> Gedichte und Zitate für alle: J.W.v.Goethe: Der Granit als Unterlage aller geologischen Bildungen

2020-01-30

J.W.v.Goethe: Der Granit als Unterlage aller geologischen Bildungen




Der Granit als Unterlage aller geologischen Bildungen


Da wir von denen Gebirgslagen reden wollen, in der Ordnung, wie wir solche auf- und nebeneinander finden, so ist es natürlich, daß wir von dem Granit den Anfang machen. 

Denn es stimmen alle Beobachtungen, deren neuerdings so viele angestellt worden, darin überein, daß er die tiefste Gebirgsart unseres Erdbodens ist, daß alle übrigen auf und neben ihm gefunden werden, er hingegen auf keiner andern aufliegt, so daß er, wenn er auch nicht den ganzen Kern der Erde ausmacht, doch wenigstens die tiefste Schale ist, die uns bekannt geworden. 

Es unterscheidet sich diese merkwürdige Gesteinart dadurch von allen andern, daß sie zwar nicht einfach ist, sondern aus sichtbaren Teilen besteht; jedoch zeigt der erste Anblick, daß diese Teile durch kein drittes Mittel verbunden sind, sondern nur an- und nebeneinander bestehn und sich selbst untereinander festhalten. Wir nennen diese voneinander wohl zu unterscheidenden Teile: Quarz, Feldspat, Glimmer, wozu noch manchmal einige als Schörl hinzukommen. 

Wenn wir diese Teile genau betrachten, so kömmt uns vor, als ob sie nicht, wie man es sonst von Teilen denken muß, vor dem Ganzen gewesen seien; sie scheinen nicht zusammengesetzt oder aneinander gebracht, sondern zugleich mit ihrem Ganzen, das sie ausmachen, entstanden. Und obgleich nur der Glimmer öfters in seiner sechsseitigen, tafel- artigen Kristallisation erscheint, und Quarz und Feldspat, weil es ihnen an Raum gebrach, die ihnen eigenen Gestalten nicht annehmen konnten, so sieht man doch offenbar, daß der Granit durch eine lebendige, bei ihrem Ursprung sehr zusammengedrängte Kristallisation entstanden ist. — Es sei uns erlaubt, auf die Entstehung desselbigen und auf die Materie, woraus er entstanden, einige Schlüsse zu machen. 

Da dem Menschen nur solche Wirkungen in die Augen fallen, welche durch große Bewegungen und Gewaltsamkeit der Kräfte entstehen, so ist er jederzeit geneigt, zu glauben, daß die Natur heftige Mittel gebraucht, um große Dinge hervorzubringen, ob er sich gleich täglich an derselben eines anderen belehren könnte. So haben uns die Poeten ein streitendes, uneinig tobendes Chaos vorgebildet. 

Man hat von dem Körper der Sonne ungeheure Massen abschöpfen, ins Unendliche schleudern und so unser Sonnensystem erschaffen lassen. 

Mein Geist hat keine Flügel, um sich in die Uranfänge emporzuschwingen. Ich stehe auf dem Granit fest und frage ihn, ob er uns einigen Anlaß geben wolle, zu denken, wie die Masse, woraus er entstanden, beschaffen gewesen.


Zeitgenossen und Nachfahren



Keine Kommentare: