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2020-04-08

J.W.v.Goethe: Nacharbeiten und Sammlungen (Zur Morphologie)




Nacharbeiten und Sammlungen
Zur Morphologie. Ersten Bandes zweites Heft. 1820

Weil die Lehre der Metamorphose überhaupt nicht in einem selbstständigen abgeschlossenen Werke verfaßt, sondern eigentlich nur als Musterbild aufgestellt werden kann, als Maßstab, woran die organischen Wesen gehalten, wonach sie gemessen werden sollen, so war das Nächste und Natürlichste, daß ich, um tiefer in das Pflanzenreich einzudringen, mir einen Begriff der verschiedenen Gestalten und ihres Entstehens im einzelnen auszubilden suchte. Da ich aber auch die Arbeit, die ich angefangen, schriftlich fortzusetzen und das, was ich überhaupt angedeutet hatte, ins Besondere durchzuführen dachte, so sammelte ich Beispiele des Bildens, Umbildens und Verbildens, womit die Natur so freigebig ist. Ich ließ manches, was mir belehrend schien, abzeichnen, anfärben, in Kupfer stechen und bereitete so die Fortsetzung meiner ersten Arbeit, indem ich zugleich bei den verschiedenen Paragraphen meines Aufsatzes die auffallenden Erscheinungen fleißig nachtrug. 

Durch den fördernden Umgang mit Batsch waren mir die Verhältnisse der Pflanzenfamilien nach und nach sehr wichtig geworden, nun kam mir Usteris Ausgabe des Jussieuschen Werks 
[Genera plantarum] gar wohl zustatten; die Akotyledonen ließ ich liegen und betrachtete sie nur, wenn sie sich einer entschiedenen Gestalt näherten. Jedoch konnte mir nicht verborgen bleiben, daß die Betrachtung der Monokotyledonen die schnellste Ansicht gewähre, indem sie wegen Einfalt ihrer Organe die Geheimnisse der Natur offen zur Schau tragen und sowohl vorwärts zu den entwickeltern Phanerogamen als rückwärts zu den geheimen Kryptogamen hindeuten. 

Im bewegten Leben, durch fremdartige Beschäftigungen, Zerstreuung und Leidenschaft hin und wider getrieben, begnügte ich mich, das Erworbene bei mir selbst zu bearbeiten und für mich zu nutzen. Mit Vergnügen folgte ich dem Grillenspiel der Natur, ohne mich weiter darüber zu äußern. Die großen Bemühungen Humboldts, die ausführlichen Werke sämtlicher Nationen gaben Stoff genug zu stiller Betrachtung. Endlich wollte sie sich mir wieder zur Tätigkeit bilden; aber als ich meine Träume der Wirklichkeit zu nähern gedachte, waren die Kupferplatten verloren, Lust und Mut, sie wieder herzustellen, fand sich nicht ein. Indessen hatte diese Vorstellungsart junge Gemüter ergriffen, sich lebhafter und folgereicher entwickelt, als ich gedacht, und nun fand ich jede Entschuldigung gültig, die meiner Bequemlichkeit zu Hülfe kam. 

Wenn ich nun aber gegenwärtig, abermals nach so manchen Jahren, auf dasjenige hinschaue, was mir von jenen Bemühungen geblieben, und betrachte, was mir an getrockneten und sonst bewahrten Pflanzen und Pflanzenteilen, Zeichnungen und Kupferstichen, an Randbemerkungen zu meinem ersten Aufsatz, Kollektaneen, Auszügen aus Büchern und Beurteilungen, sodann an vielfältigen Druckschriften vorliegt, so läßt sich recht gut übersehen, daß der Zweck, den ich vor Augen hatte, für mich, in meiner Lage, bei meiner Denk- und Handlensweise, unerreichbar bleiben mußte. Denn das Unternehmen war nichts Geringeres, als dasjenige, was ich im allgemeinen aufgestellt, dem Begriff, dem inneren Anschauen in Worten übergeben hatte, nunmehr einzeln, bildlich, ordnungsgemäß und stufenweise dem Auge darzustellen und auch dem äußern Sinne zu zeigen, daß aus dem Samenkorne dieser Idee ein die Welt überschattender Baum der Pflanzenkunde sich leicht und fröhlich entwickeln könne. 

