese nach Bethätigung gierige Thätigkeitsanlage im Menschen geweckt und wirklich in Thätigkeit gesetzt wird.
Nach diesen beiden Richtungen hin erweist sich die Faustsage als ein aufsergewöhnlich günstiger
Gegenstand. Fausts Bund mit dem Teufel ermöglicht
eine Fülle von Abenteuern , die durch das ihnen nun
selbstverständlich innewohnende Element des Wunders
einen die Phantasie aufs höchste reizenden, sie unablässig immer wieder neu beschäftigenden Charakter
erhält. Aber diese Abenteuer erfüllen zugleich mit
einem grausigen Entzücken so wünschenswert es wäre,
Gleiches erleben zu können, so steht doch drohend
hinter der beneidenswerten Erscheinung des zauberkräftigen Menschen die ewige Verdammnis , deren
schreckensvolles Eintreten nicht nur über das Nichterreichen tröstet , sondern auch die Empfindung der
Genugthuung erweckt, dafs der, der so Aufsergewöhnliches erlebt, dafür auch elendiglich zu Grunde
gehen mufs. Daraus ergiebt sich als Schlufsempfindung
die Stimmung, wie schön es ist, wenn man sich vor den Verlockungen des Teufels hüte, und der Wunsch,
sich nun um so entschiedener der guten Seite, wie sie von der Kirche gelehrt wird, zuzuwenden. So gestaltet sich die reiche Anregung der Phantasie in Verbindung
mit den Empfindungen eines wonnigen Grausens und
eines die Gerechtigkeit des vernichtenden Urteils anerkennenden Entsetzens zu dem Endergebnis einer Warnung und einer Mahnung zu moralischer Besserung.
Diesen Charakter einer mit vollster Absicht hervorgekehrten moralischen Schöpfung tragen demgemäfs
auch die verschiedenen Behandlungen der Faustsage,
wie sie uns schriftlich erhalten sind. So ist das älteste Faustbuch, das zu Frankfurt am Main 1587 von dem
Buchdrucker Johann Spies herausgegeben worden ist, »allen hochtragenden, fürwitzigen und Gottlosen Menschen zum schrecklichen Beyspiel, abscheuwlichen
Exempelvnd treuwhertziger Warnung zusammengezogen
und in den Druck verfertiget« und trägt den bezeichnenden Vorspruch aus dem Briefe des Jakobus IV, 7 Seyt Gott underthänig, widerstehet dem Teuffei, so fieuhet er von euch. Ebenso heifstes auf dem Titel des grofsen Faustbuches von Georg Rudolff Widmann
1599: »Mit nothwendigen Erinnerungen vnd schönen
exempeln menniglichem zur Lehr vnd Warnung aufsgestrichen vnd erklehret.« Im Jahre 1674 wird dieses Buch von Nikolaus Pfitzer »aufs neue übersehen und
so wol mit neuen Erinnerungen , als nachdencklichen
Fragen und Geschichten, der heutigen bösen Welt, zur Warnung, vermehret«, und der von dem »Christlich Meynenden« gemachte Auszug hieraus, der 1725 erschien,
soll »allen vorsetzlichen Sündern zu einer hertzlichen
Vermahnung und Warnung« dienen.
Bei diesem Ziele der dichterischen Erzählung ist nur ein Ausgang möglich: Faust mufs der Hölle verfallen. Erst so kann die volle Wirkung der Absicht
erreicht werden , und dies auch nur dann , wenn die Unmöglichkeit einer Rettung der Seele Fausts sehr
kräftig betont wird. Diesen auf eine moralische Wirkung abzielenden Ausgang zeigen auch die dramatischen
Gestaltungen der Faustsage, sowohl die Dichtung Marlowes , als auch die dramatischen Bearbeitungen , die uns als Puppenspiele erhalten sind.
