> Gedichte und Zitate für alle: J.W.v.Goethe: Farbenlehre-Anglomanie (239)

2020-01-18

J.W.v.Goethe: Farbenlehre-Anglomanie (239)


Anglomanie 


Die Engländer sind vielleicht vor vielen Nationen geeignet, Auswärtigen zu imponieren. Ihre persönliche Ruhe, Sicherheit, Tätigkeit, Eigensinn und Wohlhäbigkeit geben beinahe ein unerreichbares Musterbild von dem, was alle Menschen sich wünschen.

Ohne uns hier in ein Allgemeines einzulassen, bemerken wir nur, daß die Klage über Anglomanie von früherer Zeit bis zur neuesten in der französischen Literatur vorkommt. Dieser Enthusiasmus der französischen Nation für die englische soll sich besonders gleich nach einem geschlossenen Frieden am lebhaftesten äußern: welches wohl daher kommen mag, weil alsdann nach wiederhergestellter Kommunikation beider Nationen der Reichtum und die Comforts der Engländer dem, wenigstens in früherer Zeit geldarmen und genügsamen Franzosen gar wünschenswert in die Augen leuchten müssen. 

Dieses Vorziehen einer fremden Völkerschaft, dieses Hintansetzen seiner eigenen kann doch wohl aber nicht höher getrieben werden, als wir es oben bei Voltairen finden, der die Newtonische Lehre zum regnum coelorum und die Franzosen zu den parvulis macht. Doch hätte er es gewiß nicht getan, wenn das Vorurteil in seiner Nation nicht schon gäng und gäbe gewesen wäre. Denn bei aller Kühnheit hütet er sich doch, etwas vorzubringen, wogegen er die allgemeine Stimmung kennt, und wir haben ihn im Verdacht, daß er seinen Deismus überall und so entschieden ausspricht, bloß damit er sich vom Verdacht des Atheismus reinige: einer Denkweise, die jederzeit nur wenigen Menschen gemäß und den übrigen zum Abscheu sein mußte.



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