[Handschriftlich, 1828]
Der Knoten einer Pflanze enthält die künftige Vegetation schon in sich, und besonders find ich bei dem Weinstock die Betrachtung des Knotens höchst
wichtig, weil das, was aus ihm entspringt, als ein höchst
seltenes Vorkommen angesehen werden kann.
An dem Knoten der Weinrebe zeigt sich zuerst ein einfaches Blatt; dieses ist gleichsam das Ende der vorhergehenden Stufe, der früheren von der Natur beliebten Abteilung.
Über diesem, als zu der neuen Generation gehörig, zeigt sich als ein außerordentliches, bei andern Pflanzen ungewöhnliches Organ ein völliges Zweiglein mit mehreren
Blättern, kleinen, aber an Gestalt mit jenem ersten übereinkommend.
Über und gleichsam hinter diesem, gegen Stiel und Stengel
zu, zeigt sich nun erst das Auge, welches gewöhnlich unmittelbar über und hinter jenem ersten Blatte gelegen ist. Auge und Zweiglein sind, wie man bei Zergliederung gar wohl bemerken kann, aufs innigste verbunden; das Zweiglein fährt in seinem Wachstum mit den Monaten fort, das Auge hingegen bleibt ruhig, die Vegetation des folgenden
Jahres verkündend.
Auf der entgegengesetzten Seite zeigt sich aber ein Auswuchs, welcher höchst merkwürdig ist: ohne vorbereitendes Blatt, unmittelbar aus der anschwellenden Rinde tritt in den meisten Stellen eine dünne strickartige Verlängerung hervor, welche sich bei fernerem Fortwachsen gabelartig teilt und die Eigenschaft hat, sich an alles, was es erreichen kann, anzuschmiegen und sich alsobald zu rollen, den Gegenstand zu umschlingen, oder sich in sich selbst Spiral zu bilden trachtet. Mit diesen starken vegetabilischen Fäden oder Stricklein klammert sich die Ranke
überall an und betätigt ihre wichtige Naturbestimmung,
die grenzenlos auflaufenden Fortsätze da und dort fest und schwebend zu erhalten.
Diese Gabel (von den Lateinern Capreolus, von den Franzosen Vrille genannt) hat aber außer ihrer jetzt ausgesprochenen Wirksamkeit die höchst bedeutende Eigenschaft, manchmal als Traube zu erscheinen; sie manifestiert
sich sodann ganz eigentlich als ein Zweig, als ein Stiel, der blütenreich erscheint und die Beeren hervorbringt, um derentwillen der Weinstock überhaupt so hoch geschätzt wird.
Da nun ein solcher Knoten, wenn er in die Erde gebracht
wird, Wurzeln schlägt, welche den weiteren Wachstum
veranlassen, so ist auffallend, daß in diesem kleinen Kreise
des Knotens so mannigfaltige, diese Pflanze so sehr auszeichnende Möglichkeiten vorhanden sind; diese aber
recht zu kennen, genau zu erforschen, gibt uns das Kechtsche Büchlein [,, Weinbau in Gärten" 1827] die nächste Veranlassung.
Wir wollen nunmehr diese oben benannten Pflanzenteile, die sich um den Knoten versammeln und so das ganze
Leben des Weinstocks in sich schließen, nochmals nennen
und alsdann näher betrachten:
das Vorbereitungsblatt,
das Hülfszweiglein,
die Knospe,
die Vrille,
als solche,
als Beerentraube.
Das Vorbereitungsblatt steht hier, wie bei allen Pflanzen,
als aus den Gefäßen des vorhergehenden Systems, am
obern Ende desselben sich entwickelnd. Es dient offenbar durch ein Heranziehen des Saftes zu dem Knoten,
das hinter ihm liegende Auge zu fördern, es bildet das
Reservoir, woraus jenes seine notwendige Nahrung zieht. Wir sagen allgemein anerkannte Dinge und halten uns
hiebei nicht weiter auf. Genug, es ist ausgemacht, daß die Entblätterung einer Pflanze den Augen, welche hinter den
Blättern liegen, schädlich sei, ja dem Ganzen den Unter- gang bringen könne.
Wenn nun aber dieses vorbereitende Blatt seinem Auge,
seiner Knospe die gehörige Nahrung zuführt, so ist in dem gegenwärtigen Fall das Merkwürdige, daß es zwei Organe
zu versorgen hat, nämlich vorerst
das Hülfszweiglein,
und dieses ist es, wovon bei Kecht hauptsächlich die Rede
ist; er überzeugt sich, daß dieses Zweiglein einen besonderen Einfluß auf die Knospe bewirke; von welcher Art dieser jedoch sei, darüber wollen wir nicht mit ihm rechten. Wir sind, wie er, überzeugt, daß es ein dem weiteren Fortwachsen der Pflanze, dem höheren Ausbilden des Auges notwendiges Organ sei, welches sich auch dadurch
bewährt, daß die nach weggenommenen Hülfszweiglein
sich entwickelnden Knospen keine fruchttragenden Ruten
hervorbringen, sondern nur Knotensysteme obbenannter
Art, im ganzen aber sodann verholzen.
Ein solches von uns genanntes Hülfszweiglein aber wird von den Weinbauern, weil es keine Früchte bringt und
sie von einer physiologischen Einwirkung keinen Begriff
haben, als überflüssig, als schädlich gedacht; doch kann man ihnen dieses, auf der Kulturstufe, wo sie stehen, nicht verargen. Der Menschen Bedürfnisse sind so vielfach und
so verschränkt, daß man sich nicht zu wundern hat, wenn
sie immerfort aufs Nützliche losgehen und das, was nicht unmittelbar nutzt, für schädlich halten. Jäten wir ja doch
alles, was nicht gesäet ist, als Unkraut aus. Es hat sich
selbst, gegen unsern Willen und zu unserm Schaden, ausgesäet und muß daher wie billig unsern Absichten, unsern Zwecken weichen, ohne deshalb geringer von dem Pflanzenkenner angesehen zu werden.
Hier aber tritt der eigene Fall ein, daß ein Organ, welches wir als nützlich, als notwendig anzusehen haben, von
der Menge für unnütz und schädlich gehalten und entfernt wird.
Kecht behauptet dagegen, dieses Zweiglein müsse beibehalten werden aus obigen Ursachen, aber im Herbst
entfernt, indem es alsdann seine Schuldigkeit getan und
der dahinter liegenden Knospe zu einer vollständigen
Konsistenz geholfen.
Da aber dieses Seitenzweiglein im Herbste nicht wie das Vorbereitungsblatt abfällt, sondern stehen bleibt, so ist daraus ersichtlich, daß die Natur auch dessen ferneren Wachstum gewollt habe. So fragt sich, was denn erfolgen
würde, wenn man dieses Zweiglein nicht entfernte? Ich antworte darauf: es würde fortwachsen und gelegentlich das hinter ihm sich entwickelnde Auge entweder am
Wachstum hindern oder von ihm gehindert werden, denn
es gibt Fälle, wo aus diesem Zweiglein vollkommene
fruchttragende Ruten zu ziehen sind. (S. Kecht, Seite 50.)
Epigramme, Sprüche, Xenien usw.
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