Auf seine Direktion rückblickend hat Goethe 1825 geklagt: „Ich hatte wirklich einmal den Wahn, als sei es möglich, ein deutsches Theater zu bilden. Ja ich hatte den Wahn, als könne ich selber dazu beitragen und als könne ich zu einem solchen Bau einige Grundsteine legen. Ich schrieb meine ,Iphigenie' und meinen ,Tasso' und dachte in kindischer Hoffnung, so würde es gehen. Allein es regle sich nicht und rührte sich nicht und blieb alles wie zuvor. Hätte ich Wirkung gemacht und Beifall gefunden, so würde ich euch ein ganzes Dutzend Stücke wie die ,Iphigenie' und den ,Tasso' geschrieben haben." Seine bei Übernahme der Direktion ausgesprochene Erwartung, er werde nun alle Jahre ein paar spielbare Stücke schreiben können, ist arg enttäuscht worden. Im übrigen hat Goethe auch beim Theater stets mit den Verhältnissen gerechnet, er hat sich auch hier als Realpolitiker erwiesen. Einmal hat Kirms Bedenken, Klingemanns Trauerspiel „Die Maske" aufzuführen, denn es enthalte nichts als Diebstähle aus anderen Stücken. Goethe aber erwidert ihm Ende Juni 1797: „Ich wünsche, daß das Stück viel Geld einbringen möge. Da Geld doch alles entschuldigen soll," Vielleicht aber zeigte sich in diesem Ausspruch auch eine Rücksichtnahme auf höhere Wünsche. Klingemanns „Maske" hatte anderwärts Aufsehen gemacht — vielleicht wünschte man höheren Orts deshalb und des voraussichtlichen Erfolges wegen die Aufführung. Übrigens ist Goethe auch durchaus der Meinung, daß ein Theater Geld verdienen müsse. Shakespeare und Moliere, meint er 1825 zu Eckermann, hatten auch diese Absicht mit ihren Theatern. Und er bezeichnete nichts für das Wohl eines Theaters gefährlicher, als wenn die Direktion so gestellt ist, daß eine größere oder geringere Einnahme der Kasse sie nicht weiter berühre und sie in der sorglosen Gewißheit leben kann, daß das Fehlende aus einer anderen Quelle ersetzt wird — ein prophetisches Wort für manche Hoftheater der Gegenwart. Und er fährt fort: „Es liegt einmal in der menschlichen Natur, daß sie leicht erschlafft, wenn persönliche Vorteile oder Nachteile sie nicht nötigen. Nun ist zwar nicht zu verlangen, daß ein Theater in einer Stadt wie Weimar sich selbst erhalten solle und daß kein jährlicher Zuschuß aus der fürstlichen Kasse nötig sei. Allein es hat doch alles sein Ziel und seine Grenze, und einige tausend Taler jährlich mehr oder weniger sind doch keineswegs eine gleichgültige Sache, besonders da die geringere Einnahme und das Schlechterwerden des Theaters natürliche Gefährten sind, und also nicht bloß das Geld verloren geht, sondern die Ehre zugleich."
Nach diesen Grundsätzen hat der Theaterdirektor Goethe stets gehandelt, seitdem er mit seinen sechzehn Schauspielern und einem herzoglichen Zuschuß, der für die Zeit vom 7. Mai bis 25. September 1791 nur 1098 Taler betrug, das Theater eröffnet hat. Er erkannte sofort, daß Weimar allein das Theater nicht halten könnte. Darum gab er für die Weimarer zunächst nur vierzehn Vorstellungen, schloß am 7. Juni das Hoftheater und sandte sein ganzes Personal und alle erforderlichen Requisiten nach dem damals berühmten Luxus- und Modebade Lauchstädt. Dort wurde vom 13. Juni bis 14. August an vierzig Abenden gespielt. An diesen vierzig Spieltagen ist nach Burckhardts Berechnung ebensoviel eingenommen worden, als in Weimar bei hundert Vorstellungen möglich gewesen wäre. Vom 19. August bis 25. September wurde dann in Erfurt gastiert. — Diese Gastspielfahrten wurden auch später wiederholt — außer den genannten Orten hat die Weimarer Truppe in Rudolstadt, Naumburg, Leipzig und Halle gastiert. 