Versuch einer allgemeinen Vergleichungslehre
Handschriftlich. Aus der ersten Hälfte der neunziger Jahre
ins Innere der Natur—
O! du Philister!—
Dringt kein erschaffner Geist,
Mich und Geschwister
Mögt ihr an solches Wort
Nur nicht erinnern;
Wir denken: Ort für Ort
Sind wir im Innern.
Glückselig! wem sie nur
Die äußere Schale weist!
Das hör ich sechzig Jahre wiederholen,
Und fluche drauf, aber verstohlen;
Sage mir tausend tausend Male:
Alles gibt sie reichlich und gern;
Natur hat weder Kern
Noch Schale,
Alles ist sie mit einem Male;
Dich prüfe du nur allermeist,
Ob du Kern oder Schale seist?
Wenn eine Wissenschaft zu stocken und, ohnerachtet der Bemühung vieler tätiger Menschen, nicht vom Flecke zu rücken scheint, so
läßt sich bemerken, daß die Schuld oft an einer gewissen
Vorstellungsart, nach welcher die Gegenstände herkömmlich betrachtet werden, an einer einmal angenommenen
Terminologie liege, welcher der große Haufe sich ohne
weitere Bedingung unterwirft und nachfolgt und welcher denkende Menschen selbst sich nur einzeln und nur in einzelnen Fällen schüchtern entziehen.
Von dieser allgemeinen Betrachtung gehe ich gleich zu dem Gegenstande über, welchen wir hier behandeln, um
sogleich so deutlich als möglich zu sein und mich von meinem Zwecke nicht zu entfernen.
Die Vorstellungsart, daß ein lebendiges Wesen zu gewissen
Zwecken nach außen hervorgebracht und seine Gestalt durch eine absichtliche Urkraft dazu determiniert werde,
hat uns in der philosophischen Betrachtung der natürlichen Dinge schon mehrere Jahrhunderte aufgehalten und hält uns noch auf, obgleich einzelne Männer diese Vorstellungsart eifrig bestritten, die Hindernisse, welche sie in den
Weg lege, gezeigt haben.
Es kann diese Vorstellungsart für sich fromm, für gewisse
Gemüter angenehm, für gewisse Vorstellungsarten unentbehrlich sein, und ich finde es weder rätlich noch möglich,
sie im ganzen zu bestreiten, Es ist, wenn man sich so ausdrücken darf, eine triviale Vorstellungsart, die ebendeswegen, wie alle triviale Dinge, trivial ist, weil sie der menschlichen Natur im ganzen bequem und zureichend ist. Der Mensch ist gewohnt, die Dinge nur in der Maße zu
schätzen, als sie ihm nützlich sind, und da er, seiner Natur und seiner Lage nach, sich für das Letzte der Schöpfung
halten muß: warum sollte er auch nicht denken, daß er
ihr letzter Endzweck sei.^ Warum soll sich seine Eitelkeit nicht den kleinen Trugschluß erlauben? Weil er die Sachen
braucht und brauchen kann, so folget daraus: sie seien hervorgebracht, daß er sie brauche. Warum soll er nicht
die Widersprüche, die er findet, lieber auf eine abenteuerliche Weise heben, als von denen Forderungen, in denen er sich einmal befindet, nachlassen? Warum sollte er ein Kraut, das er nicht nutzen kann, nicht Unkraut
nennen, da es wirklich nicht an dieser Stelle für ihn existieren sollte? Eher wird er die Entstehung der Distel, die ihm die Arbeit auf seinem Acker sauer macht, dem
Fluch eines erzürnten guten, der Tücke eines schadenfrohen bösen Wesens zuschreiben, als eben diese Distel
für ein Kind der großen allgemeinen Natur zu halten, das
ihr ebenso nahe am Herzen liegt als der sorgfältig gebauete
und so sehr geschätzte Weizen. Ja es läßt sich bemerken,
daß die billigsten Menschen, die sich am meisten zu ergeben glauben, wenigstens nur bis dahin gelangen, als wenn
doch alles wenigstens mittelbar auf den Menschen rückfließen müsse, wenn nicht noch etwa eine Kraft dieses oder
jenes Naturwesens entdeckt würde, wodurch es ihm als Arzenei oder auf irgendeine Weise nützlich würde.
