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2020-02-02

J.w.v.Goethe: Der Dynamismus in der Geologie



Der Dynamismus in der Geologie

Handschriftlich

Alles Geologische liegt zwischen einem Ältesten und Jüngsten; zwischen dem Granite, den wir als erstes Vorhandenes kennen, und den letzten aufgeschwemmten Gebirgen.

Die Hauptschwierigkeit der Geologie beruht auf der Ansicht; darauf nämlich, daß man das Atomistische und Mechanische, welches in gewissen Momenten freilich sich wirksam erweist, so lange als möglich zurückdrängt, dem Dynamischen dagegen, einem gesetzmäßig-bedingten Entstehen, einem Entwickeln und Umgestalten sein Recht gibt.

Wenn man, durch die atomistische Betrachtung, ein bereits Gewordenes hin und her treiben, ablagern und erstarren sieht, so führt die dynamische dagegen, in dem Moment des Entstehens, das lebendige Spiel der Elemente und ihrer Anziehungen ein. In ihr kann sehr vieles noch aus ruhiger Vollstreckung innerer Gesetze hergeleitet werden, was bei jener nur durch einen Aufwand vieler Fluten und äußerer Gewalten begreiflich zu machen ist.

Ebenso lehrt uns die dynamische Ansicht partielles Entstehen ohne Schwierigkeit erklären, was bei dem mechanischen und Flutensysteme kaum denkbar ist; sie hält nämlich die ganze Materie für lebens- und verwandlungsfähig, je nachdem es die Bedingungen herbeiführen; sie leugnet ein Kosmisches nicht; sie setzt ein Spiel der Elemente durch die ganze Atmosphäre, mit Anziehungskräften zu dem Festen, wie wir sie jeden Tag, nur modifiziert, gewahr werden; sie sieht ein, daß eine Wechselwirkung zwischen dem Vorhandenen und Entstehenden da sei, durch welche jenes auf dieses, wie dieses auf jenes einwirken könne; sie läßt endlich im bereits Gebildeten noch eine innere Bildung, d. h. eine Sammlung und Anziehung des Ähnlichen und Entsprechenden gelten.

 Das unterste, zugrunde Liegende, welches wir auf der Erde gefunden, ist das Granitische. Sein auszeichnender Begriff ist, kein Continens und Contentum, sondern ein vollkommenes Ineinandersein, eine vollkommene Dreieinigkeit seiner Teile zu haben. Sie stehen in ihm gleich, und keiner hat ein entschiedenes Übergewicht über den anderen.

Gibt das Granitische diesen Charakter auf, so geschieht es dadurch, daß einer seiner Teile ein Übergewicht über die anderen bekommt, seine Weise zu sein zur herrschenden macht und die übrigen zwingt, nach dieser Weise sich zu gestalten. Der Granit, wo er seinen Charakter aufgibt, hat daher nicht eine, sondern mehrfache Verwandlungsarten.

Indem der Granit seinen Charakter aufgibt, tritt also Vielfältigkeit, mehr oder minder stetig, ein. Er hat aufgehört zu herrschen; nun ist eine Anarchie, in welcher jedes zur Herrschaft strebt. In diesem Momente erscheint die Metallformation.

Dieses Aufgeben seines Charakters im Granite, diese Metamorphose, kann man als ein Aussichschreiten, ein Überschreiten ansehen. Seine Vielfältigkeit zu bezeichnen, denke man es unter dem Bilde einer Kugel, welche, sowie man aus ihrem Mittelpunkte tritt, Radien nach allen Enden zuläßt.

Sehen wir in ihm, daß die Elemente, welche den Granit erzeugen, unter Umständen, zu einem anderen, als er selber ist, können determiniert werden, so ist eine rückschreitende Determination, ein Wiederbestimmtwerden des anderen zum Granite gleichfalls nicht völlig undenkbar.

Das erste Überschreiten des Granites geschieht in demjenigen Zustand, in welchem hauptsächlich Metallbildung eintritt. Wiewohl Ton und Kiesel in ihm vorherrschend ist, tritt doch auch bereits mannigfach gesäuerter Kalk in ihm ein. Aus diesem Überschreiten geschieht ein zweites. In diesem scheint eine schwankendere Bildung als in dem ersten stattzuhaben. Was eben erst fixiert worden, wird durch neu eintretende Ursachen aufgehoben, verzehrt, gestört, neu hergestellt. Man sucht sich meist mechanisch zu erklären, aber es gehört noch dem Dynamischen an; es ist keine Zerreißung und Ansetzung von außen, sondern ein inneres Aufgelöst- und Neugebundenwerden.

Doch treten mit und in ihm Erscheinungen ein, bei welchen die Reibung und Spülung der Fluten nicht zu verneinen steht, nur seltener, als man glaubt, und manches, was auf den ersten Blick von Flutungen vorzurücken scheint, wird bei genauer Untersuchung besser von Verwitterung hergeleitet.

Bei dem ersten Überschreiten des Granites, also dem ersten erscheinenden Vielfältigen, tritt Kristallisation, also das erste gelungene Individualisieren der Natur ein. Bei diesem letzten zeigen sich organische Gebilde sowohl großer Farrenkräuter als der Korallen.

Dicht am Granite kommt die Grauwacke vor, ein Name für viele Bildungen. Sie trägt große Metalllager in sich.

Dicht am Granite liegt auch der Porphyr. Dieser hat alle Bestandteile des Granites, aber nicht in gleicher Herrschaft. Man unterscheidet in ihm das continens von dem contento deutlich.


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