Die Optik
Seit gedachtem Jahre läßt sich Newton in weiter keine Kontrovers ein, schreibt aber die Optik, welche 1705 herauskommt, da seine Autorität am höchsten gestiegen und er zum Präsidenten der Sozietät ernannt war. In diesem Werke sind die Erfahrungen und Versuche so gestellt, daß sie allen Einwendungen die Stirn bieten sollen.
Um nunmehr dasjenige, worauf es bei der Sache ankommt, historisch deutlich zu machen, müssen wir einiges aus der vergangenen Zeit nachholen. Die Wirkung der Refraktion war von den ältesten Zeiten her bekannt, ihre Verhältnisse aber bis in das sechzehnte Jahrhundert nur empirisch bestimmt. Snellius entdeckte das Gesetzliche daran und bediente sich zur Demonstration des subjektiven Versuchs, den wir mit dem Namen der Hebung bezeichnet haben. Andere wählten zur Demonstration den objektiven Versuch, und das Kunstwort Brechung wird davon ausschließlich gebraucht. Das Verhältnis der beiden Sinus des Einfalls- und Brechungswinkels wird rein ausgesprochen, als wenn kein Nebenumstand dabei zu beobachten wäre.
Die Refraktion kam hauptsächlich bei Gelegenheit der Fernröhre zur Sprache. Diejenigen, die sich mit Teleskopen und deren Verbesserung beschäftigten, mußten bemerken, daß durch Objektivgläser, die aus Kugelschnitten bestehen, das Bild nicht rein in einen Punkt zu bringen ist, sondern daß eine gewisse Abweichung stattfindet, wodurch das Bild undeutlich wird. Man schrieb sie der Form der Gläser zu und schlug deswegen hyperbolische und elliptische Oberflächen vor.
So oft von Refraktion, besonders seit Antonius De Dominis, die Rede ist, wird auch immer der Farbenerscheinung gedacht. Man ruft bei dieser Gelegenheit die Prismen zu Hülfe, welche das Phänomen so eminent darstellen. Als Newton sich mit Verbesserung der Teleskope beschäftigte und, um jene Aberration von seiten der Form wegzuschaffen, hyperbolische und elliptische Gläser arbeitete, untersuchte er auch die Farbenerscheinung und überzeugte sich, daß diese gleichfalls eine Art von Abweichung sei wie jene, doch von weit größerer Bedeutung, dergestalt, daß jene dagegen gar nicht zu achten sei, diese aber wegen ihrer Größe, Beständigkeit und Untrennbarkeit von der Refraktion alle Verbesserung der dioptrischen Teleskope unmöglich mache.
Bei Betrachtung dieser die Refraktion immer begleitenden Farbenerscheinung fiel hauptsächlich auf, daß ein rundes Bild wohl seine Breite behielt, aber in der Länge zunahm. Es wurde nunmehr eine Erklärung gefordert, welche im siebzehnten Jahrhundert oft versucht worden, niemanden aber gelungen war. Newton scheint, indem er eine solche Erklärung aufsuchte, sich gleich die Frage getan zu haben: ob die Ursache in einer innern Eigenschaft des Lichts oder in einer äußern Bedingtheit desselben zu suchen sei? Auch läßt sich aus seiner Behandlung der Sache, wie sie uns bekannt worden, schließen, daß er sich sehr schnell für die erstere Meinung entschieden habe. Das erste, was er also zu tun hatte, war, die Bedeutsamkeit aller äußern Bedingungen, die bei dem prismatischen Versuche vorkamen, zu schwächen oder ganz zu beseitigen. Ihm waren die Überzeugungen seiner Vorgänger wohl bekannt welche eben diesen äußern Bedingungen einen großen Wert beigelegt. Er führt ihrer sechs auf, um eine nach der andern zu verneinen. Wir tragen sie in der Ordnung vor, wie er sie selbst aufführt, und als Fragen, wie er sie gleichfalls gestellt hat.
Erste Bedingung. Trägt die verschiedene Dicke des Glases zur Farbenerscheinung bei? Diese hier nur im allgemeinen und Unbestimmten aufgestellte Frage ward eigentlich dadurch veranlaßt: Antonins De Dominis, Kircher und andere hatten geglaubt, indem sie das Gelbe durch die Spitze des brechenden Winkels oder näher an ihm, das Blaue aber zu oberst, wo das Prisma mehrere Masse hat, hervorgebracht sahen, es sei die größere oder geringere Stärke des Glases Ursache der Farbenverschiedenheit. Sie hätten aber nur dürfen beim Gebrauch eines größeren Prismas dasselbe von unten hinauf, oder von oben herunter, nach und nach zudecken, so würden sie gesehen haben, daß an jeder mittleren Stelle jede Farbe entstehen kann. Und Newton hatte also ganz recht, wenn er in diesem Sinne die Frage mit Nein beantwortet. Doch haben weder er noch seine Nachfolger auf den wichtigen Umstand aufmerksam gemacht, daß die Stärke oder die Schwäche des Mittels überhaupt, zwar nicht zur Entstehung der verschiedenen Farben, aber doch zum Wachstum oder zur Verminderung der Erscheinung sehr viel beitrage, wie wir am gehörigen Orte umständlich ausgeführt haben. (E. 209-217.) Diese Bedingung ist also keineswegs als vollkommen beseitigt anzusehen, sie bleibt vielmehr in einem Sinne, an den man freilich damals nicht gedacht, als höchst bedeutend bestehen.