Dieser Gesichtspunkt erhält eine sehr merkwürdige
Wendung durch Lessing. Der grofse Vertreter der
humanen Bildung, der keinen guten Keim verloren
gehen lassen wollte und daher stets bei den Bedrückten
und den Verfolgten das ihnen zur Seite stehende Recht nachzuweisen bestrebt war, er konnte und
mochte auch Fausts Seele, in der er die Anlage zum
Grofsen und Edlen erkannte, nicht zu Grunde gehen
lassen. Andrerseits ist aber Lessing durchaus davon
überzeugt, dafs es die Aufgabe der Dichtung sei zu bessern er erklärt ganz ausdrücklich in der Hamburgischen Dramaturgie bessern sollen uns alle Gattungen der Poesie ; es ist kläglich, wenn man dieses
erst beweisen mufs; noch kläglicher ist es, wenn es Dichter giebt, die selbst daran zweifeln.« So war er
in schlimmer Lage Faust untergehen zu lassen, verbot
ihm seine Humanität; Faust retten zu lassen, verbot
ihm der moralische Zweck der Dichtung. Er half sich
in der verlorenen Dichtung nach Aussage von Freunden,
die Lessings Absichten gekannt hatten , mit dem
Mittel des Traumes, das schon Dante verwendet hatte und das späterhin zu gleichem Zwecke Grillparzer in seinem Drama »Der Traum ein Leben« verwendete Faust erlebt seinen Bund mit dem Teufel, sein sich daran knüpfendes Leben, seine Verdammung zur Hölle als Traum. Von diesem erwacht, ist er gebessert und kann nun den Verlockungen des Teufels
entgehen. Die moralische Besserung hat hier also
nicht das Publikum, sondern den Träger der Handlung
selbst zum Gegenstand, der sonst dem Publikum zu Liebe geopfert wurde. Höher kann das moralische
Ziel der Dichtung nicht gehen, als dafs es in ihr selbst
in Wirkung tritt und so um so klarer den Weg vordeutend angiebt, den der Hörer zu gehen hat.
Allein die Kunst bleibt nicht auf dem Standpunkte
stehen, dafs sie einen moralischen Zweck erreichen
will: sie strebt allmählich immer entschiedener dem Ziele zu , das der Natur der von ihr verwendeten
Mittel entspricht. Diese suchen die im Menschen vorhandenen sinnlichen , seelischen und geistigen Anlagen
in Thätigkeit zu setzen. So lange der religiös -moralische Zweck vorwaltet, steht die Frage, ob die von
der Kunst geübte Wirkung der Natur der in Thätigkeit
gesetzten Anlagen entspricht, so dafs diese Wirkung
als eine angenehme, als eine um ihrer selbst willen und durch sie allein willkommene empfinden wird, ursprünglich ganz im Hintergrund. Nachdem die Absicht,
diese Wirkung zu erreichen , erst nebensächlich erschienen ist, dann allmählich immer bemerkbarer sich vorgedrängt hat, kommt ein Augenblick, in dem sie mit Entschiedenheit den ersten Platz einnimmt und die Frage, ob durch sie zugleich auch eine religiös -moralische oder überhaupt eine moralische Wirkung ausgeübt wird, nebensächlich behandelt oder gänzlich bei Seite gesetzt wird. Die so das ihr eigentümliche
Ziel ohne Nebenabsichten verfolgende Kunst ist die ästhetische Kunst.
In unserer neueren deutschen Dichtung ist der
Schritt von der moralische Zwecke miterstrebenden
Kunst zu der rein ästhetischen Kunst zwar nicht zuerst,
aber doch mit entscheidender Kraft und mit einer gar
nicht zu mifsdeutenden Klarheit durch Goethes Wertherdichtung gethan worden. Was Lessing seiner Kunstanschauung gemäfs noch als kläglich bezeichnen
mufste, trat hier stolz und siegreich in die Welt.
Lessings Empfindung war dabei die, dafs er noch eine "Schlufsrede" wünschte: »Ein paar Winke hinterher,
wie Werther zu einem so abenteuerlichen Charakter
gekommen wie ein andrer Jüngling , dem die Natur eine ähnliche Anlage gegeben, sich dafür zu bewahren
habe. Denn ein solcher dürfte die poetische Schönheit
leicht für die moralische nehmen Also, lieber Goethe, noch ein Kapitelchen zum Schlusse; und je
cynischer je besser!« Für Goethe freilich war der
Gedanke, dafs irgendwer seinen Werther als Vorbild
benutzen , dafs irgendwer die ästhetische Wirkung in eine moralische umsetzen sollte, völlig ausgeschlossen sein Genius trieb ihn , den in der Kunstentwickelung
notwendigen Schritt, den Übergang von der moralisierenden zur ästhetischen Wirkung des Kunstwerks,
als einen durchaus naturgemäfsen, selbstverständlichen,
nicht mit Überlegung, sondern vollkommen naiv zu machen eben dadurch ragt die Bedeutung dieses Schrittes über die eines persönlichen Handelns hinaus
und erhebt sich zu einer Naturoffenbarung, die den
Charakter der vollsten Wahrhaftigkeit und Wahrheit
trägt.
