Vorträge über die ersten Kapitel des Entwurfs einer allgemeinen Einleitung in die vergleichende Anatomie, ausgehend von der Osteologie 1796
Freudig war vor vielen Jahren
Eifrig so der Geist bestrebt,
Zu erforschen, zu erfahren,
Wie Natur im Schaffen lebt.
Und es ist das ewig Eine,
Das sich vielfach offenbart;
Klein das Große,
groß das Kleine,
Alles nach der eignen Art.
Immer wechslend, fest sich haltend.
Nah und fern und fern und nah;
So gestaltend, umgestaltend —
Zum Erstaunen bin ich da.
I.
Von den Vorteilen der vergleichenden Anatomie und von den Hindernissen, die ihr entgegenstehen
Durch ein genaues Betrachten der Äußerlichkeiten
organischer Wesen hat die Naturgeschichte an Ausbreitung und Anordnung nach und nach grenzenlos gewonnen, und es ist nun jedem anheimgegeben, durch
Aufmerksamkeit und Anstrengen sich Überblick des Ganzen oder Einsicht in das Besondere zu verschaffen.
Dieser glückliche Erfolg wäre aber nicht möglich gewesen, wenn die Naturforscher sich nicht bemüht hätten,die äußeren
Kennzeichen reihenweis aufzustellen, welche den organischen Körpern nach ihren verschiedenen Klassen und Ordnungen, Gattungen und Arten irgend zukommen mögen.
So hat Linne die botanische Terminologie musterhaft aus- gearbeitet und geordnet dargestellt, daß sie durch nachfolgende Entdeckungen und Bemühungen immer vollständiger werden konnte. So haben uns beide Forster die Kennzeichen der Vögel, Fische und Insekten vorgezeichnet und dadurch die Möglichkeit genauer und übereinstimmender Beschreibungen erleichtert.
Man wird aber nicht lange mit Bestimmung der äußern
Verhältnisse und Kennzeichen sich beschäftigen, ohne das Bedürfnis zu fühlen, durch Zergliederung mit den organischen Körpern gründlicher bekannt zu werden. Denn wie
es zwar löblich ist, die Mineralien auf den ersten Blick nach ihren äußern Kennzeichen zu beurteilen und zu ordnen, so muß doch die Chemie zu einer tiefern Kenntnis
das Beste beitragen.
Beide Wissenschaften aber, die Zergliederung sowohl als die Chemie, haben für diejenigen, die nicht damit vertraut
sind, eher ein widerliches als anlockendes Ansehn. Bei
dieser denkt man sich nur Feuer und Kohlen, gewaltsame
Trennung und Mischung der Körper; bei jener nur Messer,
Zerstückelung, Fäulnis und einen ekelhaften Anblick auf ewig getrennter organischer Teile. Doch so verkennt man
beide wissenschaftliche Beschäftigungen. Beide üben den
Geist auf mancherlei Art, und wenn die eine, nachdem
sie getrennt hat, wirklich wieder verbinden, ja durch diese Verbindung eine Art von neuem Leben wieder hervorbringen kann, wie zum Beispiel bei der Gärung geschieht, so kann die andere zwar nur trennen, sie gibt aber dem
menschlichen Geiste Gelegenheit, das Tote mit dem Lebenden, das Abgesonderte mit dem Zusammenhängenden,
das Zerstörte mit dem Werdenden zu vergleichen, und
eröffnet uns die Tiefen der Natur mehr als jede andere
Bemühung und Betrachtung.
Wie nötig es war, den menschlichen Körper zu zergliedern, um ihn näher kennen zu lernen, sahen die Ärzte nach und
nach wohl ein, und immer ging das Zergliedern der Tiere neben dem Zergliedern des Menschen, obschon mit ungleichem Schritte., fort. Teils wurden einzelne Bemerkungen aufgezeichnet, man verglich gewisse Teile verschiedener Tiere; allein ein übereinstimmendes Ganze
zu sehen, blieb nur immer ein frommer Wunsch und
wird es vielleicht noch lange bleiben.
Sollten wir aber nicht bewogen werden, diesen Wünschen,
diesen Hoffnungen der Naturforscher entgegenzugehen,
da wir selbst, wenn wir das Ganze nicht aus den Augen
verlieren, auf jeden Schritte so viel Befriedigung und selbst Vorteil für die Wissenschaft zu erwarten haben?
Wem ist unbekannt, welche Entdeckungen im Körperbau
des Menschen wir der Zootomie schuldig sind? So wären
die Milch- und lymphatischen Gefäße sowie der Umlauf
des Bluts vielleicht noch lange unbekannt geblieben, wenn
ihr Entdecker sie nicht zuerst an Tieren bemerkt hätte. Und wie vieles von Wichtigkeit wird sich nicht auf diesem Wege künftigen Beobachtern offenbaren!
Denn das Tier zeigt sich als Flügelmann, indem die Einfachheit und Einschränkung seines Baues den Charakter
deutlicher ausspricht, die einzelnen Teile größer und charakteristisch in die Augen fallender sind.
Die menschliche Bildung aus sich selbst kennen zu lernen,
ist anderseits fast unmöglich, weil die Teile derselben in einem eigenen Verhältnisse stehen, weil manches ineinander gedrängt und verborgen ist, was bei den Tieren
sehr deutlich am Tage Hegt, weil dieses und jenes Organ,
bei den Tieren sehr einfach, bei den Menschen in einer unendlichen Komplikation oder Subdivision gefunden wird, so daß niemand zu sagen vermöchte, ob jemals einzelnen Entdeckungen und Bemerkungen ein Abschluß werden
könne.
