Handschriftlich. Um 1790
Damit eine Wissenschaft aus der Stelle rucke, die Erweiterungen vollkommener werden, sind Hypothesen so gut als Erfahrungen und Beobachtungen nötig. Was der Beobachter treu und sorgfältig gesammelt hat, was ein Vergleich in dem Geist allenfalls geordnet hat, vereiniget der Philosoph unter einem Gesichtspunkt, verbindet es zu einem Ganzen und macht es dadurch übersehbar und genießbar. Sei auch eine solche Theorie, eine solche Hypothese nur eine Dichtung, so gewährt sie schon Nutzen genug; sie lehrt uns, einzelne Dinge in Verbindung, entfernte Dinge in einer Nachbarschaft zu sehen, und es werden die Lücken einer Erkenntnis nicht eher sichtbar als eben dadurch. Es finden sich gewisse Verhältnisse, die sich aus ihnen nicht erklären lassen. Eben dadurch wird man aufmerksam gemacht, gehet diesen Punkten nach, die ebendeswegen die interessantesten sind, weil sie auf ganz neue Seiten führen, und was mehr ist als alles, eine Hypothese erhebt die Seele und gibt ihr die Elastizität wieder, welche ihr einzelne zerstückte Erfahrungen gleichsam rauben. Sie sind in der Naturlehre, was in der Moral der Glaube an einen Gott, in allem die Unsterblichkeit der Seele ist. Diese erhabenen Empfindungen verbinden in sich alles, was übrigens gut in dem Menschen ist, heben ihn über sich selbst weg und führen ihn weiter, als er ohne sie gekommen wäre.
Man hat also unrecht, sich über die Menge der Theorien und Hypothesen zu beklagen; es ist vielmehr besser, je mehr ihrer gemacht werden. Es sind Stufen, auf denen man das Publikum nur kurze Zeit muß ruhen lassen, um es als denn immer höher und weiter hinauf zu führen. In diesem Sinne halte ich es gar nicht für überflüssig, noch eine Theorie von der Entstehung der Erde zu wagen, die zwar an sich nicht neu ist, wohl aber manches in eine neue Verbindung stellt, und ich bin überzeugt, daß man die ganze Lehre, wie ich sie vorstelle, in vielen Schriftstellern zerstreut antreffen werde, und ich wünschte, daß irgendein junger Mann, der sich auf die Studien dieser Wissenschaft legte, bei seiner Lektüre achthaben und durch Citata einem jeglichen das Seinige wiedergeben wollte.
Noch führe ich eine Stelle an, in welcher einer unserer ersten Naturkündiger sehr übereinstimmend von demjenigen, was ich oben angeführt habe, denkt und spricht. Ich habe bei der Theorie der Elektrizität der Lehre von zwei Materien einen Vorzug verstattet, nicht um Partei zu nehmen, sondern bloß in der philosophischen Absicht, den Leser auf die Theorie aufmerksam zu machen. Ich wünsche sehr hierbei nicht mißverstanden zu werden. Ich sehe solche Hypothesen in der Physik für nichts weiter an als bequeme Bilder, sich die Vorstellung des Ganzen zu erleichtern. Die Vorstellungsart, die die größte Erleichterung gewährt, ist die beste, so weit sie auch von der Wahrheit selbst, der wir uns dadurch zu nähern suchen, entfernt sein mag. Kenner werden nunmehr entscheiden, ob die meinige solche Vorzüge verbindet.
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