Zweite Bedingung. Inwiefern tragen größere oder kleinere Öffnungen im Fensterladen zur Gestalt der Erscheinung, besonders zum Verhältnis ihrer Länge zur Breite bei?
Newton will auch diese Bedingung unbedeutend gefunden haben, welches sich auf keine Weise begreifen läßt, als daß man annimmt, er habe, indem er mit kleinen Prismen operiert, die Öffnungen im Fensterladen nicht von sehr verschiedener Größe machen können. Denn obgleich das Verhältnis der Länge zur Breite im prismatischen Bilde von mancherlei Ursachen abhängt, so ist doch die Größe der Öffnung eine der hauptsächlichsten: denn je größer die Öffnung wird, desto geringer wird das Verhältnis der Länge zur Breite. Man sehe, was wir hierüber im polemischen Teil (92) umständlich und genau ausgeführt haben. Diese zweite Frage wird also von uns auf das entschiedenste mit Ja beantwortet.
Dritte Bedingung. Tragen die Grenzen des Hellen und Dunklen etwas zur Erscheinung bei? Das ganze Kapitel unseres Entwurfs, welches die Farben abhandelt, die bei Gelegenheit der Refraktion entstehen, ist durchaus bemüht zu zeigen, daß eben die Grenzen ganz allein die Farbenerscheinung hervorbringen. Wir wiederholen hier nur das Hauptmoment. Es entspringt keine prismatische Farbenerscheinung, als wenn ein Bild verrückt wird, und es kann kein Bild ohne Grenze sein. Bei dem gewöhnlichen prismatischen Versuch geht durch die kleinste Öffnung das ganze Sonnenbild durch, das ganze Sonnenbild wird verrückt; bei geringer Brechung nur an den Rändern, bei stärkerer aber völlig gefärbt. Durch welche Art von Untersuchung jedoch Newton sich überzeugt habe, daß der Grenze kein Einfluß auf die Farbenerscheinung zuzuschreiben sei, muß jeden, der nicht verwahrlost ist, zum Erstaunen, ja zum Entsetzen bewegen, und wir fordern alle günstige und ungünstige Leser auf, diesem Punkte die größte Aufmerksamkeit zu widmen.
Bei jenem bekannten Versuche, bei welchem das Prisma innerhalb der dunklen Kammer sich befindet, geht das Licht, oder vielmehr das Sonnenbild, zuerst durch die Öffnung und dann durch das Prisma, da denn auf der Tafel das farbige Spektrum erscheint. Nun stellt der Experimentator, um gleichsam eine Probe auf seinen ersten Versuch zu machen, das Prisma hinaus vor die Öffnung und findet in der dunklen Kammer, vor wie nach, sein gefärbtes verlängertes Bild. Daraus schließt er, die Öffnung habe keinen Einfluß auf die Färbung desselben.
Wir fodern alle unsere gegenwärtigen und künftigen Gegner auf diese Stelle. Hier wird von nun an um die Haltbarkeit oder Unhaltbarkeit des Newtonischen Systems gekämpft, hier, gleich am Eingange des Labyrinths und nicht drinnen in den verworrenen Irrgängen, hier, wo uns Newton selbst aufbewahrt hat, wie er zu seiner Überzeugung gelangt ist. Wir wiederholen daher was schon oft von uns didaktisch und polemisch eingeschärft worden: das gebrochene Licht zeigt keine Farbe, als bis es begrenzt ist; das Licht nicht als Licht, sondern insofern es als ein Bild erscheint, zeigt bei der Brechung eine Farbe, und es ist ganz einerlei, ob erst ein Bild entstehe, das nachher gebrochen wird, oder ob eine Brechung vorgehe, innerhalb welcher man ein Bild begrenzt.
