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2020-03-11

J.W.v.Goethe: Physiologische Bemerkungen






Physiologische Bemerkungen [1829 ff.] 


Dass einzelne Pflanzenfreunde sich nach und nach auf Monographie beschränken werden, ist gewiß; nur ist zu befürchten, daß dadurch die Botanik noch grenzenloser werden müsse; daher ist zu wünschen, daß auch diese Monographien im morphologischen Sinne behandelt werden, da denn Wissen und Wissenschaft sogleich ineinander wirken, sich wechselseitig fördern und erleichtern. 

Ein solches ward mir einmal von Hr. Präs. Nees von Esenbeck über die Gentianen mitgeteilt, welches mir, da ich diesem Geschlecht besondere Aufmerksamkeit widmete, zu großer Aufklärung gedieh. Auch wird es von dem größten Vorteil sein, wenn man neue praktische Erfindungen und Vorschläge auf die Morphologie zurückführte, die physiologischen Phänomene, welche auf dieselbe immer hindeuten, leisten zum Handeln und Tun großen Beistand. 

Ich besuchte vor vielen Jahren den alten Hofgärtner Seidel in Dresden, und da ich mich nach verschiedenen Vorkommenheiten erkundigte, war er mir freundlich zu Willen und ging in die Sache ein als ein vollkommen Wissender. Er hatte sich den Begriff in seiner ganzen Folge nach und nach aus seiner eigenen Praxis vollständig errungen und gebarte damit besser als irgendein anderer. 

Zu bemerken ist, daß die Systeme des Kelchs, der Krone und der Staubfäden dem Systeme der Stengelblätter korrespondieren, Pistill, Fruchtbehälter und Frucht aber dem Systeme der Augen angehören. Wer sich dieses anschaulich machen kann, wird einen tiefen Blick in die Naturgeheimnisse tun. 

Wir bereiten uns durchaus eine besondere Bequemlichkeit, wenn wir Blatt und Blattstiel ursprünglich als zwei verschiedene Organe betrachten. Der Blattstiel, der spadixähnlich bei den Allien den Blütenstiel umfaßt, hört aut, in einer gewissen Stelle seine Funktion zu leisten, und zwar nicht zufällig: es erscheint eine Art Hemmung daselbst, etwas Wulstartiges, auf einen Knoten hindeutend; das fernere Blattartige setzt sich wie von vorn anfangend mehr oder weniger weiter fort oder kommt nicht zur Erscheinung, wenn der Blattstiel zuletzt zu einer großen Ausdehnung genötigt worden. 

Die Monokotyledonen haben das Eigentümliche, daß sie sich zur Fruktifikation eilig hinbewegen; ihre Vorbereitung hiezu liegt in Zwiebeln, Bulbeln und andern Wurzelformen. Die Dikotyledonen brauchen längere Vorbereitung, sie gleichen aber jenen in der Infloreszenz, indem die Blume selten ausgeschnitten oder gefiedert hervortritt, durch ihre Einfalt aber sich zu jenen einfachen Erscheinungen gesellt. 

Die Erfahrungs -Kräuterkunde geht, wie alles menschliche Bestreben, vom Nützlichen aus, sie sucht Nahrung von den Früchten, ärztliche Hülfe von Kräutern und Wurzeln, und halten wir ein solches Benehmen keineswegs für gemein; hier entdecken wir die Idee aufs Nützliche gerichtet, vielleicht die ursprünglichste Richtung von allen, und doch schon so hoch stehend, indem sie den unmittelbarsten Bezug der Gegenstände auf den Menschen bezeichnet, im Vorgefühl jener stolzen Anmaßung, daß der Mensch die Welt zu beherrschen habe. 

Wir leben in einer Zeit, wo wir uns täglich mehr angeregt fühlen, die beiden Welten, denen wir angehören, die obere und die untere, als verbunden zu betrachten, das Ideelle im Reellen anzuerkennen und unser jeweiliges Mißbehagen mit dem Endlichen durch Erhebung ins Unendliche zu beschwichtigen. Die großen Vorteile, die dadurch zu gewinnen sind, wissen wir unter den mannigfaltigsten Umständen zu schätzen und sie besonders auch den Wissenschaften und Künsten mit kluger Tätigkeit zuzuwenden. Nachdem wir uns nun zu dieser Einsicht erhoben, so sind wir nicht mehr in dem Falle, bei Behandlung der Naturwissenschaften die Erfahrung der Idee entgegenzusetzen, wir gewöhnen uns vielmehr, die Idee in der Erfahrung aufzusuchen, überzeugt, daß die Natur nach Ideen verfahre, ingleichen daß der Mensch in allem, was er beginnt, eine Idee verfolge. Wobei denn freilich zu bedenken ist, daß die Idee in ihrem Entspringen und ihrer Richtung vielfach erscheint und in diesem Sinne als von verschiedenem Werte geachtet werden könne. 