Daß ein solches Werk mir aber nicht gelingen wollen, betrübt mich in diesem Augenblicke keineswegs, da seit jener Zeit die Wissenschaft sich höher herangebildet und fähigen Männern alle Mittel, sie zu fördern, weit reichlicher und näher an der Hand liegen. Zeichner, Maler, Kupferstecher, wie unterrichtet und kenntnisreich sind sie nicht, selbst als Botaniker zu schätzen! Muß doch derjenige, der nachbilden, wieder hervorbringen will, die Sache verstehen, tief einsehen; sonst kommt ja nur ein Schein und nicht das Naturprodukt ins Bild. Solche Männer aber sind notwendig, wenn Pinsel, Radiernadel, Grabstichel Rechenschaft geben soll von den zarten Übergängen, wie Gestalt in Gestalt sich wandelt; sie vorzüglich müssen erst, mit geistigen Augen, in dem vorbereitenden Organe das erwartete, das notwendig folgende, in dem Abweichenden die Regel erblicken. 

Hier also seh ich die nächste Hoffnung, daß, wenn ein einsichtiger, kräftiger, unternehmender Mann sich in den Mittelpunkt stellte und alles, was zur Absicht förderlich sein könnte, mit Sicherheit anordnete, bestimmte, bildete, daß ein solches in früherer Zeit unmöglich scheinendes Werk befriedigend müßte zustande kommen. 

Freilich wäre hiebei, um nicht wie bisher der guten Sache zu schaden, von der eigentlichen, gesunden, physiologisch reinen Metamorphose auszugehen und alsdann erst das Pathologische, das unsichere Vor- und Rückschreiten der Natur, die eigentliche Mißbildung der Pflanzen darzustellen und hiedurch dem hemmenden Verfahren ein Ende zu machen, bei welchem von Metamorphose bloß die Rede war, wenn von unregelmäßigen Gestalten und von Mißbildungen gesprochen wurde. In dem letzten Falle jedoch wird das Buch unseres vortrefflichen Jägers [''Über die Mißbildungen der Gewächse"] als eine fördernde Vor-und Mitarbeit geschätzt werden; ja dieser treue fleißige Beobachter hätte allen unsern Wünschen zuvorkommen und das Werk, worauf wir hindeuten, ausarbeiten können, wenn er dem gesunden Zustand der Pflanzen so wie dem krankhaften derselben hätte folgen wollen. 

Mögen einige Betrachtungen hier stehen, die ich niederschrieb, als ich mit gedachtem, das Studium höchst anregenden Werk zuerst bekannt ward. 

Im Pflanzenreiche nennt man zwar das Normale in seiner Vollständigkeit mit Recht ein Gesundes, ein physiologisch Reines; aber das Abnorme ist nicht gleich als krank oder pathologisch zu betrachten. Nur allenfalls das Monströse könnte man auf diese Seite zählen. Daher ist es in vielen Fällen nicht wohlgetan, daß man von Fehlern spricht, so wie auch das Wort Mangel andeutet, es gehe hier etwas ab: denn es kann ja auch ein Zuviel vorhanden sein oder eine Ausbildung ohne oder gegen das Gleichgewicht. Auch die Worte Mißentwicklung Mißbildung, Verkrüppelung, Verkümmerung sollte man mit Vorsicht brauchen, weil in diesem Reiche die Natur, zwar mit höchster Freiheit wirkend, sich doch von ihren Grundgesetzen nicht entfernen kann. 

