Das Höchste, was wir von Gott und der Natur erhalten haben, ist das Leben, die rotierende Bewegung der Monas um sich selbst, welche weder Rast noch Ruhe kennt; der Trieb, das Leben zu hegen und zu pflegen, ist einem jeden unverwüstlich eingeboren, die Eigentümlichkeit desselben jedoch bleibt uns und andern ein Geheimnis.
Die zweite Gunst der von oben wirkenden Wesen ist das
Erlebte, das Gewahrwerden, das Eingreifen der lebendig beweglichen Monas in die Umgebungen der Außenwelt,
wodurch sie sich erst selbst als innerlich Grenzenloses,
als äußerlich Begrenztes gewahr wird. Über dieses Erlebte können wir, obgleich Anlage, Aufmerksamkeit und Glück
dazu gehört, in uns selbst klar werden; andern bleibt aber auch dies immer ein Geheimnis.
Als Drittes entwickelt sich nun dasjenige, was wir als Handlung und Tat, als Wort und Schrift gegen die Außenwelt
richten; dieses gehört derselben mehr an als uns selbst, sowie sie sich darüber auch eher verständigen kann, als wir es selbst vermögen; jedoch fühlt sie, daß sie, um recht
klar darüber zu werden, auch von unserm Erlebten so viel
als möglich zu erfahren habe. Weshalb man auch aul Jugendanfänge, Stufen der Bildung, Lebenseinzelheiten,
Anekdoten und dergleichen höchst begierig ist.
Dieser Wirkung nach außen folgt unmittelbar eine Rückwirkung, es sei nun, daß Liebe uns zu fördern suche oder Haß uns zu hindern wisse. Dieser Konflikt bleibt sich im
Leben ziemlich gleich, indem ja der Mensch sich gleichbleibt, und ebenso alles dasjenige, was Zuneigung oder Abneigung an seiner Art zu sein empfinden muß.
Die Vernunft ist auf das Werdende, der Verstand auf das Gewordene angewiesen; jene bekümmert sich nicht: wozu?
dieser fragt nicht: woher:—Sie erfreut sich am Entwickehi;
er wünscht alles festzuhalten, damit er es nutzen könne.
Man kann in den Naturwissenschaften über manche Probleme nicht gehörig sprechen, wenn man die Metaphysik
nicht zu Hülfe ruft: aber nicht jene Schul- und Wortweisheit; es ist dasjenige, was vor, mit und nach der Physik
war, ist und sein wird.
Aus dem Größten wie aus dem Kleinsten (nur durch künstliche Mittel dem Menschen zu vergegenwärtigen) geht die Metaphysik der Erscheinungen hervor; in der Mitte liegt das Besondre, unsern Sinnen Angemessene, worauf ich angewiesen bin, deshalb aber die Begabten von Herzen
segne, die jene Regionen zu mir heranbringen.
Das Metaphysische der Naturlehre bleibt dem Philosophen
anheimgestellt; wie hoch und tief er anfangen, wie weit herab und herauf er gehen will, bleibe ihm überlassen.
Licht und Geist, jenes im Physischen, dieser im Sittlichen herrschend, sind die höchsten denkbaren unteilbaren Energien.
Symbolik
Durch Worte sprechen wir weder die Gegenstände noch
uns selbst völlig aus.
Durch die Sprache entsteht gleichsam eine neue Welt,
die aus Notwendigem und Zufälligem besteht.
Verba valent sicut nummi. Aber es ist ein Unterschied
unter dem Gelde. Es gibt goldne, silberne, kupferne Münzen und auch Papiergeld. In den erstem ist mehr oder weniger Realität, in dem letzten nur Konvention.
Im gemeinen Leben kommen wir mit der Sprache notdürftig fort, weil wir nur oberflächliche Verhältnisse bezeichnen. Sobald von tiefern Verhältnissen die Rede ist, tritt sogleich eine andre Sprache ein, die poetische.
Indem wir von innern Verhältnissen der Natur sprechen
wollen, bedürfen wirgar mancherlei Bezeichnungsweisen.
Ich erwähne hier viere derselben:
Symbole,
1. die mit dem Gegenstand physisch-real-identisch sind,
wie wir die magnetischen Erscheinungen erst ausgesprochen und dann als Terminologie bei den Verwandten gebraucht haben.
2. Die mit dem Gegenstande ästhetisch-ideal-identisch
sind. Hieher gehören alle guten Gleichnisse, wobei man
sich nur vor dem Witz zu hüten hat, welcher nicht das Verwandte aufsucht; sondern das Unverwandte scheinbar
annähert.
3. Die einen Bezug ausdrücken, der nicht ganz notwendig,
vielmehr einiger Willkür unterworfen ist; aber doch auf
eine innere Verwandtschaft der Erscheinungen hindeutet. Ich möchte sie mnemonisch im höhern Sinne nennen, da
die gemeine Mnemonik sich völlig willkürlicher Zeichen
bedient.
4. Die von der Mathematik hergenommen sind, und weil ihnen gleichfalls Anschauungen zum Grunde liegen, im
höchsten Sinne identisch mit den Erscheinungen werden
können.
Von den drei ersten Symbolen haben wir Beispiele in der Sprache.
1. Wenn z. B. das Wort ein Tönendes ausdrückt, wie
Knall.
2. Wenn durch den Ton eine übereinstimmende Empfindung ausgedrückt wird, wie es bei Flexionen vielmals der
Fall ist: Knallen.
