> Gedichte und Zitate für alle: J.W.v.Goethe: Die entoptischen Farben-Geschichte der entoptischen Farben (3)

2020-02-10

J.W.v.Goethe: Die entoptischen Farben-Geschichte der entoptischen Farben (3)




Geschichte der entoptischen Farben

Möget ihr das Licht zerstückeln,
Färb um Farbe draus entwickeln,
Oder andre Schwanke führen,
Kügelchen polarisieren.
Daß der Hörer ganz erschrocken,
Fühlet Sinn und Sinne stocken.
Nein! Es soll euch nicht gelingen.
Sollt uns nicht beiseite bringen.
Kräftig wie wirs angefangen.
Wollen wir zum Ziel gelangen.

Zur Naturwissenschaft überhaupt. Ersten Bandes erstes Heft. 1817

 Die erste Nachricht von den interessanten Entdeckungen des Herrn Malus über Spiegelung und doppelte Strahlenbrechung erhielten wir durch das Bulletin de la Soc. Philomatique l8o9 Janvier ein Auszug aus einer Abhandlung des Herrn Malus, welche am 12ten Dezember 1808 im Institut de France war vorgelesen worden. 1810 erschien dessen Theorie de la double Refraction, und 1811 im Moniteur Nr. 72, 73, 243, 247 Auszüge aus mehreren neuern Abhandlungen der Herren Malus, Biot und Arago über denselben Gegenstand. Diese waren mir bekannt, als ich in der Mitte des Augusts 1812 die ersten Versuche über jene merkwürdigen Erscheinungen anzustellen begann. Es war von den französischen Physikern bereits entdeckt, daß die verdoppelnden Kristalle die Eigenschaft besitzen, die in Malus' Apparat bei sich kreuzender Lage der Spiegel aufgehobene Spiegelung, oder aufgehobene Doppelbilder der Kalkspate wiederherzustellen, wobei von Herrn Arago zuerst an Glimmer, Gips und Bergkristall ein Farbenwechsel in den beiden Bildern eines Doppelspat- oder Bergkristallprisma bemerkt worden war. Dieselbe Wirkung hatte Malus an mehreren organischen Körpern wahrgenommen. Den einfach brechenden Körpern hingegen, fand er, fehle diese Eigenschaft der kristallisierten, so wie rekristallisierten. Doch an einem Körper aus dieser letztern Klasse, am Glase, und zwar an einem etwas prismatischen Flintglase, hatte Herr Arago eine ähnliche Wirkung wahrgenommen wie am Glimmer und Bergkristall. Dieses, sagt er im Moniteur 1811 Nr. 243, depolarisierte in allen Stellen die Lichtstrahlen, und auch hier erschienen die beiden Bilder des Kalkspates bisweilen in entgegengesetzten Farben, doch mehrenteils farblos. Dasselbe hatte ich Gelegenheit an einigen dicken Gläsern zu bemerken; ich fand aber auch, daß nicht alle Stellen derselben gleich wirkten, daß einige die Spiegelung und die Doppelbilder herstellten, andere nicht, und daß, wenn eine Stelle bei veränderter Richtung des Glases das Vermögen der Wiederherstellung verlor, ein anderer Punkt dasselbe erhielt, welcher vorher unwirksam gewesen war. Ja was noch merkwürdiger: bei unveränderter Richtung des Glases gegen die übrigen Teile des Apparates stellten einzelne Punkte das ordinäre Bild des Doppelspates, andere das extraordinäre und mehrere das Doppelbild wieder her. Die Neuheit dieser Erfahrung und die Aussicht, welche sich hier zu näheren Aufschlüssen über die Bedingungen und Gesetze der doppelten Strahlenbrechung überhaupt, oder doch mindestens über die Wirkung der verdoppelnden Kristalle im Spiegelungsapparat zu eröffnen schienen, forderten zur genausten Untersuchung dieser Erscheinungen auf. An einem Glaswürfel entdeckte ich zuerst eine gesetzmäßige Folge in Wiederherstellung und Aufhebung der Bilder des Kalkspates, der einzelnen sowohl als der doppelten, und bestimmte genau die Punkte, an welchen die eine oder die andere Wirkung eintritt, und zwar für jede Hauptrichtung des Würfels. Welchen Einfluß die äußere Gestalt der Körper auf die Erscheinungen habe, war der nächste Gegenstand der Untersuchung, und ich fand, daß, wie die äußere Form der Glaskörper verändert werde, auch die Lage der herstellenden Punkte sich verändere. An mehreren Würfeln, Zylindern, drei- und vierseitigen Prismen, Kegeln und Halbkugeln wurden nun die verschieden wirkenden Punkte bezeichnet. Diese und alle übrigen, § 6 bis 16 meiner ersten Abhandlung in Schweiggers Journal für Chemie und Physik B. VII, Heft 3 angeführten Beobachtungen wurden gemacht, ehe ich noch die Figuren welche ich später entoptische genannt habe, gesehen hatte. Mein erster Spiegelungsapparat hatte nämlich die unbequeme Einrichtung, daß das Licht durch eine kleine Öffnung eines nahe vor den ersten Spiegel befestigten Schirmes fiel, welcher nicht zurückgeschlagen werden konnte; es war daher immer nur ein kleiner Raum der Glaskörper, kaum zwei Linien im Durchmesser, erleuchtet, und so entdeckte ich denn alle einzelne Teile der entoptischen Figuren, ohne daß mir die ganzen Figuren zu Gesichte kamen. Schon am 14. September 181 2 hatte ich in mein Tagebuch alle die Erscheinungen, welche § 8 und 9 der angeführten Abhandlung beschrieben worden, nebst der dazu gehörenden zweiten Figur Taf. I eingetragen. Erst nachdem andere Untersuchungen mich auf den § 23 jener Abhandlung beschriebenen Brechungsapparat geführt hatten, erblickte ich in diesem am 21. Februar 1813 zum erstenmal die vollständigen entoptischen Figuren, welche auf der zweiten Tafel u. a. O. abgebildet worden sind. Und nun zeigte sich, daß die Herstellung der aufgehobenen Spiegelung sowohl als der Doppelbilder des Kalkspates nur an den hellen Stellen der Figuren erfolge, an den dunkeln aber wieder verschwinde, daß die Farbensäume an den Rändern der dunkeln Teile, oder wo ein Helleres an ein Trüberes grenzt, entstehen, usw.

