Verschiedene Bekenntnisse
[Handschriftlich aus den letzten Lebensjahren]
Wo der Mensch im Leben hergekommen, die
Seite, von welcher er in ein Fach hereingekommen, läßt ihm einen bleibenden Eindruck,
eine gewisse Richtung seines Ganges für die Folge, welches natürlich und notwendig ist.
Ich aber habe mich der Geognosie befreundet, veranlaßt durch den Flözbergbau. Die Konsequenz dieser übereinander geschichteten Massen zu studieren, verwandte
ich mehrere Jahre meines Lebens. Diesen Ansichten war
die Wernerische Lehre günstig, und ich hielt mich zu
derselben, wenn ich schon recht gut zu fühlen glaubte,
daß sie manche Probleme unaufgelöst liegen ließ.
Der Ilmenauer Bergbau veranlaßte nähere Beobachtung
der sämtlichen thüringischen Flöze; vom Totliegenden bis zum obersten Flözkalke, hinabwärts bis zum Granit.
Diese Art des Anschauens begleitete mich auf Reisen; ich bestieg die Schweizer und Savoyer hohen Gebirge, erstere wiederholt; Tirol und Graubünden blieben mir nicht fremd,
und ich ließ mir gefallen, daß diese mächtigen Massen
sich wohl dürften aus einem Lichtnebel einer Kometen-Atmosphäre kristallisiert haben. Doch enthielt ich mich von eigentlich allgemeineren geologischen Betrachtungen,
bestieg den Vesuv und Ätna, versäumte aber nicht, die ungeheure gewaltsame Ausdehnung der Erdbrände, in Gefolg so grenzenloser Kohlenlager, zu beachten, und
war geneigt, beide mehr oder weniger als Hauptschweren
der Erdoberfläche zu betrachten.
Ich legte doch hierauf keinen Wert, kehrte zu den thüringischen Flözen zurück und habe nun das Vergnügen,
daß im vergangenen Oktober unser Salinendirektor Glenck
in der Tiefe eines Bohrlochs von 1170 Fuß Steinsalz, und
zwar in ganz reiner Gestalt dem Bruchstücke nach, teils körnig teils blättrig, angetroffen.
Die Sicherheit, womit dieser treffliche Mann zu Werke
ging, in Überzeugung, daß die Flözlagen des nördlichen Deutschland vollkommen jenen des südlichen gleich seien,
bestätigte meinen alten Glauben an die Konsequenz der
Flözbildung und vermehrte den Unglauben in betreff des Hebens und Drängens, Aufwälzens und Quetschens
(Refoulement), Schleuderns und Schmeißens, welches mir nach meinem obigen Bekenntnisse durchaus widerwärtig von jeher erscheinen mußte.
Nun aber lese ich in den neusten französischen Tagesblättern, daß dieses Heben und Schieben nicht auf einmal, sondern in vier Epochen geschehen. Voraus wird
gesetzt, daß unter dem alten Meere alles ruhig und ordentlich zugegangen, daß aber zuerst der Jurakalk und die
ältesten Versteinerungen in die Höhe gehoben worden,
nach einiger Zeit denn das Sächsisch-böhmische Erzgebirg,
die Pyrenäen und Apenninen sich erhoben haben, sodann
aber zum dritten und letzten Mal die höchsten Berge
Savoyens und also der Montblanc hervorgetreten seien. Dieses von Herrn Elie de Beaumout vorgetragene System
wird am 28. Oktober 1829 der französischen Akademie
von der Untersuchungskommission zu beifälliger Aufnahmt und Förderung bestens empfohlen. Ich aber leugne
nicht, daß es mir gerade vorkommt, als wenn irgendein
christlicher Bischof einige Wedams für kanonische Bücher
erklären wollte.
Da ich hier nur Konfessionen niederschreibe, so ist nur von mir und meiner Denkweise die Rede. Es ist nicht das
erste Mal in meinem Leben, daß ich das, was andern
denkbar ist, unmöglich in meine Denk- und Fassungskraft aufzunehmen vermag.