Als nun dieser Dichter zum Gegenstand eines Kunstwerkes die Faustsage nahm , da war durch seine eigenste Natur der ihr bis dahin stets und überall anhaftende moralische Charakter selbstverständlich ausgeschlossen. Um so freier konnte der Dichter seinen
Faust zum Träger von Bestrebungen machen , deren
Ziele aufserhalb des moralischen Gebietes liegen. Der
Faust der Sage verschreibt dem Teufel seine Seele,
um für eine Zeit , die im Vergleich zu der Dauer
eines Menschenlebens nicht grofs, im Vergleich zur Ewigkeit aber ein vollständiges Nichts ist, sinnlichen
Genufs und Macht zu erlangen ein solcher Handel
ist so thöricht , dafs ihm jede Sympathie unsererseits abgeht. Er gewinnt nur dadurch einen Sinn, dafs eben die Thorheit Fausts in recht abschreckender
Weise sich offenbaren soll je furchtbarer die ewige
Verdammnis droht, um so thörichter ist es, für so vergänglichen Erwerb die Seligkeit preiszugeben , um
so eindringlicher ist aber auch die Mahnung, nicht
gleichfalls eine solche Thorheit zu begehen. Tritt an
Stelle der moralischen Tendenz die ästhetische, so mufs dieses thörichte Bestreben durch ein anderes ersetzt werden, das imstande ist, unsere Sympathie zu erwecken. Goethes Faust will zur denkbar höchsten
Erkenntnis gelangen: die Unmöglichkeit, diese durch
seine eigene Kraft zu erreichen , führt ihn zur Magie. Einen solchen Ausgangspunkt, ein solches erhabenes
Ziel verstehen wir sehr wohl trifft doch der Dichter
damit den Lebensnerv des geistigen Strebens der gesamten neueren Zeit. Wir können uns mit dem Träger
und Vertreter des rastlosen modernen Forschungstriebes, der sich durch kein Dogma hemmen läfst und
vor keiner Folgerung zurückschreckt, durchaus eins fühlen wir begreifen sein Streben , als war' es unser
eignes; wir begreifen aber auch seinen Schmerz, wenn
es scheitert, als wär! er unser eigner, und unsre Sympathie ist ihm gewonnen. Sie wird ihm nicht durch
den Verzweiflungsschritt entzogen, dafs er sich der
Magie zuwendet mit der Annahme des Faust als Gegenstandes der Dichtung haben wir die Magie als eine Realität mitangenommen von Fausts Standpunkt
aus, den der Dichter beibehalten mufs, ist dieser Ausweg Fausts durchaus folgerichtig.
Allein Faust erstrebt die Erkenntnis nicht nur um
der Erkenntnis willen: sein höchstes und letztes Ziel
ist ein ganz anderes. Er will die Erkenntnis, weil er hofft, durch sie den Frieden seiner Seele zu erreichen für ihn hat das Streben nach Erkenntnis die Bedeutung,
die sonst dem religiösen Empfinden zukommt. Hierdurch erhält sein Streben eine ethische Bedeutung, die
es weit über das gewöhnliche wissenschaftliche Streben
hinausfuhrt; auch für ihn lautet die höchste Frage wie kann ich selig werden ? Er kann es nicht durch
den Glauben, er hofft es durch das Erkennen zu erreichen. Aber diese Frage soll hier nicht in dem
Versuch einer neuen Beantwortung vorbildlich für die Zuhörer werden und diese ermahnen oder warnen,
also nicht moralisch wirken sie wird für den Dichter
vielmehr die bewegende Kraft, um die ganze Tiefe
eines ungewöhnlich reichen seelischen Lebens zu offenbaren und dadurch unsre eignen seelischen Kräfte
sympathisch zu berühren und zu einer ihnen willkommenen Bethätigung zu bringen. Dieses ästhetische
Ziel ist aber dem Dichter gerade dadurch gesichert, dafs er seinem Faust das Erkennen als den Weg nach
dem Seelenfrieden erscheinen läfst ein solches höchstes
menschliches Bestreben ist, auch wenn wir ihm nicht nachfolgen, dennoch unsrer Sympathie gewifs. Was
ein Mensch mit solcher unsrer eigenen verwandten
Ringerkraft erfährt, mufs unsre Teilnahme sich gewinnen was er leidet, erregt unfehlbar unser Mitleiden,
und mit banger Sorge sehen wir dem Ausgang eines solchen Kampfes um das höchste Gut des Daseins
entgegen.