Hier aber werden wir vor allen Dingen bekennen und aussprechen, daß wir mit Bewußtsein uns in der Region befinden, wo Metaphysik und Naturgeschichte übereinander greifen, also da, wo der ernste treue Forscher am liebsten verweilt. Denn hier wird er durch den Zudrang grenzenloser Einzelnheiten nicht mehr geängstigt, weil er den hohen Einfluß der einfachsten Idee schätzen lernt, welche auf die verschiedenste Weise Klarheit und Ordnung dem Vielfältigsten zu verleihen geeignet ist. 

Indem nun der Naturforscher sich in dieser Denkweise bestärkt, im höheren Sinne die Gegenstände betrachtet, so gewinnt er eine Zuversicht und kommt dadurch dem Erfahrenden entgegen, welcher nur mit gemessener Bescheidenheit ein Allgemeines anzuerkennen sich bequemt. 

Er tut wohl, das Hypothese zu nennen, was schon gegründet ist; mit desto mehr freudiger Überzeugung findet auch er, daß hier ein wahres Übereintreffen stattfindet. Er fühlt es, wie wir es auch seinerzeit empfunden haben. Im Gefolg hievon wird sich nun keine Spur von Widerstreit hervortun, nur eine Ausgleichung geringer Differenzen wird sich hie und da nötig machen, und beide Teile werden sich eines gemeinsamen Erfolges zu erfreuen haben. 

Bei allem nun hat der treue Forscher sich selbst zu beobachten und zu sorgen, daß, wie er die Organe bildsam sieht, er sich auch die Art zu sehen bildsam erhalte, damit er nicht überall schroff bei einerlei Erklärungsweise verharre, sondern in jedem Falle die bequemste, der Ansicht, dem Anschauen analogste zu wählen verstehe. So ist es z. B. bequem, die Blättchen mancher Kelche als erst einzeln von der Natur intentioniert und dann mehr oder weniger durch Anastomose vereinigt zu denken. Dagegen wird man die Palmenblätter, in ihrem vorschreitenden Wachstum, als Einheiten von der Natur hervorgebracht und sodann in viele Teile sich trennend und losreißend zu denken haben. Doch kommt es durchaus auf die Tendenz des Geistes an, ob er aus dem Einzelnen ins Ganze oder aus dem Ganzen ins Einzelne zu schreiten geneigt ist. Durch eine solche wechselseitige Anerkennung wird aller Widerstreit der Denkweisen aufgehoben und ein solider Stand der Wissenschaft gegründet, welche mehr, als man denkt, durch solche Entweihung, welches mehr auf Worthändel hinausläuft, gesichert wird. 

Bei Erklärung gewisser Phänomene findet denn auch dasselbige statt, hier finden sich niedere Erklärungssarten, welche aber doch immer der menschlichen Natur angemessen und aus derselben ursprünglich sind. Es ist z. B. die Frage: ob man eine gewisse Einheit, an der die Mannigfaltigkeit sichtbar ist, aus schon vorhandenem Mannigfaltigen, Zusammengesetzten erklären oder aus einer produktiven Einheit entwickelt ansehen und annehmen wolle. Beides mag zulässig sein, wenn wir die verschiedenen in dem Menschen hervortretenden Vorstellungsarten wollen und müssen gelten lassen, die atomistische nämlich und dynamische, welche sich nur darinne unterscheiden, daß jene in ihrer Erklärung das geheimnisvolle Band nachbringt und daß diese es voraussetzt. Jene kann, um Gunst zu erlangen, sich auf die Anastomose berufen, diese auf die angenommene Vielheit und Einheit; genau besehen aber findet sich immer, daß der Mensch dasjenige voraussetzt, was er gefunden hat, und dasjenige findet, was er voraussetzt. Der Naturforscher als Philosoph darf sich nicht schämen, sich in diesem Schaukelsystem hin und her zu bewegen und da, wo die wissenschaftliche Welt sich nicht versteht, sich selbst zu verständigen. Dagegen er denn aber andererseits dem beschreibenden und bestimmenden Botaniker das Recht gestattet, "zu positiven Entscheidungen seine Zuflucht zu nehmen, wenn man nicht in ein ewiges Kreisen und Schwanken geraten will". 

