Der Deutsche hat für den Komplex des Daseins eines wirklichen Wesens das Wort Gestalt. Es abstrahiert bei diesem Ausdruck von dem Beweglichen, er nimmt an, daß ein Zusammengehöriges festgestellt, abgeschlossen
und in seinem Charakter fixiert sei.
Betrachten wir aber alle Gestalten, besonders die organischen, so finden wir, daß nirgend ein Bestehendes, nirgend ein Ruhendes, ein Abgeschlossenes vorkommt, sondern daß vielmehr alles in einer steten Bewegungschwanke.
Daher unsere Sprache das Wort Bildung sowohl von dem
Hervorgebrachten als von dem Hervorgebracht werdenden
gehörig genug zu brauchen pflegt.
Wollen wir also eine Morphologie einleiten, so dürfen wir
nicht von Gestalt sprechen; sondern wenn wir das Wort
brauchen, uns allenfalls nur die Idee, den Begriff oder
ein in der Erfahrung nur für den Augenblick Festgehaltenes denken.
Das Gebildete wird sogleich wieder umgebildet, und wir haben uns, wenn wir einigermaßen zum lebendigen Anschaun der Natur gelangen wollen, selbst so beweglich
und bildsam zu erhalten, nach dem Beispiele, mit dem
sie uns vorgeht.
Wenn wir einen Körper auf dem anatomischen Wege in seine Teile zerlegen und diese Teile wieder in das, worin
sie sich trennen lassen, so kommen wir zuletzt auf solche Anfänge, die man Similarteile genannt hat. Von diesen
ist hier nicht die Rede; wir machen vielmehr auf eine höhere Maxime des Organismus aufmerksam, die wir folgendermaßen aussprechen.
Jedes Lebendige ist kein Einzelnes, sondern eine Mehrheit; selbst insofern es uns als Individuum erscheint, bleibt
es doch eine Versammlung von lebendigen selbständigen
Wesen, die der Idee, der Anlage nach, gleich sind, in der Erscheinung aber gleich oder ähnlich, ungleich oder unähnlich werden können. Diese Wesen sind teils ursprünglich schon verbunden, teils finden und vereinigen sie sich. Sie entzweien sich und suchen sich wieder und bewirken
so eine unendliche Produktion auf alle Weise und nach
allen Seiten.
Je unvollkommener das Geschöpf ist, desto mehr sind diese Teile einander gleich oder ähnlich, und desto mehr gleichen sie dem Ganzen. Je vollkommner das Geschöpf wird, desto unähnlicher werden die Teile einander. In jenem
Falle ist das Ganze den Teilen mehr oder weniger gleich,
in diesem das Ganze den Teilen unähnlich. Je ähnlicher
die Teile einander sind, desto weniger sind sie einander
subordiniert. Die Subordination der Teile deutet auf ein vollkommneres Geschöpf.
Zeitgenossen und Nachfahren
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