Deutlich wurde nun erkannt, daß es bei diesen Farbenbildungen nicht auf die Dicke oder Dünnheit der Körper ankomme, wie man früher aus den Erscheinungen vom Glimmer und Gips geschlossen hatte, auch nicht auf die prismatische Form der Gläser, sondern daß sie sich in ganz parallelen Glaskörpern bei perpendikulär einfallendem Lichte bilden. Ich zeigte, daß nicht alle Gläser gleiche Farbenfiguren erzeugen, wenn sie auch in Form und Dicke einander gleich sind, und daß die mehresten, wie z. B. gewöhnliches Tafelglas und Scheiben von Spiegelglas keine Figuren hervorbringen, auch nicht wenn mehrere übereinander geschichtet werden. Es wurde ferner bemerkt, daß die entoptischen Figuren sich verändern, wenn die Glaskörper in andere Richtungen gegen die übrigen unveränderten Teile des Apparates gebracht werden, ja daß ganz entgegengesetzte Figuren erscheinen, je nachdem die beiden Spiegel des Apparates oder die beiden Scheibensäulen eine sich kreuzende oder eine gleichnamige Richtung erhalten. Auch machte ich auf den Gegensatz aufmerksam, welcher sich noch besonders zwischen Spiegelung und Brechung an den entoptischen Figuren zeigt, so daß ein Spiegel und eine Scheibensäule, in gleichnamiger Richtung verbunden, dieselbe Figur in dem zwischen ihnen befindlichen Glaskörper hervorruft, wie zwei sich kreuzende Spiegel oder Scheibensäulen; daß hingegen ein Spiegel und eine Scheibensäule, in sich kreuzender verbunden, die entgegengesetzte Figur, und zwar wie zwei gleichnamig gerichtete Spiegel oder Scheibensäulen erzeuge. Später fand ich, daß auch durch einfache Spiegel die entoptischen Figuren der Glaskörper dargestellt werden können, daß aber immer eine doppelte Beleuchtung dazu erforderlich sei. Wird z. B. ein Spiegel gegen den klaren Himmel gekehrt und ein Glaskörper davor gehalten, so vertritt der Himmel die Stelle des zweiten Spiegels, und es entstehen in dem Glaskörper entgegengesetzte Figuren, je nachdem die Sonne dem Beobachter im Rücken oder zur Seite steht. Bei ganz gleichförmig bedecktem Himmel erscheint auch in den besten entoptischen Gläsern keine Figur, wenn nicht irgend woher sonst ein reflektiertes Licht auf dieselben fällt, oder vielmehr, wenn sie nicht irgendeinen spiegelnden Hintergrund haben, aufweichen ein lebhafteres Licht fallen muß. Diese Beobachtungen und Versuche habe ich im dritten Heft des Schweiggerschen Journals für Chemie und Physik 1813 bekanntgemacht.

Mancherlei Störungen und andere Arbeiten unterbrachen diese Untersuchungen. Lange blieb es unentschieden, von welchen Bedingungen es abhänge, daß einige Gläser das Vermögen der entoptischen Figurenbildung besitzen, andere nicht, bis ich durch das plötzliche Zerspringen eines schönen entoptischen Glases in mehrere Stücke, als davon etwas mit der Scheibe heruntergeschnitten werden sollte, und durch die wiederholten Klagen meiner Glasschleifer über die Härte einiger Gläser, welche dazu als die vorzüglichsten in Darstellung der entoptischen Figuren befunden wurden, auf die Vermutung kam, daß wohl nur schnell abgekühlte und deshalb härtere und zerbrechlichere Gläser ausschließend die Eigenschaft besitzen möchten, entoptische Figuren zu bilden. Folgende Versuche wurden nun angestellt.

