> Gedichte und Zitate für alle: J.W.v.Goethe: Farbenlehre-Chemiker (240)

2020-01-18

J.W.v.Goethe: Farbenlehre-Chemiker (240)


Chemiker 


Das Verhalten der Lackmustinktur gegen Säuren und Alkalien, so bekannt es war, blieb doch immer wegen seiner Eminenz und seiner Brauchbarkeit den Chemikern merkwürdig, ja das Phänomen wurde gewissermaßen für einzig gehalten. Die frühern Bemerkungen des Paracelsus und seiner Schule, daß die Farben aus dem Schwefel und dessen Verbindung mit den Salzen sich herschreiben möchten, waren auch noch in frischem Andenken geblieben. Man gedachte mit Interesse eines Versuchs von Mariotte, der einen roten französischen Wein durch Alkalien gebräunt und ihm das Ansehn eines schlechten verdorbenen Weins gegeben, nachher aber durch Schwefelgeist die erste Farbe, und zwar noch schöner, hergestellt. Man erklärte damals daraus das Vorteilhafte des Aus- und Aufbrennens der Weinfässer durch Schwefel, und fand diese Erfahrung bedeutend.

Die Akademie interessierte sich für die chemische Analyse der Pflanzenteile, und als man die Resultate bei den verschiedensten Pflanzen ziemlich einförmig und übereinstimmend fand, so beschäftigten sich andere wieder, die Unterschiede aufzusuchen. Geoffroy, der jüngere, scheint zuerst auf den Gedanken gekommen zu sein, die essentiellen Öle der Vegetabilien mit Säuren und Alkalien zu behandeln und die dabei vorkommenden Farbenerscheinungen zu beobachten.

Sein allgemeineres Theoretische gelingt ihm nicht sonderlich. Er braucht körperliche Konfigurationen, und dann wieder besondere Feuerteile und was dergleichen Dinge mehr sind. Aber die Anwendung seiner chemischen Versuche auf die Farben der Pflanzen selbst, hat viel Gutes. Er gesteht zwar selbst die Zartheit und Beweglichkeit der Kriterien ein, gibt aber doch deswegen nicht alle Hoffnungen auf; wie wir denn von dem, was er uns überliefert, nähern Gebrauch zu machen gedenken, wenn wir auf diese Materie, die wir in unserm Entwurfe nur beiläufig behandelt haben, dereinst zurückkehren.

In dem animalischen Reiche hatte Réaumur den Saft einiger europäischen Purpurschnecken und dessen Färbungseigenschaften untersucht. Man fand, daß Licht und Luft die Farbe gar herrlich erhöbten. Andere waren auf die Farbe des Blutes aufmerksam geworden und beobachteten, daß das arterielle Blut ein höheres, das venöse ein tieferes Rot zeige. Man schrieb der Wirkung der Luft auf die Lungen jene Farbe zu; weil man es aber materiell und mechanisch nahm, so kam man nicht weiter und erregte Widerspruch. Das Mineralreich bot dagegen bequeme und sichere Versuche dar. Lémery, der jüngere, untersuchte die Metalle nach ihren verschiedenen Auflösungen und Präzipitationen. Man schrieb dem Quecksilber die größte Versatilität in Absicht der Farben zu, weil sie sich an demselben am leichtesten offenbart. Wegen der übrigen glaubte man eine Spezifikation eines jeden Metalls zu gewissen Farben annehmen zu müssen, und blieb deswegen in einer gewissen Beschränktheit, aus der wir uns noch nicht ganz haben herausreißen können. 

Bei allen Versuchen Lemerys jedoch zeigt sich deutlich das von uns relevierte Schwanken der Farbe, das durch Säuren und Alkalien, oder wie man das was ihre Stelle vertritt, nennen mag, hervorgebracht wird. Wie denn auch die Sache so einfach ist, daß, wenn man sich nicht in die Nüancen, welche nur als Beschmutzung anzusehen sind, einläßt, man sich sehr wohl einen allgemeinen Begriff zu eigen machen kann.

Die Zitate zu Vorstehendem fügen wir nicht bei, weil man solche gar leicht in den zu der Histoire und den Mémoires de l'Académie française gefertigten Registern auffinden kann.



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