Wenn nun der Dichter seinen Faust sich nicht nur der Magie, sondern schliefslich dem Teufel selbst ergeben läfst , da darf sich nun die berechtigte
Frage erheben : kann und darf ein Mensch von so tiefem seelischen Gehalte , von so erhabenem , das
denkbar höchste Ziel verfolgendem Streben wegen seines Bundes mit dem Teufel schliefslich doch der Hölle
verfallen ? Je verwandter wir uns seinem Streber» fühlen , um so näher berührt uns diese Frage : es ist, als ob sie uns selbst gälte.
Wenn die Kirche allein darauf zu antworten hat, so kann es nicht zweifelhaft sein , dafs sie das Verdammungsurteil aussprechen mufs. Bei Gott jedoch
steht die Sache anders: er, der die Tiefen der Herzen
kennt, er kann das Handeln nach den Gründen beurteilen , die es gezeitigt haben er kann die Absichten
anerkennen und über das Handeln selbst milde richten, er kann verzeihen. Aber seine Allweisheit kann auch
Wege verfolgen, die für ein menschliches Auge nicht zu verfolgen sind er kann voraussehen , dafs eine
Seele, gerade um ihres Strebens willen, von vornherein
dem Himmel gehört, dafs aber, um die Seele dem
richtigen Wege zuzuführen, es eines aufsergewöhnlichen
Mittels bedarf ; da benutzt er — und das ist die geniale
Wendung, die Goethe seiner Umdichtung der Faustsage giebt — den Teufel selbst , um sein Ziel zu erreichen: auch das Böse liegt innerhalb des Weltplanes
Gottes. Das Neue ist aber dies, dafs in einem einzelnen
Falle Gott das Böse benutzt, um das Gute zu erreichen. Er selbst veranlafst den Bund mit dem Teufel er will diesen Bund, um dadurch Fausts Seele für den Himmel
zu retten.
Der Plan, den Gott mit Faust verfolgt, läfst sich nun leicht erkennen. Gott weifs natürlich sehr wohl,
dafs der von Faust eingeschlagene Weg, um zur
Seligkeit zu gelangen, ein unmöglicher ist; die höchste Erkenntnis, die Erkenntnis des wahren Wesens der
Welt, ist für den Menschen nicht zu erreichen. Sie
steht im Widerspruch mit seiner endlichen, begrenzten
Natur, die das Unendliche, das Unbegrenzte nicht fassen kann, da sie es stets als Endliches, Begrenztes
zu fassen suchen mufs, womit die Lösung der Aufgabe unmöglich wird. Sollte nun dennoch die Gewinnung des Seelenfriedens von der Lösung dieser Aufgabe abhängen, so wäre die Erreichung dieses Zieles
für immer ausgeschlossen, und die Seele eines Menschen,
der es so ernst meint wie Faust, könnte die Seligkeit nicht erreichen. Soll sie dies aber doch , so bleibt nur eines übrig: sie mufs auf einen anderen Weg gebracht werden, der der Natur des Menschen entspricht
und zu dem gewünschten Ziele führt. Ein solcher
wäre der Glaube : die Möglichkeit diesen Weg einzuschlagen, ist für Faust durch seinen Erkenntnistrieb von vornherein ausgeschlossen. Da bleibt nur noch
ein Mittel übrig : Faust mufs aus dem fruchtlosen Grübeln herausgerissen und dem thätigen Leben zugeführt werden ; Bethätigung der angeborenen Kräfte
vermag, wenn sie sich einem hohen Ziele zuwendet,
den Seelenfrieden hienieden zu gewähren, der die Vorbedingung zur Erlangung des ewigen Friedens der
Seele im Jenseits ist.