Allein noch wäre zu wünschen, daß zu einem schnellern
Fortschritte der Physiologie im ganzen die Wechselwirkung aller Teile eines lebendigen Körpers sich niemals
aus den Augen verlöre: denn bloß allein durch den Begriff, daß in einem organischen Körper alle Teile auf
einen Teil hinwirken und jeder auf alle wieder seinen Einfluß ausübe, können wir nach und nach die Lücken der
Physiologie auszufüllen hoffen.
Die Kenntnis der organischen Naturen überhaupt, die Kenntnis der vollkommneren, welche wir im eigentlichen
Sinn Tiere und besonders Säugetiere nennen, der Einblick,
wie die allgemeinen Gesetze bei verschieden beschränkten Naturen wirksam sind, die Einsicht zuletzt, wie der Mensch dergestalt gebaut sei, daß er so viele Eigenschaften und
Naturen in sich vereinige und dadurch auch schon physisch
als eine kleine Welt, als ein Repräsentant der übrigen
Tiergattungen existiere: alles dieses kann nur dann am
deutlichsten und schönsten eingesehen werden, wenn wir
nicht, wie bisher leider nur zu oft geschehen, unsere Betrachtungen von oben herab anstellen und den Menschen
im Tiere suchen, sondern wenn wir von unten herauf anfangen und das einfachere Tier im zusammengesetzten
Menschen endlich wieder entdecken.
Es ist hierin schon unglaublich viel getan; allein es liegt so zerstreut, so manche falsche Bemerkungen und Folgerungen verdüstern die wahren und echten, täglich kommt
zu diesem Chaos wieder neues Wahre und Falsche hinzu, so daß weder des Menschen Kräfte noch sein Leben hinreichen, alles zu sondern und zu ordnen, wenn, wir nicht den Weg, den uns die Naturhistoriker äußerlich vorgezeichnet, auch bei der Zergliederung verfolgen und es möglich machen, das Einzelne in übersehbarer Ordnung
zu erkennen, um das Ganze nach Gesetzen, die unserm
Geiste gemäß sind, zusammenzubilden.
Was wir zu tun haben, wird uns erleichtert, wenn wir die Hindernisse betrachten, welche der vergleichenden Anatomie bisher im Wege gestanden.
Da schon beim Bestimmen äußerer Merkmale organischer
Wesen der Naturfreund in einem unendlichen Felde zu tun hat und mit so vielen Schwierigkeiten streitet, da schon
die äußere Kenntnis der vollkommneren Tiere, die über den Erdboden verbreitet sind, so viele mühsame Betrachtung erfordert und ein immer zudringendes Neue uns
zerstreut und ängstigt, so konnte der Trieb, auf innere Kenntnis der Geschöpfe gleichfalls zu dringen, nicht eher allgemein werden, als bis eine äußerliche Zusammenstellung weit genug gediehen war. Inzwischen häuften sich einzelne Beobachtungen, indem man teils absichtlich untersuchte, teils die Erscheinungen, wie sie sich zufällig
aufdrangen, festzuhalten wußte; da dies aber ohne Zusammenhang, ohne allgemeine Übersicht geschah, so mußte
mancher Irrtum sich einschleichen.
Noch mehr verwirrten sich aber die Beobachtungen, da
sie oft einseitig aufgenommen und die Terminologie ohne
Rücksicht auf gleich oder ähnlich gebaute Geschöpfe festgesetzt wurde. So ist durch die Stallmeister, Jäger und
Fleischer eine Diskrepanz in Benennung der äußern und
innern Teile der Tiere gekommen, die uns noch bis in die besser ordnende Wissenschaft verfolgt.
Wie sehr es an einem Vereinigungspunkte gefehlt, um
welchen man die große Menge Beobachtungen hätte versammeln können, wird zunächst deutlicher werden.
Auch wird der Philosoph gar bald entdecken, daß sich die Beobachter selten zu einem Standpunkte erhoben, aus welchem sie so viele bedeutend-bezügliche Gegenstände
hätten übersehen können.
Man wendete auch hier, wie in andern Wissenschaften,
nicht genug geläuterte Vorstellungsarten an. Nahm die eine Partei die Gegenstände ganz gemein und hielt sich ohne Nachdenken an den bloßen Augenschein, so eilte die andere, sich durch Annahme von Endursachen aus der Verlegenheit zu helfen, und wenn man auf jene
Weise niemals zum Begriff eines lebendigen Wesens gelangen konnte, so entfernte man sich auf diesem Wege
von eben dem Begriffe, dem man sich zu nähern glaubte.
Ebensoviel und auf gleiche Weise hinderte die fromme
Vorstellungsart, da man die Erscheinungen der organischen
Welt zur Ehre Gottes unmittelbar deuten und anwenden
wollte. Ferner verlor man sich, anstatt bei der durch
unsere Sinne verbürgten Erfahrung zu bleiben, in leere Spekulationen, wie z. B. über die Seele der Tiere und
was dem ähnlich sein mag.
Wenn man nun bei der Kürze des Lebens bedenkt, daß
die menschliche Anatomie eine unendliche Arbeit erheischt,
daß das Gedächtnis kaum hinreicht, das Bekannte zu fassen und zu behalten, daß überdies noch Anstrengung genug
gefordert wird, um das in diesem Kreise einzeln Neuentdeckte zu kennen, auch wohl persönlich durch glückliche
Aufmerksamkeit neue Entdeckungen zu machen: so sieht man deutlich, daß auch schon hierzu einzelne Menschen
ihr ganzes Leben widmen müssen.
Tagebücher und Jahreshefte
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