Die Natur bildet normal, wenn sie unzähligen Einzelnheiten die Regel gibt, sie bestimmt und bedingt; abnorm aber sind die Erscheinungen, wenn die Einzelnheiten obsiegen und auf eine willkürliche, ja zufällig scheinende Weise sich hervortun. Weil aber beides nah zusammen verwandt und sowohl das Geregelte als Regellose von einem Geiste belebt ist, so entsteht ein Schwanken zwischen Normalem und Abnormen, weil immer Bildung und Umbildung wechselt, so daß das Abnorme normal und das Normale abnorm zu werden scheint. 

Die Gestalt eines Pflanzenteiles kann aufgehoben oder ausgelöscht sein, ohne daß wir es Mißbildung nennen möchten. Die Zentifolie heißt nicht mißgebildet, ob wir sie gleich abnorm heißen dürfen; mißgebildet aber ist die durchgewachsene Rose, weil die schöne Rosengestalt aufgehoben und die gesetzliche Beschränktheit ins Weite gelassen ist. 

Alle gefüllte Blumen rechnen wir zu den abnormen, und es ist wohl einiger Aufmerksamkeit wert, daß dergleichen Blumen sowohl fürs Auge an Schönheit als für den Geruch an Stärke und Lieblichkeit zunehmen. Die Natur überschreitet die Grenze, die sie sich selbst gesetzt hat, aber sie erreicht dadurch eine andere Vollkommenheit, deswegen wir wohltun, uns hier so spät als möglich negativer Ausdrücke zu bedienen. Die Alten sagten prodigium, monstrum: ein Wunderzeichen, bedeutungsvoll, aller Aufmerksamkeit wert, und in diesem Sinne hatte Linne seine Peloria sehr glücklich bezeichnet. 

Ich wünschte, man durchdränge sich recht von der Wahrheit: daß man keineswegs zur vollständigen Anschauung gelangen kann, wenn man nicht Normales und Abnormes immer zugleich gegeneinander schwankend und wirkend betrachtet. Einiges Einzelne in diesem Sinne möge eingeschaltet hier stehen.

Wenn Jäger (S. 7) von Mißbildung der Wurzel spricht, so erinnern wir uns dabei der gesunden Metamorphose derselben. Vor allen Dingen leuchtet ihre Identität mit Stamm und Ast in die Augen. Wir sahen über einen alten Buchenberg eine Kunststraße führen, da denn, um Fläche zu erhalten, stark abgeböscht werden mußte. Kaum hatten die uralten Wurzeln das Licht der Sonne erblickt, kaum genossen sie der belebenden Himmelsluft, als augenblicklich sie alle begrünt ein jugendlicher Busch erschienen. Auffallend war es zu sehen, obgleich das Ähnliche täglich beobachtet werden kann und jeder Gärtner, durch die in der Erde fortlaufenden, immer wieder astgleich aufwärts Zweig an Zweig treibenden Wurzeln, seine Reinigungsarbeit unausgesetzt fortzuführen genötigt, zugleich aber auf das wichtige Vermehrungsgeschäft hingewiesen wird. 

Betrachten wir nun die Gestaltsveränderung der Wurzel, so sehen wir, daß ihre gewöhnliche faserartige Bildung sich besonders durch Aufschwellen mannigfaltig verändern kann. Die Rübenform ist jedem bekannt, so auch die Gestalt der Bollen. Letztere sind aufgeschwollene, in sich selbst abgeschlossene Wurzeln, Keim neben Keim auf der Oberfläche verteilt. Dergleichen sind unsere eßbaren Kartoffeln, deren vielfache Fortpflanzungsart auf der Identität aller Teile beruht. Stengel und Zweig schlagen Wurzel, sobald man sie unter die Erde bringt, und so ins Unendliche fort. Uns ist ein anmutiger Fall vorgekommen. Auf einem Grabeland entwickelte sich zwischen den Krautpflanzen auch ein Kartoffelstock, er blieb unbeachtet, die Zweige legten sich zur Erde nieder und blieben so, von den Krautblättern beschattet, in einer feuchten Atmosphäre; im Herbst zeigten sich die Stengel aufgeschwollen zu kleinen länglichen Kartoffeln, an welchen oben noch ein kleines Blattkrönchen hervorblickte. 