1815 schreibt Goethe an Voigt: „Das ganze finanzielle Geheimniß, wodurch wir bisher unser Institut erhielten, war, daß wir Sommers auswärts mehr einnahmen, als wir brauchten und damit den hiesigen Herbst, wohl auch einen Theil des Winters übertrugen." Sonderbar berührt es uns heute, wenn Goethe in einem Briefe vom 30, Juli 1796 sich mit Schiller über die Xenien unterhält, sowie über seine Beobachtungen von Pflanzen und Insekten und dann hinzufügt; „Da in Rudolstadt Vogelschießen ist, so geht unsere Schauspielergesellschaft dahin." Aber durch Ausnutzung jeder günstigen Gelegenheit, durch diese geschäftskundige Vorbereitung der Gastspiele, für die das Repertoire zumeist in Weimar schon völlig einstudiert worden, hat Goethe es erreicht, daß in seiner Hoftheaterverwaltung niemals ein Defizit vorkam. Freilich mußte in jeder Beziehung sehr gespart werden. Wie Goethe 1820 einmal klagte, war bei der kleinen Weimarer Bühne die Phantasie des Anordnens überall durch knappen Raum beschränkt gewesen. Er hatte mit einem Dutzend Soldaten große Schlachten und Volksszenen mit „gewendeten und umgeflickten" Gewändern neue Kostüme, mit einer vorhandenen vaterländischen Walddekoration die Pracht einer tropischen Vegetation darstellen müssen. Einmal wollte Vohs, der gefeierte erste Darsteller des Max Piccolomini, gern den Grafen Essex spielen — da gab es erst lange Beratungen zwischen Goethe und seinem noch sparsameren Kirms über das Kostüm der Elisabeth, die Madame Vohs spielen sollte. Schließlich meldet Kirms an Vohs folgendes Ergebnis der Beratung: „Wenn unter den vorräthigen Mänteln kein brauchbarer sey (welches jedoch zu wünschen wäre), so soll für Madame Vohs einer gekauft werden; ein neues Kleid aber zu kaufen, komme zu hoch. Vielleicht könne sie sich des weißatlassenen Kleides von Maria Stuart bedienen, oder ich soll das in der Garderobe befindliche weißatlassene Kleid, wovon Demoiselle Jagemann neulich den Rock angehabt, zu rechte machen lassen . . ." Die weitgehenden Sparsamkeitsgelüste des behutsamen Kirms haben mitunter, so besonders in dem Falle des Ehepaars Wolff, etwas gar Kleinliches und Verletzendes. Aber es darf nicht übersehen werden, daß gespart werden mußte und Goethe selbst Opfer brachte: „Ich hatte keinen Heller für meine Direktion, ich wendete noch viel Geld daran, die Akteurs herauszufüttern."
Mitunter konnte in schwierigen Kostümnöten auch durch den Hof geholfen werden, der einigemal ausrangierte Kleider willig überlassen hat. Sehr schwierige Aufgaben in bezug auf die Ausstattung stellte der Krönungszug in der „Jungfrau von Orleans" — da mußten nun doch Anschaffungen gemacht werden. Kirms besorgte zu den vorhandenen schmalen Gold- und Silbertressen pappene Helme und Rüstungen, die mit „Gold-und Silberzindel" überzogen wurden. Für den Krönungsmantel aber wollte er nur eine alte blauseidene Gardine hergeben. Goethe und Schiller setzten es aber bei ihm endlich durch, daß ein roter Mantel von unechtem Sammet angeschafft wurde — er erbte sich, wie Genast („Aus dem Tagebuche eines alten Schauspielers") erzählt, von König zu König fort, wie in früheren Zeiten das Brautkleid einer Großmutter. Diese sehr weitgehende Sparsamkeit hat aber, wie anerkannt werden muß, reiche Früchte getragen — Franz Kirms war ein vorzüghcher Theatergeschäftsmann und es ist sein Verdienst, daß nach der Schlacht bei Jena das Weimarer Hoftheater nicht gefährdet wurde. Finanzminister v. Voigt hatte erklärt, die Staatskasse sei erschöpft und könne jetzt keinen Zuschuß für das Theater geben, und darum beantragte er die Aufhebung des Theaters. Kirms, damals bereits Geheimer Hofrat, wies nach, daß das Theater keines Zuschusses von der Kammerkasse mehr bedürfe und sich halten könne, auch wenn es Monate lang geschlossen bleiben müsse. Daraufhin blieb dann jeder Schauspieler unangefochten in seiner Stellung. Auch sonst erwies sich Kirms den Schauspielern gefällig. Goethe rühmt einmal, daß Kirms der „kleinen Götzin", einer Anfängerin „bey dem Juden und Schuster Kredit gemacht" habe.