Es liegt nun nicht im Wesen Gottes, in das Handeln
des Menschen unmittelbar einzugreifen : das Handeln
des Menschen gewinnt nur dann entscheidende Bedeutung und zieht die beseligende Wirkung im Jenseits nach sich, wenn es ein eigenes, selbständiges ist, wenn
es dem Willen der Gottheit entgegenkommt. Es mufs
den Charakter der Verantwortlichkeit tragen , wenn ihm eine Wertschätzung zu teil werden soll. So mufs
Faust zu einer Thätigkeit gereizt werden , in der er
ein solches verantwortliches Thun ausführen kann.
Diesen Zweck erreicht aber Gott, indem er dem Faust
den Teufel beigiebt. Der Teufel kann nur ein Ziel haben, die Seele Fausts gewinnen. Das vermag er
nicht, so lange Faust vom Erkenntnistrieb beherrscht
ist; der Teufel mufs also Faust in das thätige Leben
verlocken, als den einzigen Boden, auf dem er ihn gewinnen kann. Wenn also Gott dem Faust den
Teufel als Gesellen beigiebt und ihn gewähren läfst, so führt der Teufel, der Faust ins thätige Leben zieht,
gerade das aus, was nach dem Plane Gottes allein Faust retten kann : ob es dem Teufel gelingen werde,
die Seele Fausts zu gewinnen, das kann Gott ruhig
der von ihm sehr genau gekannten guten Natur Fausts
überlassen ; ist diese überhaupt erst einmal der Thätigkeit zugeführt, so wird sie auch schon den rechten
Weg finden und eben dadurch ihre entscheidungsgebende Kraft bewähren , ohne die die menschliche
Seele überhaupt nicht in den Himmel gelangen kann.
So mufs der Teufel, indem er glaubt, für sich zu wirken,
den Plan Gottes erfüllen ; so mufs er, dessen Natur es
ist, zu zerstören, als Teufel schaffen.
Diesen Plan Gottes zeigt in deutlichster Weise
der »Prolog im Himmel«. Gott ist es, der zuerst
den Namen Fausts ausspricht, der den Teufel auf ihn aufmerksam macht, zugleich aber so, dafs er ihn als dem Guten zugehörig bezeichnet: Gott nennt ihn seinen Knecht. Er sagt ausdrücklich , dafs er Faust,
der ihm jetzt nur verworren dient, bald in die Klarheit führen will : der Gärtner sieht in dem grünenden Bäumchen schon die Blut' und Frucht künftiger Jahre
voraus. Wenn er Mephistopheles die Erlaubnis giebt, ihn seine Strafse zu führen, so erklärt er ausdrücklich,
dafs es ihm nicht verboten sei , solange Faust auf der
Erde lebt: mit dieser Daseinsart ist dem Menschen
das Irren natürlich; der einzelne Irrtum, so lange es eben nur ein solcher ist, kann also auch nicht entscheidend auf seine Daseinsart im Jenseits einwirken.
Dafs Faust aber durch den Irrtum hindurch mit eigner
Kraft sich zu ihm emporarbeiten werde, sieht Gott in seiner Allwissenheit gleichfalls klar voraus: »Ein guter
Mensch in seinem dunklen Drange, Ist sich des rechten
Weges wohl bewufst.« Und nicht minder klar spricht
sich Gott über das von ihm ergriffene Mittel aus
:
»Des Menschen Thätigkeit kann allzuleicht erschlaffen,
Er liebt sich bald die unbedingte Ruh; Drum geb'
ich gern ihm den Gesellen zu, Der reizt und wirkt,
und mufs, als Teufel, schaffen.«
Mit diesem Plane Gottes ist das wesentlichste
und entscheidende Element der Goethischen Faustdichtung gegeben : Gott will Faust retten und benutzt
den Teufel dazu ; dieser handelt seiner Natur gemäfs
und bringt eben dadurch Gottes Plan zur Ausführung.
