Nach abgeschlossenem entoptischen Vortrag, dessen Bearbeitung uns mehrere Jahre beschäftigt, nach dem frischen Beweis, daß an unsere Farbenlehre sich jede neu entdeckte Erscheinung freundlich anschließt, ins Ganze fügt und keiner besondern theoretischen Erklärung bedarf, finden wir der Sache geraten, manches Einzelne, was sich bisher gesammelt, hier gleichfalls darzulegen und in jene Einheit zu verschlingen. Den Hauptsinn unseres ganzen Vorhabens wiederholen wir daher, weil das meiste, was bis jetzt über Farbe öffentlich gesagt worden, auf das deutlichste zeigt, daß man meine Bemühungen entweder nicht kennt oder ignoriert, nicht versteht oder nicht verstehen will.
Und so wird es nicht zu weit ausgeholt sein, wenn wir sagen: daß unsere ältesten Vorfahren, bei ihrer Naturbeschauung, sich mit dem Phänomen begnügt, dasselbe wohl zu kennen getrachtet, aber an Versuche, wodurch es wiederholt würde, wodurch sein Allgemeineres zutage käme, nicht gedacht. Sie beschauten die Natur, besuchten Handwerker und Fabrikanten und belehrten sich, ohne sich aufzuklären. Sehr lange verfuhr man so: denn wie kindlich war noch die Art von Versuch, daß man in einem ehernen Kessel Eisenfeilspäne durch einen untergehaltenen Magnet gleichsam sieden ließ.
In der Zwischenzeit wollen wir uns nicht aufhalten und nur gedenken: wie im 15. und 16. Jahrhundert die unendlichste Masse von einzelnen Erfahrungen auf die Menschen eindrang, wie Porta Kenntnisse und Fertigkeiten viele Jahre durch in der ganzen Welt zusammensuchte, und wie Gilbert am Magneten zeigte, daß man auch ein einzelnes Phänomen in sich abschließen könne.
In demselben Zeitraum zeigte Baco auf das lebhafteste zur Erfahrung hin und erregte das Verlangen, unzählbaren und unübersehbaren Einzelnheiten nachzugehn. Immer mehr und mehr beobachtete man; man probierte, versuchte, wiederholte; man überdachte, man überlegte zugleich, und so kam ein Wissen zur Erscheinung, von dem man vorher keinen Begriff gehabt hatte. Weil dies aber nicht vorübergehen, sondern das einmal Gefundene festgehalten und immer wieder dargestellt werden sollte, so befleißigte man sich schon in der zweiten Hälfte des 17, Jahrhunderts notdürftig verbesserter Instrumente, und es fanden sich Personen, die aus dem Handhaben derselben eine Art von Gewerbe machten. Dies alles war gut und löblich, aber die Lust zu theoretisieren, gegen welche Baco sich so heftig geäußert hatte, kann und darf den Menschen nicht verlassen; und so groß ist die Macht des Gedankens, er sei wahr oder falsch, daß er die Erfahrung mit sich fortreißt: daher denn auch gesteigerte und verwickelte Maschinen der Theorie zu Diensten sein und dem Wahren wie dem Falschen zur Bestätigung und Gründung dienen mußten. Nirgends war dieses umgekehrte Verfahren trauriger als in der Farbenlehre, wo eine ganz falsche, auf ein falsches Experiment gegründete Lehre durch neue, das Unwahre stets verbergende und die Verwirrung immer vermehrende, verwickeltere Versuche unzugänglich gemacht und vor dem reinen Menschenverstand düster verhüllt ward.
Da ich in die Naturwissenschaft als Freiwilliger hineinkam, ohne Aussicht und Absicht auf einen Lehrstuhl, welchen besteigend man denn doch immer bereit sein muß ebensogut dasjenige vorzutragen, was man nicht weiß, als das, was man weiß, und zwar um der lieben Vollständigkeit willen, so konnte ich dagegen auf eine andere Vollständigkeit denken, auf den Baconischen Weg zurückkehrend und die sämtlichen Phänomene, so viel ich ihrer gewahr werden konnte, sammlend, welches ohne eine gewisse Ordnung, ohne ein Neben-, Über- und Untereinander, für den denkenden Geist unmöglich ist.
Wie ich in der Farbenlehre gehandelt, liegt jedermann vor Augen, der es beschauen will, das Fachwerk, das ich beliebt, wüßte ich noch jetzt nicht zu verändern; noch jetzt gibt es mir Gelegenheit, Verwandtes mit Verwandtem zu gesellen, wie die entoptischen Farben bezeugen mögen, die, als neu entdeckt, sich in meinen übrigen Vortrag einschalten lassen, eben als hätte man sie gleich anfangs in
Betracht gezogen. Hiedurch finde ich mich also berechtigt, ja genötigt, was ich etwa nachzubringen habe, in derselben Ordnung aufzuführen: denn es kommt hier nicht darauf an, 'durch eine Hypothese die Erscheinungen zu verrenken, sondern die klaren natürlichen Rechte einer jeden anzuerkennen und ihr den Platz in der Stadt Gottes und der Natur anzuweisen, wo sie sich denn gern hinstellen, ja niederlassen mag. Und wie sollte man einen so großen, errungenen und erprobten Vorteil aufgeben, da jedermann, der ein Instrument erfunden, das ihm in der Ausübung besondere Bequemlichkeit gewährt, aber andern unbekannt ist, solches bekannt zu machen sucht, entweder zu seiner Ehre oder, wenn er das Glück hat ein Engländer zu sein, nach erlangtem Patent zu seinem zeitlichen Gewinn. Lasse man mich also auch die Vorteile wiederholt an Beispielen praktisch aussprechen, die mir aus der Methode zufließen, wornach ich die Farbenlehre gebildet. Sobald ich nämlich die Haupt- und Grundphänomene gefunden und, wie sie sich verzweigen und aufeinander beziehen, geordnet hatte, so entstanden wahrhaft geistige Lokate, in welche man gar leicht den besondern Fall dem allgemeinen Begriff unterzuordnen und das Vereinzelte, Seltsame, Wunderbare in den Kreis des Bekannten und Faßlichen einzuschließen fähig wird.
Zu leichterer Übersicht ist deshalb eine Tabelle vorausgeschickt.
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