Ebenso kennen wir den aufgeschwollenen Stengel über der Erde, als vorbereitendes Organ, aus welchem unmittelbar die Blüte entspringt, an den Kohlrabis; nicht weniger als vollendetes befruchtetes Organ an der Ananas. Eine stengellose Pflanze gewinnt durch bessere Nahrung einen bedeutenden Stengel. Zwischen trockenem Gestein, auf kümmerlichen besonnten Kalkfelsen, erscheint Carlina völlig acaulis; gerät sie auf einen nur wenig lockern Boden, gleich erhebt sie sich; in dem guten Gartenlande erkennt man sie nicht mehr, sie hat einen hohen Stengel gewonnen und heißt alsdann Carlina acaulis, caidescens. So nötigt uns die Natur, Bestimmungen abzuändern und nachgiebig ihr freies Wirken und Wandeln anzuerkennen. Wie man denn auch zum Ruhm der Botanik gestehen muß, daß sie mit ihrer Terminologie immer ins feinere Bewegliche nachrückt; wovon uns zufällig, in den letzten Stücken von Curtis botanischem Magazin, merkwürdige Beispiele im Augenblicke bekannt werden. 

Wenn der Stamm sich teilt, wenn die Zahl der Ecken des Stengels sich verändert, wenn eine Verbreiterung eintritt (Jäger?). 9 —20), so deuten diese drei Erscheinungen abermals dahin, daß bei organischen Gestalten mehrere gleichgebildete in, mit, neben und nach einander sich entwickeln können und müssen. Sie deuten auf Vielheit in der Einheit. 

Jedes Blatt, jedes Auge an sich hat das Recht, ein Baum zu sein; daß sie dazu nicht gelangen, bändigt sie die herrschende Gesundheit des Stengels, des Stammes. Man wiederholt nicht oft genug, daß jede Organisation mancherlei Lebendiges vereinige. Schauen wir im gegenwärtigen Falle den Stengel an, dieser ist gewöhnlich rund oder von innen aus für rund zu achten. Eben diese Runde nun hält als Einheit die Einzelnheiten der Blätter, der Augen auseinander und läßt sie, in geordneter Nachfolge, aufsteigen zu regelmäßiger Entwickelung bis zur Blüte und Frucht. Wird nun eine solche Pflanzen-Entelechie gelähmt, wo nicht aufgehoben, so verliert die Mitte ihre gesetzgebende Gewalt, die Peripherie drängt sich zusammen, und jedes Einzeln strebende übt nun sein besonderes Recht aus. 

Bei der Kaiserkrone ist der Fall häufig; ein verflachter, sehr verbreiteter Stengel scheint aus dünnen zusammengedrängten Rohrstäbchen riefenartig zu bestehen, und derselbe Fall kommt auch an Bäumen vor. Die Esche sonderlich ist dieser Abweichung unterworfen; hier drückt sich aber die Peripherie nicht gleich flach gegeneinander. Der Zweig erscheint keilförmig und verliert am scharfen Ende zuerst sein geregeltes Wachstum, indem oben an dem breiteren Teile die Holzbildung noch fortdauert. Der untere schmälere Teil wird daher zuerst vermagert, zieht sich ein, bleibt zurück, indem der obere kräftig fortwächst und noch vollkommene Zweige hervorbringt, sich aber dem ungeachtet, an jenen Kummer geschmiedet, beugt. Dadurch aber entsteht die wundersam regelmäßige Gestaltung eines bischöflichen Krummstabes, dem Künstler ein fruchtbares Vorbild. 