3. Wenn Worte, die sich aufeinander beziehen, gleichen
Klang haben, wie mem, dein, seift, da sie auch zufällig einander nicht ähnlich sein könnten, wie ich und du; dahingegen moi und toi auf gedachte Weise verwandt ist.
Von der vierten Art, welche bloß auf Anschauungen ruht,
kann in der Sprache nichts vorkommen.
Symbolik
Anthropomorphismus der Sprache.
In der Geschichte überhaupt, besonders aber der Philosophie, Wissenschaft, Religion, fällt es uns auf, daß die armen beschränkten Menschen ihre dunkelsten subjektiven
Gefühle, die Apprehensionen eingeengter Zustände in das Beschauen des Weltalls und dessen hoher Erscheinungen
überzutragen nicht unwürdig finden.
Zugegeben, daß der Tag von dem Urquell des Lichts ausgehend, weil er uns erquickt, belebt, erfreut, alle Verehrung verdiene, so folgt noch nicht, daß die Finsternis, weil sie uns unheimlich macht, abkühlt, einschläfert, sogleich als böses Prinzip angesprochen und verabscheut werden müsse; wir sehen vielmehr in einem solchen Verfahren die Kennzeichen düster-sinnlicher, von den Erscheinungen beherrschter Geschöpfe.
Alle Erscheinungen sind unaussprechlich, denn die Sprache
ist auch eine Erscheinung für sich, die nur ein Verhältnis zu den übrigen hat, aber sie nicht herstellen (identisch
ausdrücken) kann.
Die Hauptsache bei allen Wissenschaften ist, daß man die Erscheinungen klar und reichlich vor sich habe und daß
der Geist frei und wohlgemut darüber walte. Wird ein solches Einsehen mitgeteilt, eine solche Gesinnung fortgepflanzt, so gedeiht alles wissenschaftliche Wesen, Liebhaberei, Technik, täglicher Gebrauch, alles. Man zeige
mir doch, was aus der Newtonischen Farben Kahlmäuserei
Gutes entsprungen sei. Wo man die Farben wegschaffen
wollte. An den dioptrischen Fernröhren. Diese Erfindung
hat er geleugnet und retardiert. Wo man der Farben sich bediente, bei der Färberei, Malerei, hat er durchaus nichts
genützt, sondern auch nur entgegengestanden, so daß alle, die daher ins Farbenreich kamen, ihm widerstreben mußten.
Genug, die Pedanten wurden durch ihn nur pedantischer,
und die tätigen Menschen waren übel gestellt.
Wort und Bild sind Korrelate, die sich immerfort suchen,
wie wir an Tropen und Gleichnissen genugsam gewahr werden. So von jeher, was dem Ohr nach innen gesagt oder gesungen war, sollte dem Auge gleichfalls entgegenkommen. Und so sehen wir in kindlicher Zeit in Gesetz- buch und Heilsordnung, in Bibel und Fibel sich Wort und
Bild immerfort balanzieren. Wenn man aussprach, was
sich nicht bilden, bildete, was sich nicht aussprechen ließ, so war das ganz recht; aber man vergriff sich gar oft und
sprach, statt zu bilden, und daraus entstanden die doppelt
bösen symbolisch-mystischen Ungeheuer.
Die schönste Metempsychose ist die, wenn wir uns im
andern wieder auftreten sehn.
Schon früher habe ich an mancher Stelle den Unmut geäußert, den mir in jüngeren Jahren die Lehre von den
untern und obern Seelenkräften erregte. In dem menschlichen Geiste sowie im Universum ist nichts oben noch
unten, alles fordert gleiche Rechte an einen gemeinsamen
Mittelpunkt, der sein geheimes Dasein eben durch das harmonische Verhältnis aller Teile zu ihm manifestiert. Alle Streitigkeiten der Altern und Neuern bis zur neusten
Zeit entspringen aus der Trennung dessen, was Gott in seiner Natur vereint hervorgebracht. Recht gut wissen
wir, daß in einzelnen menschlichen Naturen gewöhnlich
ein Übergewicht irgendeines Vermögens, einer Fähigkeit
sich hervortut und daß daraus Einseitigkeiten der Vorstellungsart notwendig entspringen, indem der Mensch
die Welt nur durch sich kennt und also, naiv anmaßlich,
die Welt durch ihn und um seinetwillen aufgebaut glaubt.
Daher kommt denn, daß er seine Hauptfähigkeiten an die Spitze des Ganzen setzt und, was an ihm das Mindere
sich findet, ganz und gar ableugnen und aus seiner eigenen
Totalität hinausstoßen möchte. Wer nicht überzeugt ist, daß er alle Manifestationen des menschlichen Wesens,
Sinnlichkeit und Vernunft, Einbildungskraft und Verstand, zu einer entschiedenen Einheit ausbilden müsse, welche von diesen Eigenschaften auch bei ihm die vorwaltende
sei, der wird sich in einer unerfreulichen Beschränkung
immerfort abquälen und niemals begreifen, warum er viele hartnäckige Gegner hat, und warum er sich selbst sogar manchmal als augenblicklicher Gegner aufstößt. So wird ein Mann, zu den sogenannten exakten Wissenschaften geboren und gebildet, auf der Höhe seiner Verstandesvernunft nicht leicht begreifen, daß es auch eine exakte sinnliche Phantasie geben könne, ohne welche doch
eigentlich keine Kunst denkbar ist. Auch um denselben Punkt streiten sich die Schüler einer Gefühls- und Vernunftreligion; wenn die letzteren nicht eingestehen wollen, daß
die Religion vom Gefühl anfange, so wollen die ersten
nicht zugeben, daß sie sich zur Vernünftigkeit ausbilden müsse.
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