Faust aber weifs von alledem nichts und bleibt dem
dunklen Drange seiner guten Natur überlassen. Nur
dadurch , dafs er selbständig handelt , dafs er nicht
willenloser Spielball in der Hand einer höheren Macht
ist, gewinnt er unsre Teilnahme, die gespannt ist zu
verfolgen, wie dieser seltsame Kampf der beiden überirdischen Mächte, dessen Entscheidung in das unbewufste und daher durchaus naive Handeln eines Menschen gelegt ist, sich vollzieht, und welchen Ausgang erreicht.
Aus dem Widerstreit dieser drei Willensträger
entwickelt sich nun die Handlung mit sachlicher Notwendigkeit. Es ist selbstverständlich, dafs das indirekte Eingreifen Gottes erst in dem Augenblicke geschieht,
wo es unbedingt notwendig ist. Faust ist in der Verzweiflung, durch eigne Mittel zur höchsten Erkenntnis
zu gelangen, zu dem entscheidenden Schritt entschlossen, zur Magie zu greifen und sich so den Zugang zu höherer Erkenntnis zu erzwingen. Die im Dienste
der Gottheit stehenden Geister kann er wohl durch
seine Beschwörungskraft zwingen, zu erscheinen, aber
er kann sie nicht zwingen , ihm Offenbarungen zu machen oder ihm hilfreich Dienste zu leisten. Zurückgestofsen und erneuter, erhöhter Verzweiflung überlassen, ist er in der Stimmung, den Verlockungen
des Teufels nachzugeben und den Bund mit ihm zu
schliefsen , aber nicht, um behaglich in flüchtigem
Sinnesgenufs zu schwelgen: der Augenblick, in dem
es dem Teufel gelingt, ihm einen solchen Genufs zu
verschaffen , der ihm wirkliche Befriedigung gewährt,
so dafs er ihm Dauer wünschen mufs , soll der Zeitpunkt sein, in dem seine Seele dem Teufel zufallen
soll. Während in der alten Faustsage der Teufel
seine Aufgabe schon erfüllt, wenn er Fausts sinnliche Gelüste und sein Behagen an der Ausübung der Zauberkraft fördert, ihn also von flüchtigem Genufs zu flüchtigem Genüsse führt und mit jedem Genüsse Faust
befriedigt, soll jetzt der Teufel etwas thun, was seiner innersten Natur widerstrebt: er soll Faust eine bleibende Befriedigung verschaffen. Er nimmt die Aufgabe
an, in der Hoffnung, Fausts Seele durch Betrug gewinnen zu können. In dieser inneren Unmöglichkeit, die von Faust gestellte Bedingung erfüllen zu können,
liegt die Notwendigkeit begründet, dafs Faust allmählich
anfängt, einen eignen Weg einzuschlagen , der an die durch des Teufels Eingreifen in ihm gereizte Lust zur Bethätigung seiner Anlagen anknüpft : so kann er, dem dunklen Drange seiner Natur folgend und ohne
jegliche Ahnung von dem wahren Verhältnis zwischen
Gott und Teufel inbezug auf ihn und sein Streben,
endlich , nachdem des Teufels Versuche gescheitert
sind, durch eigene Kraft sich den Augenblick der vollen inneren Befriedigung erringen. Damit ist aber, auch
ohne dafs dieses Ziel in seinem Bewufstsein klar gewesen wäre, auch ohne dafs sein persönliches Streben
darauf ausgegangen wäre, die thatsächliche Vorbedingung für die Erlangung der ewigen Seligkeit im
Jenseits und so zugleich die Erfüllung des Planes
Gottes erreicht.
Mit diesem inneren Fortgang ist die künstlerische
Gestaltung des Stoffes gegeben : sie wäre es nicht, wenn dieser Fortgang nicht ein streng einheitlicher wäre. Da er dies aber ist, so ist damit die erste und
wichtigste Vorbedingung für die Gestaltung eines Kunstwerkes erfüllt : dieses selbst tritt jedoch erst durch die künstlerische Form in die Erscheinung.
weiter
Goethe auf meiner Seite
Testamente, Reden, Persönlichkeiten
Inhalt
weiter
Goethe auf meiner Seite
Testamente, Reden, Persönlichkeiten
Inhalt
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