> Gedichte und Zitate für alle: J.W.v.Goethe: Zur Kenntnis der böhmischen Gebirge (1)

2020-01-31

J.W.v.Goethe: Zur Kenntnis der böhmischen Gebirge (1)





Zur Kenntnis der böhmischen Gebirge
Zur Naturwissenschaft überhaupt. Ersten Bandes erstes Heft. 1817 

Was ich dort gelebt, genossen,
Was mir all dorther entsprossen,
Welche Freude, welche Kenntnis,
War ein allzulang Geständnis!
Mög es jeden so erfreuen,
Die Erfahrenen, die Neuen!

Karlsbad 

Vor geraumen Jahren verweilte ich einen glücklichen Sommer an der heißen Heilquelle in Gesellschaft des edlen, für Kunst und Wissenschaft immer tätigen v. Racknitz, an dessen Freundschaft und Umgang ich der vergnüglichsten Belehrung genoß. Er hatte schon bedeutende Kenntnisse des Mineralreichs aus der ersten Hand empfangen; die Akademie in Freiberg wirkte mächtig auf Sachsen, auf Deutschland; unser umsichtige junge Fürst hatte Karl Wilhelm Voigt dorthin gesandt, um sich theoretisch und praktisch zu solchen Geschäften auszubilden. Auch ich ward veranlaßt, mich in dem anorganischen Reiche umzusehen, dessen Teile sich aufzuklären schienen mir auf dessen Ganzes man mit mehrerem Zutrauen hinzuschauen wagte.

Hier am Orte fühlte ich nun zuerst, welche große Gabe auch der geselligen Unterhaltung durch eine solche aufkeimende Wissenschaft mit geprüften Freunden sowie mit Neubekannten gegeben sei. In freier Luft, bei jedem Spaziergang, er führe nun durchs ruhige Tal oder zu schroffen wilden Klippen, war Stoff und Gelegenheit zu Beobachtung, Betrachtung, Urteil und Meinung; die Gegenstände blieben fest, die Ansichten bewegten sich aufs mannigfaltigste.

Nötigte ein widerwärtiges Wetter die Naturfreunde ins Zimmer, so hatten sich auch da so viele Musterstücke gehäuft, an denen man das Andenken der größten Gegenstände wieder beleben und die auch den kleinsten Teilen zu widmende Aufmerksamkeit prüfen und schärfen konnte. Hiezu war der Steinschneider Joseph Müller auf das treufleißigste behülflich; er hatte zuerst die Karlsbader Sprudelsteine, die sich vor allen Kalksintem der Welt vorteilhaft auszeichnen, in ihrer eigentümlichen Schönheit und Mannigfaltigkeit gesammelt, geschnitten, geschaffen und bekannt gemacht. Daneben versäumte derselbe nicht, auch auf andere geologische Denkwürdigkeiten seine Aufmerksamkeit gleichfalls zu richten; er verschaffte die merkwürdigen, aus dem verwitternden Granit sich ablösenden Zwillingskristalle und andere Musterstücke der an mannigfaltigen Erzeugnissen so reichen Gegend.

Die Briefe, welche hierauf der scharfblickende, bedächtige, genaue, emsige v. Racknitz an den lebhaft umherschauenden, beobachtenden, erläuternden, erklärenden, meinenden und wähnenden v. Veitheim schrieb und drucken ließ, dienten mir bei wiederholtem Besuch jener Urgegend zum festen Anhaltspunkte, und ich entfernte mich niemals von dem geliebten Ort ohne Gewinn an Belehrung und Bildung.

Nach einem Zwischenraum so mancher Jahre verfügte ich mich wieder dahin; ich fand die Gegend immer dieselbe, so auch den wackern Müller, an Tagen älter, in ununterbrochener Jünglingstätigkeit: er hatte seine Studien über die ganze Gegend ausgedehnt und seine Sammlung vom Grundgebirge an durch alle Übergänge bis zu den pseudovulkanischen Erscheinungen verbreitet. Er teilte mir einen schriftlichen Aufsatz mit, dessen Redaktion er wünschte; wir kamen über eine gewisse Anordnung überein, wie sie in dem nachstehenden Verzeichnis beliebt ist, und so wurden auch die Gedanken dieses braven Mannes, insofern ich sie mir aneignen konnte, mit meinen Überzeugungen verschmolzen, der daraus entsprungene Aufsatz, unter Teilnahme und Mitwirkung des Doktor Riemer, der mir in ästhetischen und wissenschaftlichen Arbeiten viele Jahre treulich beigestanden, auf der Stelle verfaßt und abgedruckt.

Diese wenigen Blätter gaben zeither den Besuchenden Fingerzeige, wornach sie die Gegend beschauen und sich nach eigner Sinnesweise daran belehren könnten. Möge nun auch dies erneuerte Denkmal einer von mir immer treulich fortgesetzten Bemühung nicht ohne Nutzen für unsere Nachreisenden bleiben.


Zeitgenossen und Nachfahren


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