Geologische Probleme und Versuch ihrer Auflösung
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Horizontal liegende Flöze, welche sich an steilen Felswänden oberhalb fortsetzen, werden durch
Hebung einer solchen Bergwand erklärt.
Wir sagen: in frühster Zeit jener Entstehungen war alles Dynamische kräftiger als späterhin, die Anziehungskraft der Teile größer. Die niedergehenden Elemente des Flözes senkten sich zwar nieder und belegten die Fläche, aber
in gleicher Maße wurden sie angezogen von den Seitenwänden der nahestehenden Berge, so daß sie nicht allein an sehr steilen Flächen, sondern sogar an überhängenden
sich festsetzen und die weitere Füllung des Raums abwarten konnten.
2
Die auf großen Flächen weit entfernten Granitmassen haben
auch zu vielem Nachdenken Gelegenheit gegeben.
Wir halten dafür, daß die Erklärung des Phänomens auf mehr als eine Weise geschehen müsse.
Die, besonders an der savoyischen Seite, an dem Genfer See sich befindenden Blöcke, die nicht abgerundet, son- dern scharfkantig sind, wie sie vom höchsten Gebirg losgerissen worden, erklärt man, daß sie bei dem tumultuarischen Aufstand der weit rückwärts im Land gelegenen
Gebirge seien dahin geschleudert worden.
Wir sagen: es habe eine Epoche großer Kälte gegeben, etwa zur Zeit als die Wasser das Kontinent noch bis auf 1000 Fuß Höhe bedeckten und der Genfer See zur Tauzeit noch mit den nordischen Meeren zusammenhing.
Damals gingen die Gletscher des Savoyer Gebirgs weit
tiefer herab, bis an den See, und die noch bis auf den
heutigen Tag von den Gletschern niedergehenden langen
Steinreihen, mit dem Eigennamen Goufferlinien bezeichnet konnten ebensogut durch das Arve- und Dranse-Tal
herunterziehen und die oben sich ablösenden Felsen unabgestumpft und unabgerundet in ihrer natürlichen Schärfe
bis an den See bringen, wo sie uns noch heutzutag bei Thonon scharenweis in Verwunderung setzen.
3
Die im nördlichen Deutschland umherliegenden Granit
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und andere Urgebirgsblöcke haben einen verschiedenen
Ursprung.
Der nunmehr zu einem bedeutenden Kunstwerk verarbeitete Landgrafenstein gibt uns das sicherste Zeugnis,
daß es dem nördlichen Deutschland am Urgebirg nicht
fehlte.
Wir behaupten, daß teils zusammenhängende, teils einzeln stehende Klippen in dieser weiten und breiten Landschaft
wahrscheinlich aus dem Wasser hervorragten, daß besonders der Heilige Damm die Überreste anzeigt einer solchen Urgebirgsreihe, welche, so wie das übrige weiter
ins Land hinein, zum größeren Teil auflöslich, nur in ihren festesten Teilen den zerstörenden Jahrtausenden entgangen
ist. Daher sind die dort gefundenen, seit geraumer Zeit bearbeiteten Steine von so großer Schönheit und Wert,
weil sie uns das Festeste und Edelste geognostischer Gegenstände seit Jahrtausenden vorlegen.
4
Wenn ich nun schon bisher zu meinen Ableitungen, oder wenn man will Erklärungen, hohen Wasserstand und starke Kälte bedurfte, so sieht man wohl, daß ich geneigt bin,
den Einfluß zuzugestehen, den man den nordischen Gewässern und Gewaltstürmen auf diese Phänomene bisher auszusprechen schon geneigt war.
Wenn eine große Kälte, bei tausend Fuß Höhe des allgemeinen Wasserstandes, einen großen Teil des nördlichen Deutschlands durch eine Eisfläche verband, so läßt sich denken, was beim Auftauen die durcheinander getriebenen
Eisschollen für eine Zerstörung anrichten und wie sie, bei nördlichen, nordwest- und östlichen Stürmen, die auf
die Schollen niedergestürzten Granitblöcke weiter gegen
Süden führen mußten.