Merkwürdig ist diese Verbreiterung auch dadurch, daß wir sie ganz eigentlich eine Prolepse nennen dürfen; denn wir finden dabei ein übereiltes Vordringen, um Knospe, Blüte, Frucht herauszutreiben und zu bilden. Auf dem verflächten Stengel der Kaiserkrone sowie des Eisenhütleins zeigen sich weit mehr vollkommene Blumen, als der gesunde Stengel würde hervorgebracht haben. Der Krumm- Stab, welchen der verflächte Eschenzweig hervorbringt, endigt sich in unzählige Gemmen, die sich aber nicht weiter entwickeln, sondern als toter Abschluß einer verkümmerten Vegetation ausgetrocknet verharren. 

Eine solche Verflächung ist bei der Celosia cristata naturgemäß; auf dem Hahnenkamme entwickeln sich zahllose unfruchtbare Blütchen, deren jedoch einige, zunächst am Stengel, Samen bringen, welchen die Eigenschaft der Mutterpflanze einigermaßen eingeboren ist. Überhaupt finden wir, daß die Mißbildung sich immer wieder zum Gebilde hinneigt, daß die Natur keine Regel hat, von der sie nicht eine Ausnahme machen, keine Ausnahme macht, die sie nicht wieder zur Regel zurückführen könnte. 

Wollte man Teilung der Blätter (Jäger S. 30) jederzeit als Mißentwickelung ansehen, so verkürzte man sich den wahren Wert der Betrachtung. Wenn Blätter sich teilen, oder vielmehr wenn sie sich aus sich selbst zur Mannigfaltigkeit entwickeln, so ist dieses ein Streben, vollkommner zu werden, und zwar in dem Sinne, daß ein jedes Blatt ein Zweig sowie jeder Zweig ein Baum zu werden gedenkt; alle Klassen, Ordnungen und Familien haben das Recht, sich hiernach zu bemühen. 

Unter den Farrenkräutern gibt es herrlich gefiederte Blätter. Wie mächtig weiß die Palme aus dem gewöhnlich nur einblätterigen Zustand der Monokotyledonen sich loszuwinden. Welcher Pflanzenfreund kennt nicht die Entwickelung der Dattelpalme, die auch bei uns, von ihrer ersten Entfaltung an, gar wohl heranzuziehen ist; ihr erstes Blatt ist so einfach wie das des türkischen Korns, dann trennt es sich in zwei, und daß hier nicht eine bloße Zerreißung vorgehe, zeigt sich dadurch, daß unten am Einschnitt eine kleine vegetabilische Naht sich befindet, um die Zweiheit in die Einheit zusammenzuheften. Weitere Trennung geht nun vor, indem sich zugleich die Rippe vorschiebt, wodurch ein vielfach eingeschnittener Zweig gebildet wird. 

Von der Fächerpalme konnte ich die ganze Entwickelung bis zur Blüte im botanischen Garten von Padua mir zueignen, woraus ohne weiteres hervorgeht, daß hier eine gesunde, organische, geforderte, vorbereitete Metamorphose ohne Aufenthalt, Störung und falsche Richtung gewirkt habe. Besonders ist jene Nahtmerkwürdig, wodurch die vielfach auseinandergehenden, strahlend -lanzenförmigen Blätter an einem gemeinsamen Stiel zusammengeknüpft werden, wodurch denn eben die vollendete Fächerform entsteht. Dergleichen Erscheinungen wären zu künftiger bildlicher Darstellung dringend zu empfehlen. Merkwürdig vor allem sind sodann die zweigartigen Blätter der Schotengewächse, deren wundersame und mannigfaltige Ausbildung und Reizbarkeit auf die höheren Eigenschaften hindeuten, die in Wurzel, Rinde, Stamm, Blüten, Fruchthüllen und Früchten sich auf das kräftigste und heilsamste offenbaren. 

