> Gedichte und Zitate für alle: J.W.v.Goethe: Bryophillum calycinum [September 1820]

2020-03-16

J.W.v.Goethe: Bryophillum calycinum [September 1820]




Bryophillum calycinum [September 1820]


Abgenommenes einfaches Blatt. 
Beschrieben. 
Dessen Einkerbung. 
Zwischen Papier gelegt. 
Eintrocknen des Blatts. 
Keimen der Augen, aus den Kerben Luftwurzeln. 
Einfache kotyledonartige Blätter. 
Sich nach und nach vervollkommend. 
Auflegen auf die Erde. 
Erhaltung im dunklen oder gemäßigten Licht. 
Stärkeres Wachstum der Keime. 
Endlich tritt eine Erdwurzel hervor. 
Wie sie sich in die Erde senken, teilen sie dem Mutterblatt Nahrung mit, und dieses erscheint nun als der eigentliche gemeinsame Kotyledon. 
Größere Blätter. 
Sie kerben sich mehr und mehr ein. 
Genauer betrachtet, monatliche Triebe. 
Bei großen Pflanzen ganz entschieden. 
Wo es denn begegnet, daß, wo nicht der Trieb schon vom Juni, doch wenigstens die Triebe vom Juli und August dreigeteilt werden. 
Bei älteren Pflanzen oder auch bei solchen, welche eine ganz günstige Gelegenheit finden, steigt diese Trennung bis ins fünfteilige.

Menkwürdiger Fall, daß, wenn man von den zusammengesetzten Blättern ein untergeordnetes Blatt nimmt und solches auf obige Weise behandelt, daß schon das vierte Blattpaar von unten regelmäßig fünffach eingeschnitten erschien, zum Zeichen, daß das auf einer höhern Stufe stehende Mutterblatt schon eine höhere Vollkommenheit mit sich brachte. 

Die nachfolgenden Blätter gehen wieder zurück und sind eingekerbt wie die andern. 
Wundersam empfindliche Pflanze gegen das Licht. 

Man kann sie kerzengerad ziehen, wenn man sich die Mühe gibt, sobald sie sich gegen das Licht hin krümmt, sie herumzustellen, und mit dieser Operation immer fortfährt. An einen Stab gebunden, ohne jene Vorsicht verkrüppelt der Stengel. 

Empfindlichkeit gegen die Lokalität. 

Soviel Pflanzen ich auch unter Freunde ausgeteilt habe, so hatte das Wachstum einer jeden einen verschiedenen Habitus^ wovon schwerlich Rechenschaft zu geben wäre. Und wie sie sich aus allen Teilen wieder selbst entwickelt, so hat sie auch wieder in allen ihren Teilen etwas Proteisches, bald sind die Blätter ledern und flach, bald zeigen sie eine starke Elastizität durch Zusammenrollen der Blätter. 

Ja die Blattstiele, wenn die Blätter abgefallen sind, krümmen und ringeln sich um sich selbst. 

Sie zeigen auch eine merkwürdige Vertropfung. 

Wenn ihre Wurzel stark befeuchtet ist und eine proportionierte Wärme nicht vorhanden, eine regelmäßige Verdunstung und Ausbildung zu bewirken, so erscheinen bei alten und jungen Pflanzen regelmäßig auf den Erhöhungen zwischen den eingekerbten Stellen feine Tropfen, welche bei jungen Pflanzen wieder verschwinden, bei altern aber zu einer Art von Gummi konsolidieren. 

Temperatur ertragen sie eine jede über dem Gefrierpunkt; in dem warmen Hause verbleichen sie und kommen nicht vorwärts.

Am vorteilhaftesten möchte es sein, wenn man ihnen eine Temperatur von zwanzig Wärmegraden immer erhalten könne. Wichtig wäre es zu sehen, ob man auf diesem Wege das Zurückschreiten im September verhindern und sie immer vorwärts bis zur Fünfteilung der Blätter treiben könne. Feuchtigkeit scheint sie zu lieben. 

Da sie von den Molukken-Inseln nach Calcutta, von da aber zu uns gekommen ist, so will mir aus verschiedenen Argumenten scheinbar sein, daß sie eine Bergpflanze sei, in einer gewissen Höhe bei Feuchtigkeit und mäßiger Wärme, ohne jemals Frost zu empfinden, am besten fort- kommt. Auch Verstäubung ist bei dieser Pflanze bemerkbar: wenn nämlich die untern Stengelblätter einer jungen Pflanze in ein Buch gelegt werden, so keimen sie nicht, sondern verwelken völlig und verdorren nach und nach. Zerbricht man ein solches gedörrtes Blatt, so fliegt ein Staub davon, den man sehr oft an demselben Blatte wiederholen kann. Auch dieses deutet auf die Verwandtschaft mit einer niedern Pflanzenstufe.

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