Wenn ich aber zu meinem Anfang zurückkehre und nun
ihr Werk betrachte, so seh ich, daß sie von der allgemeinsten Seite in dieses Geschäft hereingegangen sind; Astronomie, physische Geographie, Physik, Chemie, und
was sonst noch allgemein ist, waltet über das Ganze imd
dient zu Unterstützung jedes ihrer Schritte. Ich hatte schon
Kenntnis von der ersten Ausgabe und beschäftigte mich
dankbar mit der gegenwärtigen, ungewiß, was ich daraus mir aneignen und in meine gegen diese ungeheuren Allgemeinheiten beinahe abgeschlossenen Richtungen
werde benutzen können. Auf alle Fälle sind einige Kapitel mir schon höchst belehrend gewesen, da ihre ausgebreiteten Studien sich über das Neuste der Entdeckungen erstrecken, denen ich in meiner Lage nicht folgen kann.
Die Verlegenheit kann vielleicht nicht größer gedacht
werden als die, in der sich gegenwärtig ein fünfzigjähriger Schüler und treuer Anhänger der sowohl gegründet schei- nenden als über die ganze Welt verbreiteten Wernerischen
Lehre finden muß, wenn er, aus seiner ruhigen Überzeugung aufgeschreckt, von allen Seiten das Gegenteil
derselben zu vernehmen hat.
Der Granit war ihm bisher die feste unerschütterte Basis, auf welcher die ganze bekannte Erdoberfläche ihren Ruhestand nahm; er suchte sich die Einlagerungen und Ausweichungen dieses wichtigen Gesteins deutlich zumachen;
er schritt über Schiefer und Urkalk, unterwegs auch wohl
Porphyr antreffend, zum roten Sandstein und musterte von da manches Flöz zeitgemäß, wie es die Erscheinungen
andeuten wollten. Und so wandelte er auf dem ehemals
wasserbedeckten, nach und nach entwässerten Erdboden
in folgerechter Beruhigung. Traf er auf die Gewalt der Vulkane, so erschienen ihm solche nur als noch immer
fortdauernde, aber oberflächliche Spätlingswirkung der
Natur. Nun aber scheint alles ganz anders herzugehen;
er vernimmt: Schweden und Norwegen möchten sich wohl
gelegentlich aus dem Meere eine gute Strecke emporgehoben haben; die ungarischen Bergwerke sollten ihre Schätze von unten auf einströmenden Wirkungen verdanken, und der Porphyr Tirols solle den Alpenkalk durchbrochen und den Dolomit mit sich in die Höhe genommen
haben; Wirkungen freilich der tiefsten Vorzeit, die kein Auge jemals in Bewegung gesehen, noch weniger irgendein Ohr den Tumult, den sie erregten, vernommen hat. Was sieht denn hier also ein Mitglied der alten Schule: Übertragungen von einem Phänomen zum andern, sprungweis angewendete Induktionen und Analogien, Assertionen, die man auf Treu und Glauben annehmen soll.
Wiederholt viele Jahre schaut ich mir die Felsen des
Harzes, des Thüringer Waldes, Fichtelgebirges, Böhmens,
der Schweiz und Savoyens an, eh ich auszusprechen wagte:
unser Ur- oder Grundgebirg habe sich aus der ersten großen chaotischen Infusion kristallinisch gebildet, und
seien also alle jene Zacken und Hörner, alle Bergrücken
und die zwischen ihnen leer gebliebenen Täler und Schluchten nicht zu bewundern oder sonst woher abzuleiten als aus jener ersten großen Naturwirkung. Ebenso betrachtete
ich ferner das Übergangsgebirg und konnte durchaus das Bestreben selbst der größten Massen zu gewissen Gestaltungen nicht mehr zweifelhaft finden. Die dem Ursprung
gleichzeitigen Gänge und die Verruckungen derselben
klärten sich auf; die Übergänge, Anlagerungen und was
sonst vorkommen konnte ward sorgfältig und wiederholt
beobachtet, bis zuletzt die Flöze, sogar mit ihrem Inhalt von Kohlenversteinerungen, sich naturgemäß rationell anschlössen, wobei man freilich nicht übereilt verfahren
durfte.
Alles, was ich hier ausspreche, hab ich wiederholt und
anhaltend geschaut; ich habe, damit ja die Bilder im Gedächtnis sich nicht auslöschen, die genausten Zeichnungen
veranstaltet, und so hab ich, bezüglich auf den Teil der
Erde, den ich beobachtet, immer Regelmäßigkeit und
Folge, und zwar übereinstimmend an mehreren Orten und
Enden gefunden.