Man gewöhne sich, mit dem großen Wasserprisma zu operieren, welches uns ganz allein über die Sache einen vollkommnen Aufschluß geben kann, und man wird nicht aufhören, sich zu wundern, durch welch einen unglaublichen Fehlschluß sich ein so vorzüglicher Mann nicht allein zu Anfang getäuscht, sondern den Irrtum so bei sich festwurzeln lassen, daß er wider allen Augenschein, ja wider besser Wissen und Gewissen, in der Folge dabei verharrt und einen ungehörigen Versuch nach dem andern ersonnen, um seine erste Unaufmerksamkeit vor unaufmerksamen Schülern zu verbergen. Man sehe, was von uns im polemischen Teile, besonders zum zweiten Teil des ersten Buchs der Optik, umständlicher ausgeführt worden, und erlaube uns hier den Triumph der guten Sache zu feiern, den ihr die Schule, mit aller ihrer Halsstarrigkeit, nicht lange mehr verkümmern wird. Jene drei nunmehr abgehandelten Fragepunkte beziehen sich auf Äußerungen älterer Naturforscher. Der erste kam vorzüglich durch Antonius De Dominis, der zweite und dritte durch Kircher und Descartes zur Sprache.
Außerdem waren noch andre Punkte zu beseitigen, andere äußere Bedingungen zu leugnen, die wir nun der Ordnung nach vorführen, wie sie Newton beibringt. Vierte Bedingung. Sind vielleicht Ungleichheiten und Fehler des Glases schuld an der Erscheinung? Noch in dem siebzehnten Jahrhunderte sind uns mehrere Forscher begegnet, welche die prismatischen Erscheinungen bloß für zufällig und regellos hielten. Newton bestand zuerst mit Macht darauf, daß sie regelmäßig und beständig seien.
Wenn Ungleichheiten und Fehler des Glases unregelmäßig scheinende Farben hervorbringen, so entstehen sie doch ebenso gut dem allgemeinen Gesetze gemäß, als die entschiedenen des reinsten Glases: denn sie sind nur Wiederholungen im kleinen von der größern Farbenerscheinung an den Rändern des Prismas, indem jede Ungleichheit, jede undurchsichtige Faser, jeder dunkle Punkt als ein Bildchen anzusehen ist, um welches her die Farben entstehen. Wenn also die Haupterscheinung gesetzlich und konstant ist, so sind es diese Nebenerscheinungen auch; und wenn Newton völlig recht hatte, auf dem Gesetzlichen des Phänomens zu bestehen, so beging er doch den großen Fehler, das eigentliche Fundament dieses Gesetzlichen nicht anzuerkennen.
Fünfte Bedingung. Hat das verschiedene Einfallen der Strahlen, welche von verschiedenen Teilen der Sonne herabkommen, Schuld an der farbigen Abweichung? Es war freilich dieses ein Punkt, welcher eine genaue Untersuchung verdiente. Denn kaum hatte man sich an der durch Huyghens bekannt gewordnen Entdeckung des Snellius, wodurch dem Einfallswinkel zu dem gebrochnen Winkel ein beständiges Verhältnis zugesichert worden, kaum hatte man sich daran erfreut und hierin ein großes Fundament zu künftigen Untersuchungen und Ausübungen erblickt, als nun Newton auf einmal die früher kaum geachtete farbige Aberration so sehr bedeutend finden wollte. Die Geister hielten fest an jener Vorstellung, daß Inzidenz und Brechung in bestimmtem Verhältnisse stehen müsse, und die Frage war natürlich: ob nicht etwa auch bei dieser scheinbar aus der Regel schreitenden Erscheinung eine verschiedene Inzidenz im Spiele sei?
Newton wendete also hier ganz zweckmäßig seine mathematische Genauigkeit an diesen Punkt und zeigte, soviel wir ihn beurteilen können, gründlich, obgleich mit etwas zu viel Umständlichkeit, daß die Farbenerscheinung keiner diversen Inzidenz zugeschrieben werden könne, worin er denn auch ganz recht hat und wogegen nichts weiter zu sagen ist. Sechste Bedingung. Ob vielleicht die Strahlen nach der Refraktion sich in krummen Linien fortpflanzen und also das so seltsam verlängerte Bild hervorbringen? Durch Descartes und andre, welche zu mechanischen Erklärungsarten geneigt waren, kam beim Lichte, beim Schall und bei andern schwer zu versinnlichenden Bewegungen das in mechanischen Fällen übrigens ganz brauchbare Beispiel vom Ballschlag zur Sprache. Weil nun der geschlagene Ball sich nicht in gerader Linie, sondern in einer krummen bewegt, so konnte man nach jener globularen Vorstellungsart denken, das Licht erhalte bei der Refraktion einen solchen Schub, daß es aus seiner geradlinigen Bewegung in eine krummlinige überzugehen veranlaßt werde. Gegen diesem Vorstellungen argumentiert und experimentiert Newton, und zwar mit Recht.
