IV. Bildung des Kelches
31. Oft sehen wir diese Umwandlung schnell vor
sich gehn, und in diesem Falle rückt der Stengel, von
dem Knoten des letzten ausgebildeten Blattes an, auf
einmal verlängt und verfeinert, in die Höhe; und versammlet
an seinem Ende mehrere Blätter um eine
Achse.
32. Daß die Blätter des Kelches ebendieselbigen
Organe seien, welche sich bisher als Stengelblätter
ausgebildet sehen lassen, nun aber oft in sehr veränderter
Gestalt um einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt
versammlet stehen, läßt sich, wie uns dünkt,
auf das deutlichste nachweisen.
33. Wir haben schon oben bei den Kotyledonen eine ähnliche Wirkung der Natur bemerkt, und mehrere Blätter, ja offenbar mehrere Knoten, um einen Punkt versammlet und nebeneinandergerückt gesehen. Es zeigen die Fichtenarten, indem sie sich aus dem Samenkorn entwickeln, einen Strahlenkranz von unverkennbaren Nadeln, welche, gegen die Gewohnheit anderer Kotyledonen, schon sehr ausgebildet sind; und wir sehen in der ersten Kindheit dieser Pflanze schon diejenige Kraft der Natur gleichsam angedeutet, wodurch in ihrem höheren Alter der Blüten- und Fruchtstand gewirkt werden soll.
34. Ferner sehen wir bei mehreren Blumen unveränderte
Stengelblätter gleich unter der Krone zu einer
Art von Kelch zusammengerückt. Da sie ihre Gestalt
noch vollkommen an sich tragen, so dürfen wir uns
hier nur auf den Augenschein und auf die botanische
Terminologie berufen, welche sie mit dem Namen
Blütenblätter, Folia floralia, bezeichnet hat.
35. Mit mehrerer Aufmerksamkeit haben wir den oben schon angeführten Fall zu beobachten, wo der Übergang zum Blütenstande langsam vorgeht, die Stengelblätter nach und nach sich zusammenziehen, sich verändern, und sich sachte in den Kelch gleichsam einschleichen; wie man solches bei Kelchen der Strahlenblumen, besonders der Sonnenblumen, der Kalendeln, gar leicht beobachten kann.
36. Diese Kraft der Natur, welche mehrere Blätter
um eine Achse versammlet, sehen wir eine noch innigere
Verbindung bewirken und sogar diese zusammengebrachten
modifizierten Blätter noch unkenntlicher
machen, indem sie solche untereinander manchmal
ganz, oft aber nur zum Teil verbindet, und an
ihren Seiten zusammengewachsen hervorbringt. Die
so nahe aneinandergerückten und -gedrängten Blätter
berühren sich auf das genauste in ihrem zarten Zustande,
anastomosieren sich durch die Einwirkung der
höchst reinen in der Pflanze nunmehr gegenwärtigen
Säfte, und stellen uns die glockenförmigen oder sogenannten
einblätterigen Kelche dar, welche, mehr oder
weniger von oben herein eingeschnitten, oder geteilt,
uns ihren zusammengesetzten Ursprung deutlich zeigen.
Wir können uns durch den Augenschein hiervon
belehren, wenn wir eine Anzahl tief eingeschnittener
Kelche gegen mehrblätterige halten; besonders wenn
wir die Kelche mancher Strahlenblumen genau betrachten.
So werden wir zum Exempel sehen, daß ein
Kelch der Kalendel, welcher in der systematischen
Beschreibung als einfach und vielgeteilt aufgeführt
wird, aus mehreren zusammen - und übereinandergewachsenen
Blättern bestehe, zu welchen sich, wie
schon oben gesagt, zusammengezogene Stammblätter
gleichsam hinzuschleichen.
37. Bei vielen Pflanzen ist die Zahl und die Gestalt, in welcher die Kelchblätter, entweder einzeln oder zusammengewachsen, um die Achse des Stiels gereihet werden, beständig, so wie die übrigen folgenden Teile. Auf dieser Beständigkeit beruhet größtenteils das Wachstum, die Sicherheit, die Ehre der botanischen Wissenschaft, welche wir in diesen letztern Zeiten immer mehr haben zunehmen sehn. Bei andern Pflanzen ist die Anzahl und Bildung dieser Teile nicht gleich beständig; aber auch dieser Unbestand hat die scharfe Beobachtungsgabe der Meister dieser Wissenschaft nicht hintergehen können, sondern sie haben durch genaue Bestimmungen auch diese Abweichungen der Natur gleichsam in einen engern Kreis einzuschließen gesucht.
38. Auf diese Weise bildete also die Natur den Kelch, daß sie mehrere Blätter und folglich mehrere Knoten, welche sie sonst nacheinander, und in einiger Entfernung voneinander hervorgebracht hätte, zusammen, meist in einer gewissen bestimmten Zahl und Ordnung um einen Mittelpunkt verbindet. Wäre durch zudringende überflüssige Nahrung der Blütenstand verhindert worden; so würden sie alsdann auseinandergerückt, und in ihrer ersten Gestalt erschienen sein. Die Natur bildet also im Kelch kein neues Organ, sondern sie verbindet und modifiziert nur die uns schon bekannt gewordenen Organe, und bereitet sich dadurch eine Stufe näher zum Ziel.
Inhalt Morphologie
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