Diese Teilung der Blätter nun ist einem gewissen Gesetz unterworfen, welches durch Beispiele sich leicht vor Augen stellen, durch Worte schwer ausdrücken läßt. Das einfache Blatt trennt sich unten am Stiele nach beiden Seiten, so daß es dreifach wird, das obere dieser drei Blätter trennt sich wieder am Stiele, so daß abermals ein dreifaches entsteht und man das ganze Blatt nunmehr als fünffach ansehen muß. Zu gleicher Zeit bemerkt man schon an den beiden untern Blättern, daß sie Lust haben, sich an einer Seite und zwar an dem nach unten zu gerichteten Rand zu trennen, welches auch geschieht, und so erscheint ein siebenfaches Blatt. Diese Trennung gehet nun immer weiter, daß auch der nach oben gekehrte Rand der untern Blätter sich einschneidet und trennt, da denn ein neunfaches und immer so fort geteiltes Blatt entsteht. 

Auffallend ist diese Erscheinung am Aegopodium podagraria, wovon der Liebhaber sich sogleich die ganze Sammlung verschaffen kann; wobei jedoch zu bemerken ist, daß an schattigen und feuchten Stellen die vielfache Trennung weit häufiger ist als an sonnigen und trocknen. 

Auch der Rückschritt dieser Teilung kann vorkommen, wovon die wundersamste Erscheinung wohl sein mag, daß eine von Neuholland sich herschreibende Akazie aus dem Samen mit gefiederten Blättern aufgeht und sich nach und nach in einzelne lanzenartige Blätter verwandelt; welches also geschieht, daß der untere Teil des Blattstieles sich breit drückt und die, im Anfang noch oben verharrenden, gefiederten Teile nach und nach verschlingt. Woraus wir erkennen, daß es der Natur rück- und vorwärts auf gleiche Weise zu gehen belieben kann. 

An dem, überhaupt höchst merkwürdigen, Bryophylliim calyciniim haben wir auch bemerkt, daß die etwa halbjährige Pflanze, nachdem sie ihre Blätter in drei Teile vermannigfaltiget, im Winter wieder einfache Blätter hervorgebracht und diese Einfalt bis zum zehenden Blätterpaare fortgesetzt, da dann im hohen Sommer, eben als sie einjährig war, wieder die dreifache Teilung erschien. Es ist nun abzuwarten, wie diese Pflanze, die ihre Blätter bis zur fünffachen Teilung treibt, fernerhin verfahren werde. 

Zu dem abnormen Wachstum rechnen wir auch die durch Vorsatz oder Zufall etiolierten Pflanzen. Wenn sie, ihrer Natur zuwider, des Lichts beraubt, im Finstern aus dem Samen aufgehen, so verhalten sie sich teils wie unter der Erde fortlaufende Wurzeln, teils wie auf dem Boden fortkriechende Stolonen. In jenem Sinne bleiben sie immer weiß und streben immer zu, in diesem setzen sich zwar Augen an, aber das Auge veredelt sich nicht in der Folge, es findet keine Metamorphose statt. Größere Gewächse stocken. Einzeln ist manches künftig mitzuteilen. 

Das Abweißen ist meistens ein vorsätzliches Etiolieren der Blätter, indem man gewisse Pflanzen absichtlich zusammenbindet, wodurch das Innere, des Lichts und der Luft beraubt, widernatürliche Eigenschaften annimmt. Der Form nach schwillt die Mittelrippe sowie verhältnismäßig die Verzweigung derselben auf, das Blatt bleibt kleiner, weil die Zwischenräume der Verzweigung nicht ausgebildet werden. 

Der Farbe nach bleibt das Blatt weiß, da es der Einwirkung des Lichts beraubt war, dem Geschmack nach bleibt es süß, indem gerade die Operation, welche das Blatt ausbreitet und grün färbt, das bittere zu begünstigen scheint. Ebenso bleibt die Fiber zart, und alles dient dazu, es schmackhaft zu machen. 

Der Fall kömmt öfters vor, daß Pflanzen im Keller auswachsen. Geschieht dies z. B. an Kohlrabis, so sind die hervortreibenden Sprossen zarte weiße Stengel, begleitet von wenigen Blattspitzen, schmackhaft wie Spargel. 