Wenn nun zuerst diese erste Urgebirgsmasse im nördlichen Deutschland gerettet ist (welches vorzüglich durch die ägyptischen Verwitterungen, welche bis auf den heutigen
Tag fortgehen und die Fläche immer mehr zur Fläche, die Wüste immer mehr zur Wüste machen, geschehen
muß), so wird man sich zu erklären haben, daß man jenem
Herüberführen auch aus den über baltischen Regionen
durch das Eis nicht abgeneigt ist; denn es gehen noch
bis auf den heutigen Tag große Eismassen in den Sund
ein, welche die von dem felsigen Ufer abgerissenen Urgebirgsmassen mit sich heranbringen.
Allein diese Wirkung ist nur als sekundär anzusehen. Indem wir im nördlichen Deutschland die Urgebirgsarten der nördlichsten Reiche erkennen, so folgt noch nicht, daß sie dort hergekommen; denn dieselbigen Arten des Urgebirgs können so hüben wie drüben zutage ausgegangen sein. Ist doch das Urgebirg ebendeshalb so respektabel, weil es sich überall gleichsieht und man Granit und Gneis aus Brasilien, wie mir die Exemplare zu Händen gekommen sind, von dem europäisch-nördlichen nicht zu unterscheiden vermöchte.
Wunderliche Art der Erklärungslustigen! Was fest und unerschütterlich ist, soll erst werden und sich bewegen; was ewig fort sich bewegt und verändert, soll stationär sein und bleiben, und das alles bloß, damit etwas gesagt werde.
Die Sache mag sein wie sie will, so muß geschrieben stehen: daß ich diese vermaledeite Polterkammer der neuen Weltschöpfung verfluche; und es wird gewiß irgendein junger geistreicher Mann aufstehen, der sich diesem allgemeinen verrückten Konsens zu widersetzen Mut hat.
Im ganzen denkt kein Mensch, daß wir, als sehr beschränkte schwache Personen, uns ums Ungeheure beschäftigen, ohne zu fragen, wie man ihm gewachsen sei. Denn was ist die ganze Heberei der Gebirge zuletzt als ein mechanisches Mittel, ohne dem Verstand irgendeine Möglichkeit, der Einbildungskraft irgendeine Tulichkeit zu verleihen? Es sind bloß Worte, schlechte Worte, die weder Begriff noch Bild geben. Hiemit sei genug gesagt, wo nicht zuviel. Das Schrecklichste, was man hören muß, ist die wiederholte Versicherung: die sämtlichen Naturforscher seien hierin derselben Überzeugung. Wer aber die Menschen kennt, der weiß, wie das zugeht: gute, tüchtige, kühne Köpfe putzen durch Wahrscheinlichkeiten sich eine solche Meinung heraus; sie machen sich Anhänger und Schüler, eine solche Masse gewinnt eine literarische Gewalt, man steigert die Meinung, übertreibt sie und führt sie, mit einer gewissen leidenschaftlichen Bewegung, durch. Hundert und aber hundert wohldenkende, vernünftige Männer, die in andern Fächern arbeiten, die auch ihren Kreis wollen lebendig, wirksam, geehrt und respektiert sehen, was haben sie Bessers und Klügers zu tun als jenen ihr Feld zu lassen und ihre Zustimmung zu dem zu geben, was sie nichts angeht. Das heißt man alsdann: allgemeine Übereinstimmung der Forscher.
Ich habe dieses, was ich hier sage, in concreto an ganz würdigen Männern gesehen; ihre Sache war: im Felde der Naturlehre ihr Fach, ihr Geschäft, ihre Erfahrungen und Wissen zu innigen, zu isolieren, zu vervollständigen und durchzuarbeiten. Hier waren sie vortrefflich, durch Unterscheiden und Ordnen belehrend, ihr Urteil sicher, genug höchst schätzenswert. In andern Fächern aber waren sie ganz gemein. Was der Tag hatte, was der Tag brachte, was allenfalls in Kompendien und Zeitschriften stand, das wußten sie, das billigten sie; nahmen aber auch nicht den geringsten weiteren Teil daran.
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