Schicksal der Druckschrift
Derjenige, der sich im stillen mit einem würdigen
Gegenstande beschäftigt, in allem Ernst ihn zu umfassen
bestrebt macht sich keinen Begriff, daß gleichzeitige
Menschen ganz anders zu denken gewohnt sind
als er, und es ist sein Glück: denn er würde den Glauben
an sich selbst verlieren, wenn er nicht an Teilnahme
glauben dürfte. Tritt er aber mit seiner Meinung
hervor, so bemerkt er bald, daß verschiedene Vorstellungsarten
sich in der Welt bekämpfen und so gut den
Gelehrten als Ungelehrten verwirren. Der Tag ist
immer in Parteien geteilt, die sich selbst so wenig
kennen als ihre Antipoden. Jeder wirkt leidenschaftlich
was er vermag, und gelangt so weit es gelingen
will.
Der Verfasser, sagte derselbe, hat eine eigene, verborgene Absicht, die ich aber vollkommen deutlich einsehe, er will den Künstler lehren, wie sprossende und rankende Blumenverzierungen zu erfinden sind, nach Art und Weise der Alten in fortschreitender Bewegung. Die Pflanze muß von den einfachsten Blättern ausgehen, die sich stufenweise vermannigfaltigen, einschneiden, vervielfältigen und, indem sie sich vorwärts schieben, immer ausgebildeter, schlanker und leichter werden, bis sie sich in dem größten Reichtum der Blume versammeln, um den Samen entweder auszuschütten, oder gar einen neuen Lebenslauf wieder zu beginnen. Marmorpilaster, auf solche Weise verziert, sieht man in der Villa Medicis, und nun verstehe ich erst recht, wie es dort gemeint ist. Die unendliche Fülle der Blätter wird zuletzt von der Blume noch übertroffen, so daß endlich statt der Samenkörner oft Tiergestalten und Genien hervorspringen, ohne daß man es, nach der vorhergehenden, herrlichen Entwickelungsfolge, nur im mindesten unwahrscheinlich fände, ich freue mich nun auf die angedeutete Weise gar manchen Zierat selbst zu erfinden, da ich bisher unbewußt die Alten nachgeahmt habe.
In diesem Falle war jedoch Gelehrten nicht gut gepredigt, sie ließen die Erklärung zur Not hingehn, meinten aber doch: wenn man nichts weiter als die Kunst im Auge habe und Zieraten beabsichtige, so müsse man nicht tun, als wenn man für die Wissenschaften arbeite, wo dergleichen Phantasien nicht gelten dürften. Der Künstler versicherte mich später: in Gefolg der Naturgesetze, wie ich sie ausgesprochen, sei ihm geglückt Natürliches und Unmögliches zu verbinden, und etwas erfreulich Wahrscheinliches hervorzubringen. Jenen Herrn dagegen habe er mit seinen Erklärungen nicht wieder aufwarten dürfen. Von andern Seiten her vernahm ich ähnliche Klänge, nirgends wollte man zugeben, daß Wissenschaft und Poesie vereinbar seien. Man vergaß, daß Wissenschaft sich aus Poesie entwickelt habe, man bedachte nicht, daß, nach einem Umschwung von Zeiten, beide sich wieder freundlich, zu beiderseitigem Vorteil, auf höherer Stelle, gar wohl wieder begegnen könnten.
Freundinnen, welche mich schon früher den einsamen Gebirgen, der Betrachtung starrer Felsen gern entzogen hätten, waren auch mit meiner abstrakten Gärtnerei keineswegs zufrieden. Pflanzen und Blumen sollten sich durch Gestalt, Farbe, Geruch auszeichnen, nun verschwanden sie aber zu einem gespensterhaften Schemen. Da versuchte ich diese wohlwollenden Gemüter zur Teilnahme durch eine Elegie zu locken, der ein Platz hier gegönnt sein möge, wo sie, im Zusammenhang wissenschaftlicher Darstellung, verständlicher werden dürfte, als eingeschaltet in eine Folge zärtlicher und leidenschaftlicher Poesien.
Dich verwirret, Geliebte, die tausendfältige Mischung
Dieses Blumengewühls über dem Garten umher;
Viele Namen hörest du an und immer verdränget,
Mit barbarischem Klang, einer den andern im Ohr.
Alle Gestalten sind ähnlich, und keine gleichet der andern;
Und so deutet das Chor auf ein geheimes Gesetz,
Auf ein heiliges Rätsel. O, könnt' ich dir, liebliche Freundin,
Überliefern sogleich glücklich das lösende Wort!
Werdend betrachte sie nun, wie nach und nach sich die Pflanze,
Stufenweise geführt, bildet zu Blüten und Frucht.
Aus dem Samen entwickelt sie sich, sobald ihn der Erde
Stille befruchtender Schoß hold in das Leben entläßt
Und dem Reize des Lichts, des heiligen, ewig bewegten,
Gleich den zärtesten Bau keimender Blätter empfiehlt.
Einfach schlief in dem Samen die Kraft; ein beginnendes Vorbild
Lag, verschlossen in sich, unter die Hülle gebeugt,
Blatt und Wurzel und Keim, nur halb geformet und farblos;
Trocken erhält so der Kern ruhiges Leben bewahrt,
Quillet strebend empor, sich milder Feuchte vertrauend,
Und erhebt sich sogleich aus der umgebenden Nacht.
Aber einfach bleibt die Gestalt der ersten Erscheinung;
Und so bezeichnet sich auch unter den Pflanzen das Kind.