Da er nun ferner an sich und an andern mit Recht diejenigen Handlungen und Wirkungen am meisten schätzt, welche absichtlich und zweckmäßig sind, so folgt daraus,
daß er der Natur, von der er ohnmöglich einen größern
Begriff" als von sich selbst haben kann, auch Absichten
und Zwecke zuschreiben wird. Glaubt er ferner, daß alles, was existiert, um seinetwillen existiere, alles nur als Werkzeug, als Hülfsmittel seines Daseins existiere, so folgt, wie
natürlich, daraus, daß die Natur auch ebenso absichtlich und zweckmäßig verfahren habe, ihm Werkzeuge zu verschaffen, wie er sie sich selbst verschafft.
So wird der Jäger, der sich eine Büchse bestellt, um das Wild
zu erlegen, die mütterliche Vorsorge der Natur nicht genug
preisen, daß sie von Anfang her den Hund dazu gebildet,
daß er das Wild durch ihn einholen könne. Es kommen noch
mehr Ursachen dazu, warum es überhaupt den Menschen
unmöglich ist, diese Vorstellungsart fahren zu lassen. Wie sehr aber ein Naturforscher, der über die allgemeinen
Dinge weiter denken will, Ursache habe, sich von dieser Vorstellungsart zu entfernen, können wir an dem bloßen Beispiel der Botanik sehen. Der Botanik als Wissenschaft
sind die buntesten und gefülltesten Blumen, die eßbarsten und schönsten Früchte nicht mehr, ja im gewissen Sinne
nicht einmal so viel wert als ein verachtetes Unkraut im
natürlichen Zustande, als eine trockne unbrauchbare
Samenkapsel.
Ein Naturforscher also wird sich nun einmal schon über
diesen trivialen Begriff erheben müssen, ja wenn er auch
als Mensch jener Vorstellungsart nicht loswerden könnte,
wenigstens insofern er ein Naturforscher ist, sie so viel als möglich von sich entfernen.
Diese Betrachtung, welche den Naturforscher im allgemeinen angeht, trifft uns auch hier nur im allgemeinen;
eine andere aber, die jedoch unmittelbar aus der vorigen
fließt, geht uns schon näher an. Der Mensch, indem er
alle Dinge auf sich bezieht, wird dadurch genötigt, allen Dingen eine innere Bestimmung nach außen zu geben,
und es wird ihm dieses um so bequemer, da ein jedes
Ding, das leben soll, ohne eine vollkommene Organisation
gar nicht gedacht werden kann. Indem nun diese vollkommene Organisation nach innen zu höchst rein bestimmt
und bedingt ist, so muß sie auch nach außen ebenso reine Verhältnisse finden, da sie auch von außen nur unter gewissen Bedingungen und in gewissen Verhältnissen existieren kann. So sehen wir auf der Erde, in dem Wasser,
in der Luft die mannigfaltigsten Gestalten der Tiere sich bewegen, und nach dem gemeinsten Begriffe sind diesen Geschöpfen die Organe angeschaffen, damit sie die verschiedenen Bewegungen hervorbringen und die verschiedenen Existenzen [sich] erhalten können. Wird uns aber
nicht schon die Urkraft der Natur, die Weisheit eines denkenden Wesens, welches wir derselben unterzulegen pflegen, respektabler, wenn wir selbst ihre Kraft bedingt an- nehmen und einsehen lernen, daß sie ebensogut von außen
als nach außen, von innen als nach innen bildet: Der Fisch
ist für das Wasser da scheint mir viel weniger zu sagen
als: der Fisch ist in dein Wasser und durch das Wasser da; denn dieses letzte drückt viel deutlicher aus, was in dem
erstem nur dunkel verborgen liegt, nämlich: die Existenz eines Geschöpfes, das wir Fisch nennen, sei nur unter der Bedingung eines Elementes, das wir Wasser nennen, möglich, nicht allein, um darin zu sein, sondern auch, um darin zu werden. Ebendieses gilt von allen übrigen Geschöpfen.
