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2020-02-07

J.W.v.Goethe: Homer nach einem in Konstantinopel...





Homer
 nach einem in Konstantinopel gefundnen Bruchstück 

Dezember 1774; März 1775. —Lavaters .Physiogn. Fragmente
 I 245. —Mit einem Kupferstich

. . . Also in beiden nicht Homer! Drum sei mir erlaubt, die Gefühle über dessen Büste, die in Gipsabguß vor mir steht, und die jeder Liebhaber so oft zu sehen Gelegenheit hat, hier niederzulegen, bis etwa in folgenden Teilen eine glückliche Nachbildung desselben aufgestellt werden kann. 

Tret ich unbelehrt vor diese Gestalt, so sag ich: Der Mann sieht nicht, hört nicht, fragt nicht, strebt nicht, wirkt nicht. Der Mittelpunkt aller Sinne dieses Haupts ist in der obern, flach gewölbten Höhlung der Stirne, dem Sitze des Gedächtnisses. In ihr ist alles Bild geblieben, und alle ihre Muskeln ziehen sich hinauf, um die lebendigen Gestalten zur sprechenden Wange herabzuleiten. Niemals haben sich diese Augbraunen niedergedrängt, um Verhältnisse zu durchforschen, sie von ihren Gestalten abgesondert zu fassen, hier wohnt alles Leben willig mit- und nebeneinander. 

Es ist Homer! 

Dies ist der Schädel, in dem die ungeheuren Götter und Helden so viel Raum haben als im weiten Himmel und der grenzlosen Erde. Hier ists, wo Achill 

griechischer Text

Dies ist der Olymp, den diese rein erhabne Nase wie ein andrer Atlas trägt und über das ganze Gesicht solche Festigkeit, solch eine sichere Ruhe verbreitet. 

Diese eingesunkne Blindheit, die einwärts gekehrte Sehkraft, strengt das innere Leben immer stärker und stärker an, und vollendet den Vater der Dichter. 

Vom ewigen Sprechen durchgearbeitet sind diese Wangen, diese Redemuskeln, die betretnen Wege, auf denen Götter und Heroen zu den Sterblichen herabsteigen; der willige Mund, der nur die Pforte solcher Erscheinungen ist, scheint kindisch zu lallen, hat alle Naivetät der ersten Unschuld und die Hülle der Haare und des Barts verbirgt und verehrwürdiget den Umfang des Haupts. 

Zwecklos, leidenschaftlos ruht dieser Mann dahin, er ist um sein selbst willen da, und die Welt, die ihn erfüllt, ist ihm Beschäftigung und Belohnung.

Epigramme, Sprüche, Xenien usw.

Alle Bühnenwerke einschließlich Fragmente


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