> Gedichte und Zitate für alle: J.W.v.Goethe: Farbenlehre-Malebranche (231)

2020-01-17

J.W.v.Goethe: Farbenlehre-Malebranche (231)



Malebranche 



Wir haben schon oben S. 472 den Entwurf seiner 
Lehre eingerückt. Er gehört unter diejenigen, welche 
Licht und Farbe zarter zu behandeln glaubten, wenn 
sie sich diese Phänomene als Schwingungen erklärten. 
Und es ist bekannt, daß diese Vorstellungsart durch 
das ganze achtzehnte Jahrhundert Gunst gefunden. 
Nun haben wir schon geäußert, daß nach unserer 
Überzeugung damit gar nichts gewannen ist. Denn 
wenn uns der Ton deswegen begreiflicher zu sein 
scheint als die Farbe, weil wir mit Augen sehen und 
mit Händen greifen können, daß eine mechanische 
Impulsion Schwingungen an den Körpern und in der 
Luft hervorbringt, deren verschiedene Maßverhältnisse 
harmonische und disharmonische Töne bilden, 
so erfahren wir doch dadurch keinesweges, was der 
Ton sei und wie es zugehe, daß diese Schwingungen 
und ihre Abgemessenheiten das, was wir im allgemeinen 
Musik nennen, hervorbringen mögen. Wenn wir 
nun aber gar diesen mechanischen Wirkungen, die wir 
für intelligibel halten, weil wir einen gewissermaßen 
groben Anstoß so zarter Erscheinungen bemerken 
können, zum Gleichnis brauchen, um das, was Licht 
und Farbe leisten, uns auf eben dem Wege begreiflich 
zu machen, so ist dadurch eigentlich gar nichts getan. 


Statt der Luft, die durch den Schall bewegt wird, 
einen Äther zu supponieren, der durch die Anregung 
des Lichts auf eine ähnliche Weise vibriere, bringt 
das Geschäft um nichts weiter: denn freilich ist am 
Ende alles Leben und Bewegung, und beide können 
wir doch nicht anders gewahr werden, als daß sie sich 
selbst rühren und durch Berührung das Nächste zum 
Fortschritt anreizen. 

Wie unendlich viel ruhiger ist die Wirkung des Lichts als die des Schalles. Eine Welt, die so anhaltend von Schall erfüllt wäre, als sie es von Licht ist, würde ganz unerträglich sein.

Durch diese oder eine ähnliche Betrachtung ist wahrscheinlich Malebranche, der ein sehr zart fühlender Mann war, auf seine wunderlichen Vibrations de pression geführt worden, da die Wirkung des Lichts durchaus mehr einem Druck als einem Stoß ähnlich ist. Wovon diejenigen, welche es interessiert, die Memoiren der Akademie von 1699 nachsehen werden.



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