Dieses wäre also die erste und allgemeinste Betrachtung von innen nach außen und von außen nach innen; die entschiedene Gestalt ist gleichsam der innere Kern, welcher durch die Determination des äußern Elementes sich verschieden bildet. Eben dadurch erhält ein Tier seine Zweckmäßigkeit nach außen, weil es von außen so gut als von
innen gebildet worden und, was noch mehr, aber natürlich
ist, weil das äußere Element die äußere Gestalt eher nach
sich als die innere umbilden kann. Wir können dieses am
besten bei den Robbenarten sehen, deren Äußeres so viel von der Fischgestalt annimmt, wenn ihr Skelett uns noch
das vollkommene vierfüßige Tier darstellt.
Wir treten also weder der Urkraft der Natur noch der Weisheit und Macht eines Schöpfers zu nahe, wenn wir annehmen, daß jene mittelbar zu Werke gehe, dieser mittel- bar im Anfang der Dinge zu Werke gegangen sei. Ist es nicht dieser großen Kraft anständig, daß sie das Einfache
einfach, das Zusammengesetzte zusammengesetzt hervorbringe: Treten wir ihrer Macht zu nahe, wenn wir behaupten: sie habe ohne Wasser keine Fische, ohne Luft
keine Vögel, ohne Erde keine übrigen Tiere hervorbringen
können, so wenig als sich die Geschöpfe ohne die Bedingung dieser Elemente existierend denken lassen: Gibt
es nicht einen schönern Blick in den geheimnisreichen
Bau der Bildung, welche, wie nun immer mehr allgemein anerkannt wird, nach einem einzigen Muster gebaut ist, wenn wir, nachdem wir das einzige Muster immer genauer
erforscht und erkannt haben, nunmehr fragen und untersuchen: Was wirkt ein allgemeines Element unter seinen verschiedenen Bestimmungen auf ebendiese allgemeine
Gestalt: was wirkt die determinierte und determinierende
Gestalt diesen Elementen entgegen: was entsteht durch
diese Wirkung für eine Gestalt der festen, der weicheren, der innersten und der äußersten Teile: Was, wie gesagt, die Elemente in allen ihren Modifikationen durch Höhe und Tiefe, durch Weltgegenden und Zonen hervorbringen.
Wie vieles ist hier schon vorgearbeitet, wie vieles braucht nur ergriffen und angewandt zu werden, ganz allein auf diesen Wegen! Und wie würdig ist es der Natur, daß sie sich immer derselben Mittel bedienen muß, um ein Geschöpf hervorzubringen und zu ernähren!
So wird man auf eben diesen Wegen fortschreiten, und wie man nur erst die unorganisierten, undeterminierten Elemente als Vehikel der organisierten Wesen angesehen, so wird man sich nunmehr in der Betrachtung erheben und
wird die organisierte Welt wieder als einen Zusammenhang
von vielen Elementen ansehen. Das ganze Pflanzenreich
z. E. wird uns wieder als ein ungeheures Meer erscheinen,
welches ebensogut zur bedingten Existenz der Insekten
nötig ist als das Weltmeer und die Flüsse zur bedingten
Existenz der Fische, und wir werden sehen, daß eine ungeheure Anzahl lebender Geschöpfe in diesem Pflanzenozean geboren und ernährt werde, ja wir werden zuletzt die ganze tierische Welt wieder nur als ein großes Element ansehen, wo ein Geschlecht auf dem andern und
durch das andere, wo nicht entsteht, doch sich erhält. Wir
werden uns gewöhnen, Verhältnisse und Beziehungen nicht
als Bestimmungen und Zwecke anzusehen, und dadurch
ganz allein in der Kenntnis, wie sich die bildende Natur von allen Seiten und nach allen Seiten äußert, weiterkommen. Und man wird sich durch die Erfahrung überzeugen, wie es bisher der Fortschritt der Wissenschaft bewiesen hat, daß der reellste und ausgebreitetste Nutzen
für die Menschen nur das Resultat großer und uneigennütziger Bemühungen sei, welche weder taglöhnermäßig
ihren Lohn am Ende der Woche fordern dürfen, aber auch
dagegen ein nützliches Resultat für die Menschheit weder am Ende eines Jahres noch Jahrzehents noch Jahrhunderts vorzulegen brauchen.
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