> Gedichte und Zitate für alle: J.W.v.Goethe: Die entoptischen Farben-Vorwort (1)

2020-02-12

J.W.v.Goethe: Die entoptischen Farben-Vorwort (1)




Die entoptischen Farben-Vorwort

Zur Naturwissenschaft überhaupt. Ersten Bandes erstes Heft. 1817

Indem ich die auf Bildung und Umbildung organischer Naturen sich beziehenden älteren Papiere aneinander zu reihen und einigermaßen brauchbar zu machen gedenke, kommt gar manches andere zur Hand, welches abzulehnen nicht rätlich scheint. Denn mich belehrte die Erfahrung, daß der eifrigste Liebhaber im wissenschaftlichen Felde gerade so wenig vollbringt, weil er erst ein Fach durchzuarbeiten und abzuschließen gedenkt, um das Geleistete dem Publikum mit Zutrauen vorlegen zu können. Gar manches andere Verwandte jedoch drängt sich unterdessen heran, auch das ist nicht zu entbehren, es wird aufgefaßt, behandelt, bearbeitet, aber zuletzt auch wieder beseitigt, das Interesse wendet sich wo anders hin, und jeder einzelne Teil des Kreises kommt erst nach Jahren ernstlich wieder an die Reihe.

Jährliche Sommerreisen erneuerten die Neigung zur Geologie, manche Bemerkung, die im Reiche des Wissens hätte fruchten können, liegt unbenutzt seit langer Zeit bei mir. Zur Kenntnis der böhmischen Gebirge habe manches zusammengetragen, und besonders die Zinnformation beachtet, ich lasse daher manchen früheren Aufsatz abdrucken, um spätere daran zu schließen.

Das vielleicht nie zu lösende Rätsel: die Entstehung der Gänge, liegt mir immer im Sinne, und ich kann mich nicht enthalten, lieber nur eine Annäherung an das Verständnis zu versuchen, als mich mit faßlich scheinenden Erklärungen einzuschläfern. Hievon wünsche gleichfalls Rechenschaft zu geben.

Die Farbenlehre ward bisher im stillen immer eifrig betrieben; die Richtigkeit meiner Ansichten kenne ich zu gut, als daß mich die Unfreundlichkeit der Schule im mindesten irremachen sollte, mein Vortrag wirkt in verwandten Geistern fort, wenige Jahre werden es ausweisen, und ich denke zunächst auch ein Wort mitzusprechen.

Die Farbenerscheinungen, von meinem vieljährigen Freunde und Mitarbeiter Doktor Seebeck entdeckt und von ihm entoptisch genannt, beschäftigen mich gegenwärtig aufs lebhafteste. Die Bedingungen immer genauer zu erforschen, unter welchen sie erscheinen, sie als Komplement meiner zweiten, den physischen Farben gewidmeten Abteilung aufzuführen, ist meine gewissenhafte Sorgfalt. Denn wie sollte das aufgeklärte Jahrhundert nicht bald einsehen, daß man mit Lichtkügelchen, denen Pol und Äquator angedichtet ward, sich nur selbst und andere zum besten hat.

Da nun aber in der Naturwissenschaft das Historische dem Didaktischen, so wie dieses dem Dogmatischen vorangehen soll, so habe ich meinen verdienten Freund ersucht, selbst Nachricht und Kenntnis zu geben, wie er zu jener Entdeckung gelangt, und unter welcher Rücksicht ihm der Preis von dem Institut zugeteilt worden. Dieser Aufsatz geht voran, hernach folgen noch zwei, deren erster die Phänomene des Doppelspats, der andere die bei Gelegenheit der Untersuchung jener merkwürdigen Bilderverdoppelung erst uns bekannt wordenen entoptischen Farben nach meiner Überzeugung und nach den Maximen meiner Farbenlehre auszusprechen bemüht sein wird.



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