Da nunmehr Newton diese sechs äußern Bedingungen völlig removiert zu haben glaubt, so schreitet er unmittelbar zu dem Schlusse: es sei die Farbe dem Licht nicht nur eingeboren, sondern die Farben in ihren spezifischen Zuständen seien in dem Licht als ursprüngliche Lichter enthalten, welche nur durch die Refraktion und andre äußere Bedingungen manifestiert, aus dem Lichte hervorgebracht und in ihrer Uranfänglichkeit und Unveränderlichkeit nunmehr dargestellt würden.
Daß an diesen dergestalt entwickelten und entdeckten Lichtern keine weitere Veränderung vorgehe, davon sucht er sich und andere durch das Experimentum Crucis zu überzeugen; worauf er denn in dreizehn Propositionen seine Lehre mit allen Klauseln und Kautelen, wie sie hernach völlig stehen geblieben, vorträgt, und da er die Farben zuerst aus dem weißen Licht entwickelt, zuletzt sich genötigt sieht, das weiße Licht wieder aus ihnen zusammenzusetzen. Dieses glaubt er vermittelst der Linse zu leisten, die er ohne weitre Vorbereitung einfahrt und sich für vollkommen befriedigt hält, wenn er das im Brennpunkt aufgehobene farbige Bild für das wieder zusammengebrachte, vereinigte, gemischte ausgeben kann.
Die Folgerung, die er aus allem diesem zieht, ist sodann, daß es unnütz sei, sich mit Verbesserung der dioptrischen Fernröhre abzugeben, daß man sich vielmehr bloß an die katoptrischen halten müsse, wozu er eine neue Vorrichtung ausgesonnen. Diese ersten Konfessionen und Behauptungen Newtons wurden in jenem von uns angezeigten Briefe an die königliche Sozietät der Wissenschaften gebracht und durch die Transaktionen öffentlich bekannt. Sie sind das erste, was von Newtons Lehre im Publikum erscheint und uns in manchem Sinne merkwürdig, besonders auch deshalb, weil die ersten Einwendungen seiner Gegner vorzüglich gegen diesen Brief gerichtet sind.
Nun haben wir gesehen, daß sein Hauptfehler darin bestanden, daß er jene Fragen, die sich hauptsächlich darauf beziehen: ob äußere Bedingungen bei der Farbenerscheinung mitwirken? zu schnell und übereilt beseitigt und verneint, ohne auf die näheren Umstände genauer hinzusehen. Deswegen haben wir ihm bei einigen Punkten völlig, bei andern zum Teil, und abermals bei andern nicht widersprechen müssen und können, und wir haben deutlich zu machen gesucht, welche Punkte, und inwiefern sie haltbar sind oder nicht. Widerstrebt nun einer seiner ersten Gegner irrigerweise den haltbaren Punkten, so muß er bei der Kontrovers verlieren, und es entsteht ein gutes Vorurteil für das Ganze; widerstrebt ein Gegner den unhaltbaren Punkten, aber nicht kräftig genug und auf die unrechte Weise, so muß er wieder verlieren, und das Falsche erhält die Sanktion des Wahren.
Schon in diesem Briefe, wie in allen Beantwortungen, die er gegen seine ersten Gegner richtet, findet sich jene von uns in der Polemik angezeigte Behandlungsart seines Gegenstandes, die er auf seine Schüler fortgepflanzt hat. Es ist ein fortdauerndes Setzen und Aufheben, ein unbedingtes Aussprechen und augenblickliches Limitieren, so daß zugleich alles und nichts wahr ist.
Diese Art, welche eigentlich bloß dialektisch ist und einem Sophisten ziemte, der die Leute zum besten haben wollte, findet sich, so viel mir bekannt geworden, seit der scholastischen Zeit wieder zuerst bei Newton. Seine Vorgänger, von den wiederauflebenden Wissenschaften an, waren, wenn auch oft beschränkt, doch immer treulich dogmatisch, wenn auch unzulänglich, doch redlich didaktisch; Newtons Vortrag hingegen besteht aus einem ewigen Hinterstzuvörderst, aus den tollsten Transpositionen, Wiederholungen und Verschränkungen, aus dogmatisierten und didaktisierten Widersprüchen, die man vergeblich zu fassen strebt, aber doch zuletzt auswendig lernt und also etwas wirklich zu besitzen glaubt. Und bemerken wir nicht im Leben, in manchen andern Fällen: wenn wir ein falsches Aperçu, ein eigenes oder fremdes, mit Lebhaftigkeit ergreifen, so kann es nach und nach zur fixen Idee werden und zuletzt in einen völligen partiellen Wahnsinn ausarten, der sich hauptsächlich dadurch manifestiert, daß man nicht allein alles einer solchen Vorstellungsart Günstige mit Leidenschaft festhält, alles zart Widersprechende ohne weiteres beseitigt, sondern auch das auffallend Entgegengesetzte zu seinen Gunsten auslegt.
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