Gleich darauf ein folgender Trieb, sich erhebend, erneuet,
Knoten auf Knoten getürmt, immer das erste Gebild.
Zwar nicht immer das gleiche; denn mannigfaltig erzeugt sich,
Ausgebildet, du siehst's, immer das folgende Blatt,
Ausgedehnter, gekerbter, getrennter in Spitzen und Teile,
Die verwachsen vorher ruhten im untern Organ.
Und so erreicht es zuerst die höchst bestimmte Vollendung,
Die bei manchem Geschlecht dich zum Erstaunen bewegt.
Viel gerippt und gezackt, auf mastig strotzender Fläche,
Scheinet die Fülle des Triebs frei und unendlich zu sein.
Doch hier hält die Natur, mit mächtigen Händen, die Bildung
An und lenket sie sanft in das Vollkommnere hin.
Mäßiger leitet sie nun den Saft, verengt die Gefäße,
Und gleich zeigt die Gestalt zärtere Wirkungen an.
Stille zieht sich der Trieb der strebenden Ränder zurücke,
Und die Rippe des Stiels bildet sich völliger aus.
Blattlos aber und schnell erhebt sich der zärtere Stengel,
Und ein Wundergebild zieht den Betrachtenden an.
Rings im Kreise stellet sich nun, gezählet und ohne
Zahl, das kleinere Blatt neben dem ähnlichen hin.
Um die Achse gedrängt entscheidet der bergende Kelch sich,
Der zur höchsten Gestalt farbige Kronen entläßt.
Also prangt die Natur in hoher, voller Erscheinung,
Und sie zeiget, gereiht, Glieder an Glieder gestuft.
Immer staunst du aufs neue, sobald sich am Stengel die Blume
Über dem schlanken Gerüst wechselnder Blätter bewegt.
Aber die Herrlichkeit wird des neuen Schaffens Verkündung.
Ja, das farbige Blatt fühlet die göttliche Hand.
Und zusammen zieht es sich schnell; die zärtesten Formen,
Zwiefach streben sie vor, sich zu vereinen bestimmt.
Traulich stehen sie nun, die holden Paare, beisammen,
Zahlreich ordnen sie sich um den geweihten Altar.
Hymen schwebet herbei und herrliche Düfte, gewaltig,
Strömen süßen Geruch, alles belebend, umher.
Nun vereinzelt schwellen sogleich unzählige Keime,
Hold in den Mutterschoß schwellender Früchte gehüllt.
Und hier schließt die Natur den Ring der ewigen Kräfte;
Doch ein neuer sogleich fasset den vorigen an,
Daß die Kette sich fort durch alle Zeiten verlänge,
Und das Ganze belebt, so wie das Einzelne, sei.
Wende nun, o Geliebte, den Blick zum bunten Gewimmel,
Das verwirrend nicht mehr sich vor dem Geiste bewegt.
Jede Pflanze verkündet dir nun die ew'gen Gesetze,
Jede Blume, sie spricht lauter und lauter mit dir.
Aber entzifferst du hier der Göttin heilige Lettern,
Überall siehst du sie dann, auch in verändertem Zug.
Kriechend zaudre die Raupe, der Schmetterling eile geschäftig,
Bildsam ändre der Mensch selbst die bestimmte Gestalt!
O! gedenke denn auch, wie aus dem Keim der Bekanntschaft
Nach und nach in uns holde Gewohnheit entsproß,
Freundschaft sich mit Macht in unserm Innern enthüllte,
Und wie Amor zuletzt Blüten und Früchte gezeugt.
Denke, wie mannigfach bald die, bald jene Gestalten
Still entfaltend, Natur unsern Gefühlen geliehn!
Freue dich auch des heutigen Tags! Die heilige Liebe
Strebt zu der höchsten Frucht gleicher Gesinnungen auf,
Gleicher Ansicht der Dinge, damit in harmonischem Anschaun
Sich verbinde das Paar, finde die höhere Welt.
Höchst willkommen war dieses Gedicht der eigentlich Geliebten, welche das Recht hatte, die lieblichen Bilder auf sich zu beziehen; und auch ich fühlte mich sehr glücklich, als das lebendige Gleichnis unsere schöne vollkommene Neigung steigerte und vollendete; von der übrigen liebenswürdigen Gesellschaft aber hatte ich viel zu erdulden, sie parodierten meine Verwandlungen durch märchenhafte Gebilde neckischer, neckender Anspielungen. Leiden ernsterer Art jedoch waren mir bereitet von auswärtigen Freunden, unter die ich, in dem Jubel meines Herzens, die Frei-Exemplare verteilt hatte, sie antworteten alle mehr oder weniger in Bonnets Redensarten: denn seine Kontemplation der Natur hatte, durch scheinbare Faßlichkeit, die Geister gewonnen, und eine Sprache in Gang gebracht, in der man etwas zu sagen, sich untereinander zu verstehen glaubte. Zu meiner Art mich auszudrücken wollte sich niemand bequemen. Es ist die größte Qual, nicht verstanden zu werden, wenn man nach großer Bemühung und Anstrengung sich endlich selbst und die Sache zu verstehn glaubt; es treibt zum Wahnsinn, den Irrtum immer wiederholen zu hören, aus dem man sich mit Not gerettet hat, und peinlicher kann uns nichts begegnen, als wenn das, was uns mit unterrichteten, einsichtigen Männern verbinden sollte, Anlaß gibt einer nicht zu vermittlenden Trennung.
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