Versuch über die Gestalt der Tiere
[Handschriftliches Bruchstück. 1790]
Vorerinnerung
Obgleich der Titel dieser kleinen Abhandlung
einen Versuch über die Gestalt der Tiere überhaupt
verspricht, so wird sie sich doch vorzüglich mit
den vollkommensten, den Säugetieren, beschäftigen und
auch diese besonders in osteologischer Rücksicht betrachten und sich nur insofern auf die übrigen nächsten Tierklassen und auf die weicheren Teile des Gebäudes verbreiten, insofern es zur Aufklärung gewisser Erfahrungen
und Folgerungen nötig sein sollte. Das übrige behält sich der Verfasser für die Zukunft vor.
I.
Bemühungen der vergleichenden Anatomie
und Hindernisse, welche dieser Wissenschaft
entgegenstehen
Die Ähnlichkeit der vierfüßigen Tiere untereinander konnte von jeher auch der oberflächlichsten Betrachtung nicht entgehen. Auf die Ähnlichkeit der Tiere mit dem Menschen wurde man wahrscheinlich zuerst durch das Anschauen der Affen aufmerksam gemacht. Daß die übrigen
vierfüßigen Tiere in allen ihren Hauptteilen mit dem
Menschen übereinkommen, war nur durch eine genauere
wissenschaftliche Untersuchung festzusetzen möglich, deren Bemühungen zuletzt noch viel weiter entfernt scheinende
Gestalten aus dem Weltmeere in diese Verwandtschaft
herbeizogen.
Wieviel in der letzten Hälfte dieses Jahrhunderts die Naturwissenschaft durch Beschreiben, Zergliedern und
Ordnen gewonnen, ist, ich darf wohl sagen, allgemein
bekannt. Wie manches in derselben noch zu tun sei, wie
manche Hindernisse einer ganz genauen Bearbeitung entgegenstehen, wird demjenigen bald bekannt, der sie mit
gewissenhafter Genauigkeit bearbeitet.
Es war natürlich, daß die Zergliederer, welche sich mit
dem Bau des Menschen eine Zeitlang ausschließlich beschäftigten, die Teile des menschlichen Körpers, wie sie ihnen sichtbar wurden, benannten, beschrieben und an und
vor sich ohne weitere Verhältnisse nach außen betrachteten. Ebenso natürlich war es, daß diejenigen, welche sich mit Behandlung der Tiere beschäftigten, Reiter, Jäger, Fleischer,
denen verschiedenen Teilen der Tiere, jeder für sich, Namen beilegten, welche auf keine Weise das Verhältnis der Tiere zu den Menschen ausforschten, vielmehr durch
falsche Vergleichung zu Irrtümern Gelegenheit gaben. So
nennt z. B. der Reiter denjenigen Teil des Pferdevorderfußes, wo der Carpus das Gelenk zwischen der Ulna und
dem Metacarpus machet, das Knie den Knochen des Metacarpis selbst das Schienbein.
Nun ist zwar durch die Bemühungen so vieler eifriger Beobachter, welche vorzüglich die Tieranatomie oder auch nur
selbige gelegentlich neben der menschlichen behandelt,
die Terminologie der tierischen Teile, soviel es sich wollte tun lassen, auf die Terminologie der menschlichen Teile
reduziert worden, und es möchte wohl die Base der vergleichenden Anatomie auf immer festgestellt worden sein. Allein es sei uns erlaubt, hier einige Bemerkungen über
die Hindernisse zu machen, welche noch Überbleibsel der alten empirischen Behandlungsart zu sein scheinen und die der Wissenschaft eben jetzt am beschwerlichsten im Wege stehen, da sie ihrer Vollendung näher und näher
rücket.
Man hat bisher, wie oben schon erwähnt worden, bald die Tiere untereinander, bald die Tiere mit dem Menschen,
bald den Menschen mit den Tieren verglichen, man hat
also mit dem tertio comparationis immer gewechselt und dadurch oft den Faden der Beobachtung verloren. Ferner
mußte, da die Methode des Tierzergliederers mit der Methode des Menschenzergliederers nicht völlig übereinstimmen kann, eine Art Schwanken in der Methode der vergleichenden Anatomie entstehen, welches, wie mich dünkt,
noch bis jetzt nicht hat ins Gleichgewicht gesetzt werden
können.
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