Lust an der Zauberkraft
In der grofsen Welt, in der Welt des Fürsten und des Hofes, ist die Sache anders: hier hat er keine Stelle, es sei denn, dafs er etwas leistet. Faust mufs also vom Erfahren, vom passiven Erleben zu einem Handeln gebracht werden, das ihm das Recht des Erscheinens und Lebens am Hofe sichert. Wenn dieses Handeln ein solches bleibt , wie es dem Sinne des Mephistopheles gemäfs ist , so geht das Wagnis für Mephistopheles gut aus. Wenn aber Faust die Freude des eignen Handelns erst einmal gekostet hat und anfängt seine eigenen Wege zu gehen, so ist für Mephistopheles die Gefahr vorhanden, dafs Faust sich seiner Macht allmählich entzieht. Und doch bleibt Mephistopheles nichts Anderes übrig, als den gewagten Schritt zu unternehmen : dafs er damit eben das thut, was von Anfang an in Gottes Absicht lag, als dieser ihn dem Faust als Gesellen beigab, weil sonst Fausts Thätigkeit zu leicht erschlaffte, wie es bisher der Fall war, merkt er nicht, und so dient er gerade mit diesem Schritte Gott als Werkzeug. Zudem aber ist der Anfang dieses neuen Versuches vielversprechend für Mephistopheles, so dafs er zunächst keinen Grund hat, sein Wagnis zu bereuen : Faust ist vielmehr bisher noch nie so sehr auf die Absicht des Mephistopheles eingegangen, wie er es hier thut, so dafs des Mephistopheles Wirken hier in der That seinen Gipfelpunkt erreicht. Faust findet wirklich Gefallen an der Thätigkeit, die er durch die Hilfe des Mephistopheles ausführen kann.
Aber noch ist sein Gemüt von dem Schicksal Gretchens tief bekümmert : er mufs sich sagen , dafs er selbst das Unheil über sie gebracht hat, und er ist noch nicht eingeteufelt genug, um ruhig darüber fortzugehen. Er wird von seinem Gewissen gequält: in diesem Zustande kann er unmöglich einen neuen Versuch unternehmen , dem er unbefangen und von der Vergangenheit unbehelligt entgegengehen mufs. Mephistopheles kann ihn von diesen Qualen nicht befreien : er versteht sie überhaupt nicht. Für ihn war. Gretchen von dem Augenblick an beseitigt, da sie ihm für seine Zwecke nichts mehr nützen konnte. Aber aufser Mephistopheles hat Gott selbst das höchste Interesse daran, dafs Faust seine weitere Entwickelung durchmache : nur unter dieser Voraussetzung ist es möglich, dafs er seinen Weg findet, dafs der von Gott verfolgte Plan zur Ausführung gelangt. So ist es denn Gott, der helfend eingreift, indem er durch gute Geister Fausts Seele läutern läfst. Diese guten Geister sind die Elfen, deren »Geisterkreis« von Ariel angeführt wird : hier die wirklichen Elfen , die nicht wie die von teuflischen Geistern dargestellten in dem Theater der Walpurgisnacht Freude an Hohn und bitterem Spott haben. Ihre gute Natur treibt sie vielmehr zu helfen, wo Hilfe notwendig ist: sie fragen nicht lange nach dem Verdienst: »Kleiner Elfen Geistergröfse Eilet wo sie helfen kann; Ob er heilig, ob er böse, Jammert sie der Unglücksmann.« So erzeigen sie sich denn nach edler Elfen Weise und rufen sich zu: »Besänftiget des Herzens grimmen Straufs, Entfernt des Vorwurfs glühend bittre Pfeile, Sein Innres reinigt von erlebtem Graus.«
Diese Reinigung wird durch eine symbolische Handlung ausgeführt : so wie Faust aus der Nacht eines vorwurfsgequälten Daseins zum Tag eines neuen Lebens aufwachen soll , so führen die Elfen in ihrem Gesang eine Nacht an ihm vorüber und lassen aus ihr den neuen Tag entstehen , indem sie die vier »Pausen nächt'ger Weile« selbst ; freundlich ausfüllen« : während sie sie ihrerseits so erleben , kommt die Wirkung dieses Erlebnisses Faust zu gute. Sie lassen den unruhig nach Schlaf Suchenden wirklich einschlafen und baden ihn »im Tau aus Lethes Flut« : so soll er Vergessenheit seines bisherigen Lebens gewinnen, um frisch ein neues Leben anfangen zu können. Und wie Orest, aus der Betäubung zu neuem Leben erwachend, »aus Lethes Fluten den letzten kühlen Becher der Erquickung« zu erhalten begehrt, so wird auch Faust durch »den Tau aus Lethes Flut« »dem heil'gen Licht« zurückgegeben.
Wie bei dem Trunk in der Hexenküche ist auch die Wirkung dieser Labe eine augenblickliche. Faust wacht auf und fühlt, wie des Lebens Pulse frisch lebendig schlagen : in seinem Herzen erwacht sofort sein ernstestes Bestreben wieder, »zum höchsten Dasein immer fortzustreben« (nicht wie jetzt gedruckt wird: »immerfort« zu streben!). Damit ist ihm auch wieder das Mitfühlen mit der Natur erwacht: mit ihr, der Verleiblichung des Erdgeistes, fühlt er sich stets eins, sobald die gute Natur in ihm zur Herrschaft kommt. Aber wirklich eins mit ihr sein ist doch nicht möglich. Mit Wonne sieht er die wachsende Herrschaft der steigenden Sonne : aber wie sie endlich selbst hervortritt, steht er geblendet, und von dem Höchsten in der Natur wird er, wie einst vom Erdgeiste selbst, auf das dem Menschen zukommende Mafs zurückgewiesen, Er kann das Höchste nur im Abbild geniefsen und fühlt sich so zur Erde und den Bestrebungen auf ihr zurückgelenkt : höhere Wesen haben das Leben im wirklichen Schauen und Erkennen des Höchsten : wir Menschen dagegen, »am farb'gen Abglanz haben wir das Leben«. So ist er in der Stimmung, diesem farb'gen Abglanz des Lebens sich zu widmen und damit vorbereitet in einen neuen Lebenskreis zu treten : wir finden ihn bald am Hofe des Kaisers , der Sonne unter den Menschen, wieder.
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