> Gedichte und Zitate für alle: Wilhelm Bode: Goethes Lebenskunst- Vorwort zur ersten Auflage (2)

2019-12-01

Wilhelm Bode: Goethes Lebenskunst- Vorwort zur ersten Auflage (2)





Vorwort zur ersten Auflage 

Dieses Buch erzählt, wie Goethe wohnte und wirtschaftete, wie er sich kleidete, wie er aß und trank, wie er seine Gesundheit stärkte und Krankheiten ertrug, wie er sich gegen Fremde und Freunde verhielt, gegen Höherstehende und Untergebene, wie er als Liebhaber und Ehemann war, und dann weiter: wie er arbeitete und lernte, wie er ein guter, gerechter, empor steigender Mensch zu sein sich bemühte und wie er sich zu Gott und seinen Verkündern stellte. Es wird den Lesern keine Geschichte seines Lebens und keine Besprechung seiner Werke geboten, auch macht das Buch nicht den Anspruch, die Wissenschaft vorwärts zu bringen. Es wird zwar Vieles mitgeteilt, was an die berüchtigte Kleinigkeitskrämerei einiger Goethe-Philologen erinnert, dabei wolle man aber den Autor recht verstehen. „Wie Er sich räuspert und wie Er spuckt,“ wäre freilich ein unwürdiger Gegenstand für ein mühseliges Studium oder gar einen devoten Kultus, aber auch die kleinen Striche gehören zu einem Bilde, und in kleinen Zügen erkennen wir den großen Charakter. Sobald wir Goethe als einen der edelsten und klügsten Landsleute gelten lassen, liegt es uns nahe, uns auch in den tausend Kleinigkeiten, aus denen unser Leben besteht, mit ihm zu vergleichen. Man braucht das ja nicht so weit zu treiben wie jener Professor, der sich nass regnen ließ, denn: „Goethe trug nie einen Schirm!“ „Trug Goethe auch nie einen reinen Kragen?“ fragte darauf eine scharfe Zunge nicht ohne Grund.

Als Quellen dienten mir besonders Goethes Briefe und Gespräche, erstere in der noch unvollendeten Sophien-Ausgabe und in Riemers Sammlung des Briefwechsels mit Zelter, letztere in der großen Sammlung des Freiherrn v. Biedermann und in den bekannten kleineren Ausgaben. Manchen bot auch des Kanzler v. Müllers Gedächtnisrede vor der Erfurter Akademie gemeinnütziger Wissenschaften. Ferner wurden die autobiographischen Schriften und Notizen Goethes, die Tagebücher, Annalen u. s. w. benutzt; einige Gedanken flossen mir auch aus den Biographien von Bielschowsky und Heinemann zu.

Mein Ehrgeiz bei diesem Buche ist, dass einige Leser empfinden möchten, was Zuhörer nach meinen Vorträgen über den Menschen Goethe mir sagten: nun ist er uns doch viel näher gerückt, nun kennen und verstehen wir ihn doch viel besser. Das Buch ist an einem Pulte geschrieben, das nur hundert Schritte von Goethes letzter Ruhestätte entfernt ist, und viele Seiten habe ich auf Spazierwegen vorbereitet, die auch er zu gehen pflegte. Hoffentlich ist es gelungen, von seinem Geiste manchen Hauch auf diese Seiten zu bannen.

Weimar, im Oktober 1900.

Dr. Wilhelm Bode.


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