Im südlichen Spanien weißt man die Palmenkronen so ab: man bindet sie zusammen, die innersten Triebe lassen sich nicht aufhalten, die Zweige nehmen zu, aber bleiben weiß. Diese werden am Palmsonntage von der höchsten Geistlichkeit getragen. In der Sixtinischen Kapelle sieht man den Papst und die Kardinäle damit geschmückt. 

Frucht in Frucht. (Jäger S. 218, eigentlich S. 221.) Nach dem Verblühen wurden im Herbst 1817 an gefüllten Mohnen kleine Mohnköpfe gefunden, welche einen völligen noch kleineren Mohnkopf in sich enthielten. Die Narbe des inneren reichte bald an die des äußeren heran, bald blieb sie entfernt dem Grunde näher. Man hat von mehreren derselben den Samen aufbewahrt, aber nicht bemerken können, daß sich diese Eigenschaft fortpflanze.

Im Jahre 1817 fand sich auf dem Acker des Adam Lorenz, Ackersmann zu Niederhausen an der Nahe, bei Kreuznach, eine wundersame Kornähre, aus welcher an jeder Seite zehn kleinere Ähren hervorsproßten. Eine Abzeichnung derselben ist uns mitgeteilt worden. 

Hier könnt ich nun noch manches Besondere, was ich zum Jägerischen Werk angemerkt, als Beispiel ferner anführen, begnüge mich jedoch, anstatt über diese Gegenstände bildlos, fragmentarisch, unzulänglich fortzuarbeiten, einen Mann zu nennen, der sich schon als denjenigen erprobt hat, der diese Rätsel endlich lösen, der uns alle freundlich nötigen könne, den rechten Weg zum Ziele bewußt einzuschlagen, auf welchem jeder treue geistreiche Beobachter halb in der Irre hin und wieder schwankt. Daß dieser Mann unser teurer Freund, der verehrte Präsident Nees von Esenbeck sei, wird, sobald ich ihn genannt, jeder deutsche Naturforscher freudig anerkennen. Er hat sich an dem Fast-Unsichtbaren, nur dem schärfsten Sinne Bemerkbaren, zuerst erprobt, sodann auf ein doppeltes, aus- einander entwickeltes Leben hingewiesen, ferner an völlig entschiedenen Geschlechtern gezeigt, wie man bei Sonderung der Arten dergestalt zu Werke gehen könne, daß eine aus der andern sich reihenweise entwickele. Geist, Kenntnisse, Talent und Stelle, alles beruft, berechtigt ihn, sich hier als Vermittler zu zeigen. 

Er feiere mit uns den Triumph der physiologen Metamorphose, er zeige sie da, wo das Ganze sich in Familien, Familien sich in Geschlechter, Geschlechter in Sippen und diese wieder in andere Mannigfaltigkeiten bis zur Individualität scheiden, sondern und umbilden. Ganz ins Unendliche geht dieses Geschäft der Natur, sie kann nicht ruhen noch beharren; aber auch nicht alles, was sie hervorbrachte, bewahren und erhalten. Haben wir doch von organischen Geschöpfen, die sich in lebendiger Fortpflanzung nicht verewigen konnten, die entschiedensten Reste. Dagegen entwickeln sich aus den Samen immer abweichende, die Verhältnisse ihrer Teile zueinander verändert bestimmende Pflanzen, wovon uns treue sorgfältige Beobachter schon manches mitgeteilt und gewiß nach und nach mehr zu Kenntnis bringen werden. 

Wie wichtig alle diese Betrachtung sei, überzeugen wir uns wiederholt zum Schlüsse, wenn wir noch einmal dahin zurückschauen, wo Familien von Familien sich sondern: denn auch da berührt sich Bildung und Mißbildung schon. Wer könnte uns verargen, wenn wir die Orchideen monströse Liliaceen nennen wollten?

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