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2020-02-12

J.W.v.Goethe: I. Versuch über die Gestalt der Tiere- Bemühungen der vergleichenden Anatomie .... biozoo






Versuch über die Gestalt der Tiere

[Handschriftliches Bruchstück. 1790]

Vorerinnerung

Obgleich der Titel dieser kleinen Abhandlung einen Versuch über die Gestalt der Tiere überhaupt verspricht, so wird sie sich doch vorzüglich mit den vollkommensten, den Säugetieren, beschäftigen und auch diese besonders in osteologischer Rücksicht betrachten und sich nur insofern auf die übrigen nächsten Tierklassen und auf die weicheren Teile des Gebäudes verbreiten, insofern es zur Aufklärung gewisser Erfahrungen und Folgerungen nötig sein sollte. Das übrige behält sich der Verfasser für die Zukunft vor.

I.

Bemühungen der vergleichenden Anatomie und Hindernisse, welche dieser Wissenschaft entgegenstehen 

Die Ähnlichkeit der vierfüßigen Tiere untereinander konnte von jeher auch der oberflächlichsten Betrachtung nicht entgehen. Auf die Ähnlichkeit der Tiere mit dem Menschen wurde man wahrscheinlich zuerst durch das Anschauen der Affen aufmerksam gemacht. Daß die übrigen vierfüßigen Tiere in allen ihren Hauptteilen mit dem Menschen übereinkommen, war nur durch eine genauere wissenschaftliche Untersuchung festzusetzen möglich, deren Bemühungen zuletzt noch viel weiter entfernt scheinende Gestalten aus dem Weltmeere in diese Verwandtschaft herbeizogen. 

Wieviel in der letzten Hälfte dieses Jahrhunderts die Naturwissenschaft durch Beschreiben, Zergliedern und Ordnen gewonnen, ist, ich darf wohl sagen, allgemein bekannt. Wie manches in derselben noch zu tun sei, wie manche Hindernisse einer ganz genauen Bearbeitung entgegenstehen, wird demjenigen bald bekannt, der sie mit gewissenhafter Genauigkeit bearbeitet. 

Es war natürlich, daß die Zergliederer, welche sich mit dem Bau des Menschen eine Zeitlang ausschließlich beschäftigten, die Teile des menschlichen Körpers, wie sie ihnen sichtbar wurden, benannten, beschrieben und an und vor sich ohne weitere Verhältnisse nach außen betrachteten. Ebenso natürlich war es, daß diejenigen, welche sich mit Behandlung der Tiere beschäftigten, Reiter, Jäger, Fleischer, denen verschiedenen Teilen der Tiere, jeder für sich, Namen beilegten, welche auf keine Weise das Verhältnis der Tiere zu den Menschen ausforschten, vielmehr durch falsche Vergleichung zu Irrtümern Gelegenheit gaben. So nennt z. B. der Reiter denjenigen Teil des Pferdevorderfußes, wo der Carpus das Gelenk zwischen der Ulna und dem Metacarpus machet, das Knie den Knochen des Metacarpis selbst das Schienbein. 

Nun ist zwar durch die Bemühungen so vieler eifriger Beobachter, welche vorzüglich die Tieranatomie oder auch nur selbige gelegentlich neben der menschlichen behandelt, die Terminologie der tierischen Teile, soviel es sich wollte tun lassen, auf die Terminologie der menschlichen Teile reduziert worden, und es möchte wohl die Base der vergleichenden Anatomie auf immer festgestellt worden sein. Allein es sei uns erlaubt, hier einige Bemerkungen über die Hindernisse zu machen, welche noch Überbleibsel der alten empirischen Behandlungsart zu sein scheinen und die der Wissenschaft eben jetzt am beschwerlichsten im Wege stehen, da sie ihrer Vollendung näher und näher rücket. 

Man hat bisher, wie oben schon erwähnt worden, bald die Tiere untereinander, bald die Tiere mit dem Menschen, bald den Menschen mit den Tieren verglichen, man hat also mit dem tertio comparationis immer gewechselt und dadurch oft den Faden der Beobachtung verloren. Ferner mußte, da die Methode des Tierzergliederers mit der Methode des Menschenzergliederers nicht völlig übereinstimmen kann, eine Art Schwanken in der Methode der vergleichenden Anatomie entstehen, welches, wie mich dünkt, noch bis jetzt nicht hat ins Gleichgewicht gesetzt werden können.

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