Scheiben von Spiegelglas, welche keine Spur einer entoptischen Figur zeigten, wurden im Tiegel bis zum Rotglühen erhitzt und ein Teil derselben an freier Luft abgekühlt, ein anderer in bedeckten Tiegeln und in erwärmtem Ofen. Es bestätigte sich, was ich erwartet hatte: die ersteren bildeten entoptische Figuren, die letztern keine. Gläser, welche vortreffliche entoptische Figuren erzeugten, wurden geglüht und langsam abgekühlt, sie hatten nun diese Eigenschaft verloren. Gläser im glühenden Zustand zwischen die Spiegel gebracht, zeigten keine Figuren; erst im Abkühlen fingen sie an sich zu bilden. So war denn der oben stehende Satz bestätigt. Von diesen Versuchen, welche im Oktober 1814 unternommen wurden, sowie von mehreren andern, habe ich in Schweiggers Journal für Chemie und Physik B. XII, S 1 bis 17 Nachricht gegeben. Von den letztern will ich hier nur noch einen ausheben, welcher besonders beachtet zu werden verdient. Wenn entoptische Figurenscheiben von gleicher Art übereinander geschichtet werden, so erscheinen neue und zusammengesetztere Figuren, als jede Scheibe einzeln gezeigt hatte, d. h. die entoptischen Farbenfiguren bilden sich durch das Übereinanderschichten gleichartiger Scheiben immer weiter aus. Späterhin fand ich, daß dies seine Grenze hat, und daß über eine gewisse Zahl hinaus die Figur wieder schwächer wird und endlich ganz verschwindet. Z. B. dreißig bis vierzig der vortrefflichsten entoptischen Scheiben geben keine Figur mehr, sie erscheinen im Spiegelungsapparat so gleichförmig trüb als gutgekühlte Gläser.

Diese Entdeckungen sind es, für welche mir von dem Institut de France die Hälfte des für 1816 ausgesetzten Preises zuerkannt wurde. Ich hatte mich um diesen Preis nicht beworben; es war mir die Aufgabe sogar unbekannt geblieben. Herr Arago hat das Institut zuerst aufmeine Untersuchungen aufmerksam gemacht, wie ich vom Herrn Minister von Altenstein und Hrn. Prof. Schweigger erfahre, denen er es selbst gesagt hat. Die erste Nachricht erhielt ich von Herrn Biot, welcher mir im Dezember 1815 anzeigte, daß eine Kommission des Instituts, zu welcher er gleichfalls gehöre, eben im Begriff sei, über einen Preis für die besten zur allgemeinen Physik gehörigen Versuche zu entscheiden, welche vor dem ersten Oktober 1815 zur Kenntnis des Instituts gelangt und nicht vor dem 1. Oktober 1813 bekannt waren. Man habe meiner hierbei gedacht; er forderte mich zugleich auf, ihm ein Exemplar der Abhandlung zu senden, in welcher ich das Verfahren beschrieben hätte, wie den Gläsern die Eigenschaft, entoptische Figuren zu erzeugen, nach Willkür erteilt und genommen werden könne. Noch ehe er meine Antwort erhielt, zeigte er mir an, daß er diese Abhandlung auf der Königl. Bibhothek gefunden habe. Bald nachher erfolgte die Erteilung des Preises, worüber das im Moniteur 1816 Nr. 10 eingerückte Programm des Institut de France folgende nähere Angabe enthält.

La classe, aprls avoir entendu la cominission chargie d!exa- miner les pieces qui pouvaient concourir, ajugi, dapres son rapport, quHl convenait de partager ce prix entre M. Seebeck et M. Brewster. —M. Seebeck a dicouvert que toutes les masses de verre, chauffies et ensuite rejroidies rapidement^ produisent des figures regulüres diversement colories, lorsqu'elles sont interposies entre des piles de glace ou entre des miroirs rißecteurs, combinis suivant la Methode de Malus. II a vu en outre que les figures qui se produisent dans un mime morceau devenaient diffirentes quand on en changeait la forme. M. Seebeck a publii sa dlcouverte dans le Journal de Physique de Schweigger, en 1813 et 1814, il a montri que ces phinomlnes dlpendent de la rapiditi du refroidisseniejit, de sorte que Ion peut ainsi, par des rlchauffemens et des refroidissemens convenables, donner ou oter au verre la propriiti de produire des couleurs. —M. Brewster est auteur dun grand nombre de mimoires insiris dans les Transactions philosophiques, et qui sont compris dans les limites du concours. II en a envoyi plusieurs autres en manuscrit. Parmi les faits importans contenus dans ces mimoires, il en est beau^ coup qui ont Iti antirieurement ddcouverts et imprimis en France; mais dans le nombre des risultats qui appartiennent ä M. Brewster, les ccmmissaires ont splcialement distingui le tratisport des couleurs de la nacre de perle, la formation des couleurs compUmentaires par des riflexions successives entre des surfacesmitalliques, et de diveloppement des plUno- menes qiie M. Seebeck avait dicouverts. —Der ganze Preis betrug 3000 Fr. Jeder von uns erhielt eine goldene Medaille mit seinem Namen, von 317 Fr. innerem Wert, und II 83 Fr. in Silber.

Seebeck.



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