Betrachten wir unserem nächsten Zwecke gemäß vor allem den Gewinn, welchen das Studium der organischen Wesen davon sich zueignet. Unser ganzes Geschäft ist nun, die einfachste Erscheinung als die mannigfaltigste, die Einheit als Vielheit zu denken. Schon früher sprachen wir getrost den Satz aus: alles Lebendige als ein solches ist schon ein Vieles, und mit diesen Worten glauben wir der Grundforderung des Denkens über diese Gegenstände genug zutun. 

Dieses Viele in Einem sukzessiv und als eine Einschachtelung zu denken, ist eine unvollkommene und der Einbildungskraft wie dem Verstand nicht gemäße Vorstellung, aber eine Entwickelung im höheren Sinne müssen wir zugeben: das Viele im Einzelnen, am Einzelnen, und es setzt uns nicht mehr in Verlegenheit, wenn wir uns folgendermaßen ausdrucken: das untere Lebendige sondere sich vom Lebendigen, das höhere Lebendige gliedere sich am Lebendigen, und da wird ein jedes Glied ein neues Lebendige. 

Andere Anordnungen jedoch, die aur gewissen Teilen und Kennzeichen beruhend aus jener Art, die Sache zu nehmen, hervorgingen, konnten sich auch nicht erhalten, bis man endlich immer weiter zurück auf die ersten und ursprünglichen Organe zu gelangen trachtete und die Pflanze, wo nicht vor ihrer Entwickelung, doch wenigstens im Augenblick ihrer Entwickelung zu fassen anfing und nun fand, daß die ersten Organe derselben entweder nicht zu bemerken waren, oder doppelt, einfach und mehr erschienen. 

Hier war man nun bei der großen Konsequenz der Natur auf dem rechten Wege, denn wie ein Wesen in seiner Erscheinung beginnt, so schreitet es fort und endigt auf gleiche Weise. 

Hier mußte nun um so mehr gelingen, einen sichern Grund zu legen, als zwar die eminenten in die Augen fallenden Glieder zur Einteilung und Ordnung einigen Anlaß geben, die Urglieder jedoch den besondern Vorteil haben, daß bei Beachtung derselben die Geschöpfe gleich in große Massen zerfallen, auch ihre Eigenschaften und Bezüge gründlicher anerkannt werden, wie denn in der neueren Zeit zum Vorteil der Wissenschaft ununterbrochen geschehen ist. 

Gewarnt durch jenen Knaben, der mit einer Muschel das Meer zu erschöpfen sich vermaß, lasset uns aus dem, was nicht zu erschöpfen ist, für unsere Zwecke das Nötige, das Nützliche schöpfen. 

Gehen wir gerade auf die Gliederung los, denn hier finden wir uns unmittelbar im Pflanzenreiche; die Gliederung der edleren Pflanze ist hier nicht eine fortgesetzte Wiederholung des unveränderten Selbigen ins Unendliche, Gliederung ohne Steigerung gibt uns kein Interesse, wir landen da, wo uns am meisten zugesagt ist: gesteigerte Gliederung, sukzessive gegliederte Steigerung, dadurch Möglichkeit einer Schlußbildung, wo denn abermals das Viele vom Vielen sich sondert, aus dem Einen das Viele hervortritt. 

Mit diesem Wenigen sprechen wir das ganze Pflanzenleben aus, mehr ist darüber nicht zu sagen; nur wird der kleine Aufsatz, den wir hier bevorworten [?], bemüht sein, dasjenige vor die Sinne zu bringen, was vorerst noch abstrus und umfaßlich möchte gefunden werden. Hat man gedachten Aufsatz durchgelesen und durchgedacht, so nehme man Gegenwärtiges wieder vor sich und suche das Resultat, welches uns genügte, für sich zu gewinnen. 

Es ist ein großer Unterschied, ob ich mich aus dem Hellen ins Dunkle oder aus dem Dunklen ins Helle bestrebe; ob ich, wenn die Klarheit mir nicht mehr zusagt, mich mit einer gewissen Dämmerung zu umhüllen trachte, oder ob ich, in der Überzeugung, daß das Klare auf einem tiefen, schwer erforschten Grund ruhe, auch von diesem immer schwer auszusprechenden Grunde das Mögliche mit her- aufzunehmen bedacht bin. Ich halte daher immer für vorteilhafter: der Naturforscher bekenne sogleich, daß er in einzelnen Fällen es zugibt, wo das Verschweigen nur all- zu deutlich hervortritt. 

Durch die Pendelschläge wird die Zeit, durch die Wechselbewegung von Idee zu Erfahrung die sittliche und wissenschaftliche Welt regiert.