Nach diesem Lebens- und Untersuchungsgange, wo nur
Beständiges zu meinem Anschauen gekommen, da denn
selbst der problematische Basalt als geregelt und in der Folge notwendig erscheinen mußte, kann ich denn meine
Sinnesweise nicht ändern, zulieb einer Lehre, die von
einer entgegengesetzten Anschauung ausgeht, wo von gar
nichts Festem und Regelmäßigem mehr die Rede ist, sondern von zufälligen unzusammenhängenden Ereignissen. Nach meinem Anschauen baute sich die Erde aus
sich selbst aus; hier erscheint sie überall geborsten und
diese Klüfte aus unbekannten Tiefen von unten herauf
ausgefüllt.
Durch dieses Bekenntnis gedenk ich keineswegs mich als Widersacher der neuern Lehre zu zeigen, sondern auch
hier die Rechte meines gegenständlichen Denkens zu behaupten, wobei ich denn wohl zugeben will, daß, wenn ich von jeher, wie die Neueren, die mit so großer Übereinstimmung ihre These behaupten, auch aus Auvergne
oder wohl gar von den Anden meine Anschauung hätte gewinnen und das, was mir jetzt als Ausnahme in der Natur vorkommt, mir als Regel hätte eindrücken können,
ich wohl auch in völligem Einklang mit der jetzt gangbaren Lehre mich befunden hätte.
Gar manches wäre noch zu sagen, allein ich schließe,
indem ich die Meinung eines Wohlwollenden oder vielmehr die Art sich auszudrücken mir zu eigen gemacht;
er hat mich über mich selbst mehr aufgeklärt, den Grund
und die Folge meines Daseins mich besser fühlen lassen,
als ich ohne dies kaum je erreicht hätte.
Unbeschadet des Glaubens an eine fortschreitende Kultur,
ließ sich, wie in der Weltgeschichte so in der Geschichte
der Wissenschaften, gar wohl bemerken, daß der menschliche Geist sich in einem gewissen Kreise von Denk- und
Vorstellungsarten herumbewege. Man mag sich noch so sehr bemühen, man kommt nach vielen Umwegen immer
in demselben Kreise auf einen gewissen Punkt zurück.
Pater Kircher, um gewisse geologische Phänomene zu erklären, legt mitten im Erdball ein Pyrophylacium an, und
daneben herum manche Hydrophylacien. Da ist denn alles
fertig und bei der Hand. Die kalten Quellen entspringen
fern von der Feuerglut; die lauen schon etwas näher; die heißen ganz nahe, und diese müßten einen unendlichen
Grad von Hitze annehmen, daß sie noch siedend bleiben,
nachdem sie einige tausend Fuß sich durch das festeste Grundgestein durchgeschlungen haben. Braucht man einen Vulkan, so läßt man die Glut selbst durch die geborstene
Erde durchbrechen, und alles geht seinen natürlichen Gang.
Dieser älteren anfänglichen Vorstellung ist die neuere
ganz gleich. Man nimmt eine Feuerglut an unter unserm
Ur- und Grundgebirge, die hie und da sich andeutet, ja
hervorbricht, und überall hervorbrechen würde, wenn die Urgebirgsmassen nicht so schwer wären, daß sie nicht gehoben werden können. Und so sucht man überall problematische Data dahin zu deuten, daß dieses ein oder
das andere Mal geschehen sei.
Kirchers Pyrophylacium ist in allen Ehren und Würden
wieder hergestellt; das Hydrophylacium ist auch gleich
wieder bei der Hand; die lauen und heißen Quellen sind oben schon erklärt, und diese Erklärung des Jesuiten im 17ten Jahrhundert ist so faßlich, daß in der ersten Hälfte des 18ten der Verfasser der Amusements des eaux de Spa, zu Verständigung und Unterhaltung der dortigen Kurgäste, sie zwischen Liebes- und Spielabenteuern und
andern romanhaften Ereignissen mit der größten Gemütsruhe und Sicherheit vorträgt.
Zeitgenossen und Nachfahren
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