Nicht allein die Erscheinungen, was man eigentlich so nennen kann, welche immer mehr oder weniger den Sinnen unterworfen, doch zuletzt aus einem höhern Begrifif gedeutet werden müssen, sollen wir aufmerksam betrachten, aber auch die Symptome von irgendeiner Art haben wir zu beachten. Ich machte hier auf das Ausdehnen und Zusammenziehen im Verlauf des Pflanzenlebens aufmerksam und erinnere wieder daran durch folgende Betrachtung. 

Bei einer noch so ausgearbeiteten Nomenklatur haben wir zu denken, daß es nur eine Nomenklatur ist, ein Wort [ein] irgendeiner Erscheinung angepaßtes, aufgeheftetes Silbenmerkmal sei, und also die Natur keineswegs vollkommen ausspreche, und deshalb nur als Behelf zu unsrer Bequemlichkeit angesehen werden sollte. 

Der Botaniker vom Fach übernimmt ein höchst schwieriges Geschäft, indem er sich die Bestimmung und Benamsung des oft nicht zu Unterscheidenden zur Pflicht macht. Aus dem Begriff der Metamorphose geht hervor, das ganze Pflanzenleben sei eine stetige Folge von merklichen und unmerklichen Abänderungen der Gestalt, von denen jene bestimmt und genannt werden, diese aber bloß, als fortschreitende Zustände bemerkt, kaum unterschieden, geschweige mit einem Namen gestempelt werden können. Deshalb ist man denn auch über jene meistens einig geworden, wodurch sich denn die botanische Terminologie über alle Faßlichkeit erweitert hat, diese aber bleiben noch immer widerspenstig und geben wo nicht zu Mißverständnis, doch Differenzen der Wissenschaftsfreunde gelegentlich Anlaß. 

Prägt sich daher der Botaniker unsre Darlegung fest ein, so muß er die Würde seiner Stellung erst recht kennen lernen, er wird sich im Unmöglichen nicht abmühen; aber eben weil er sich bewußt ist auf einen unerreichbaren Zweck hinzustreben, so wird er, und wenn seine Schritte auch nicht meßbar sind, sich doch dem hohen Ziele immer mehr angenähert fühlen.

Die scharf unterscheidende, genau beschreibende Botanik ist in mehr als einem Sinne höchst ehrwürdig, indem sie die Gabe zu trennen, zu sondern, zu vergleichen, wie sie dem Menschengeiste gegeben ist, in ihrer höchsten Ausübung zu betätigen trachtet, sodann aber auch ein Beispiel gibt, wieweit man mit der Sprache, eben jenem ins Einzelnste dringenden Beobachtungstalent, das kaum zu Unterscheidende, sobald es entdeckt worden, zu benennen und zu bezeichnen vermöge. 

Eine zwar niedere, doch schon ideelle Unternehmung des Menschen ist das Zählen, wodurch im gemeinen Leben so vieles verrichtet wird; die große Bequemlichkeit jedoch, die allgemeine Faßlichkeit und Erreichbarkeit gibt dem Ordnen nach der Zahl auch in den Wissenschaften Eingang und Beifall. Das Linnesche System erlangte eben durch diese Gemeinheit seine Allgemeinheit, doch widerstrebt es einer höheren Einsicht mehr, als daß es solche förderte. 

Es kann aber der Fall kommen, daß jenes proteische Organ sich dergestalt verbirgt, daß es nicht zu finden, sich dergestalt verändert, daß es nicht mehr zu erkennen ist; weil aber das eigentliche botanische Wissen darauf beruht, daß alles gefunden und angezeigt, alles Gebildete durch alle seine Veränderung durch als fertig gebildet beschrieben werde, so sieht man wohl daraus, daß jene erste Idee, aut die wir so viel Wert legten, zwar als leitend zum Auffinden gar wohl zu betrachten sei, in den einzelnen Fällen aber zur Bestimmung nicht helfen könne, vielmehr derselben hinderlich sein müsse. 

Bei der botanischen Terminologie ist das die Schwierigkeit, daß sie teils wohl zu unterscheidende Pflanzenteile bestimmt und zwar mit Leichtigkeit, nun aber bei den Übergängen von den einen zu den andern das Ununterscheidbare gleichfalls trennen, bestimmen und benamsen soll. 

Wenn man den Gang der Naturwissenschaften betrachtet, so läßt sich bemerken, daß im ersten unschuldigen Anfang, wo die Erscheinungen nur noch obenhin genommen werden,

jedermann zufrieden ist, das Erkannte, Bekannte mit Behaglichkeit gelehrt wird, und daß man es mit gewissen Ausdrücken nicht gar  genau nimmt; wie man weiter gelangt, so tuen sich immer mehr Schwierigkeiten hervor, weil die Gestaltbarkeit ins Unendliche überall Differenzen hervorbringt, ohne sich doch eigentlich von ihrer Grundintention zu entfernen. Ein auffallendes Beispiel ist die Frage, was bei manchen Blumen Kelch oder Krone sei? Die schneller zur Blüte eilenden Monokotyledonen haben den Kelch alsobald kronenartig, doch behält diese Krone immer noch etwas Kelchartiges wie die drei äußeren Blätter der Tulpe, und ich glaube wenigstens, daß anstatt des Streites, wie man irgendeinen Teil zu benennen habe, man den höheren Begriff anzuwenden hätte, indem man fragte, wo kommt das Organ her und wo geht es hin? Die Brakteen steigen hinauf, um sich zuletzt wieder als Kelchblätter um die Axe zu versammeln; der Kelch der Tulpe maßt sich gleich das Recht einer Krone an, und da wird man rückwärts und vorwärts finden, daß man die Natur durch ein Wort nicht zügeln kann, wenn sie eilt, noch sie übereilen wird, wenn sie zaudert. 

Wenn man also fragt: Wie ist Idee und Erfahrung am besten zu verbinden: so würde ich antworten: Praktisch! Der Naturforscher vom Handwerk hat die Pflicht, Rechenschaft zu geben, man fordert von ihm, daß er die Pflanzen sowohl als ihre einzelnen Teile zu nennen wisse; kommt er darüber mit sich selbst oder andern in Streit, so ist das allgemein Gesetzliche dasjenige, was hier nicht sowohl entscheiden als versöhnen soll. 

Es gibt Fälle, wo die Identität der Organe leicht geschaut und gerne zugegeben wird, z. B. bei Thyrsen, Corymben, Trauben und Ähren; hier läßt sich die Grundähnlichkeit mit den Augen verfolgen. Dagegen wird es schwieriger, gewisse Unterschiede zu bezeichnen, die Brakteen, wie sie für sich einzeln am Blumenstiel hinaufstehen, zuletzt aber einen Kelch bilden und als Sepalen bezeichnet werden(p. 349). Am schwierigsten ist es, wenn von Torus gehandelt wird.

Hier sei es erlaubt zu sagen, daß gerade jene wichtige, so ernst empfohlene, allgemein gebrauchte, zu Förderung der Wissenschaft höchst ersprießliche, mit bewundernswürdiger Genauigkeit durchgeführte Wortbeschreibung der Pflanze nach allen ihren Teilen, daß gerade diese so umsichtige, doch im gewissen Sinn beschränkte Beschäftigung manchen Botaniker abhält, zur Idee zu gelangen. 

Denn da er, um zu beschreiben, das Organ erfassen muß, wie es gegenwärtig ist, und daher eine jede Erscheinung als für sich bestehend anzunehmen und sich einzudrücken hat, so entsteht niemals eigentlich die Frage, woher denn die Differenz der verschiedenen Formen entsprang; da eine jede als ein festgestelltes, von den sämtlichen übrigen sowie von den vorhergehenden und folgenden völlig verschiedenes Wesen angesehen werden muß. Dadurch wird alles Wandelbare stationär, das Fließende starr, und dagegen das gesetzlich Rasch fortschreitende sprunghaft angesehen und das aus sich selbst hervorgestaltete Leben als etwas Zusammengesetztes betrachtet. 

Es ward von uns oben angedeutet, es müsse in dem Geiste eines wahren Naturforschers sich immerfort wechselsweise wie eine sich im Gleichgewicht bewegende Systole und Diastole ereignen, aber wir wollen nur gestehen, genau bemerkt zu haben, daß die Analyse der Synthese und umgekehrt diese jener hinderlich ist, in dem Grad, daß eine die andere auszuschließen scheint. 

Dieses ins klare zu setzen wäre für den Psychologen keine geringe Aufgabe, die, insofern es möglich wäre, gelöst beide Parteien über sich selbst aufklären und zu einer Versöhnung, vielleicht gar zu geselliger Mitarbeit die Einleitung geben könnte. 

An allen Körpern, die wir lebendig nennen, bemerken wir die Kraft, ihresgleichen hervorzubringen. 

Wenn wir diese Kraft geteilt gewahr werden, bezeichnen wir sie unter dem Namen der beiden Geschlechter. 

Diese Kraft ist diejenige, welche alle lebendige Körper miteinander gemein haben, da sonst ihre Art zu sein sehr verschieden ist.

Epigramme, Sprüche, Xenien usw.

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