Die Garderobenfrage war übrigens allmählich dahin geregelt worden, daß jeder Darsteller erster Fächer, ebenso die Damen, ein jährliches Garderobengeld von fünfzig Talern erhielten. Die Gagenverhältnisse waren keineswegs glänzend — nach Genasts Mitteilungen betrug in den ersten Jahren der Goetheschen Direktion die höchste für Schau-und Singspiel wöchentlich acht bis neun Taler. Malcolmi mit seinen drei Töchtern (die jüngste ist später, in dritter Ehe, die Gattin von Pius Alexander Wolf geworden) erhielt wöchentlich zehn Taler — dafür spielte er den Oberförster in den „Jägern", sang den Sarastro in der „Zauberflöte" und seine beiden älteren Töchter waren als Soubretten-Liebhaberinnen tätig. Freilich bemerkt Genast, ein sparsamer Mann habe bei solch geringer Gage anständig leben können: er selbst zahlte in einer Famlie für Logis, Frühstück, Mittagessen und Bedienung wöchentlich 1,5 Taler. Uebrigens gab es bei den zahlreichen Gastspielfahrten der Truppe auch Reisediäten — sie betrugen für jeden „Ackteur" 19,5 Groschen täglich. Später wurden natürlich höhere Gagen gezahlt, aber auch da hat es Unzelmann nicht über achthundert, Wolf und Frau zusammen nicht über vierzehnhundert Taler gebracht. Da gab es dann natürlich oft Mißhelligkeiten und Verstimmungen, besonders wenn die Schauspieler sich nach böswilligen Kritiken in Kotzebues „Freymüthigem" usw. auch noch gekränkt fühlten. Regisseur Becker beklagte sich bei Kirms (August 1804) bitter über die „Elegante Zeitung-", „wo wir alle als Don Carlos, Philipp, Posa, Moor etc. und ich als Sperling aufgestellt sind." Und besonders schmerzte ihn, daß das Weimarer Publikum auf seiten seiner Angreifer stehe, während das Publikum in Leipzig und Berlin es allemal mit den Schauspielern halte. Und da kommt dann zum Schluß des Briefes das Bekenntnis, das damals wohl auch von mehreren Kollegen Beckers empfunden sein dürfte: „Ja, wenn nicht Goethe und Schiller, und Sie Heber Herr Hofkammerrath am Ruder ständen, so wäre ich auch der erste, der sich mit fort machte, denn was soll einen halten in Weimar, keine großen Gagen gibt es nicht, gesellschaftlich sind die Menschen auch nicht, Armuth auf allen Ecken, wo man hinkuckt, ein Enthusiasmus ist auch nicht da, wie selten wird man trotz aller Anstrengung nur im geringsten dafür gedankt, und was hat der Schauspieler sonst, das bischen Gage geht an Kleider und nothdürftiges Essen und Trinken drauf, ach Gott es ist ein erbärmliches Leben."
Um zu zeigen, wie Goethe erzieherisch auch auf Publikum zu wirken hatte, nicht nur literarisch und künstlerisch, sondern auch gesellschaftlich, und mit wie viel verstimmenden, ärgerlichen Aeußerlichkeiten er zu kämpfen hatte, soll einiges Charakteristische hervorgehoben werden. Nicht aus unkontrollierbaren Anekdoten, sondern aus eigenen Kundgebungen Goethes. Am 9. Juni 1797 beklagte er sich in einem Briefe aus Jena bei Kirms über einige in seiner Abwesenheit vorgefallene Unarten — Christiane hatte ihm berichtet, daß in der Aufführung der „Jesuiten" die Jenaer Studenten „gespeckdakelt, gebocht und gedrommelt" hätten, so daß sie das Theater nach dem dritten Akte verlassen hätte. Goethe erklärt nun:
„Wenn man die Menge in Ruhe halten will, so muß man die erste Unart nicht leiden. Gleich beym Eintritt sollte jeder genöthigt werden, den Hut abzuziehen, damit er erinnert würde, daß er vor dem Orte Achtung schuldig sey. Ich habe bey übervollem Hause als Iffland's Spiel in den Räubern erwartet wurde, mit ein paar ernsten und derben Worten den Tumult im ersten Augenblick zum Schweigen gebracht, hätte ich nicht den Entschluß gefaßt, damals gleich bey der mindesten Bewegung dreinzufahren, so würde jene Aufführung gewiß eine der unruhigsten gewesen seyn."
Ein andermal (24. Februar 1798) rügt er, daß die Studenten, besonders auf der rechten Seite, die Wache geneckt „und die Hüte bald abgetan, bald aufgfesetzt, auch fingen sie zu trommeln an, das man absolut nicht leiden kann". Goethe hat wiederholt „mit ein paar ernsten und derben Worten" eingreifen müssen. Es ist bekannt, daß bei den Vorstellungen der „Räuber" die Studenten gewisse Privilegien besaßen — einmal aber hatten mehrere von ihnen sich die Röcke ausgezogen, die Bierflaschen machten die Runde, es wurde geraucht und gesungen. Da erhob sich Goethe in seiner Loge und rief donnernd in das Parterre: „Man vergesse nicht, wo man ist". Dieser Zuruf genügte natürlich, um die studentischen Ausschreitungen zu beseitigen. Ein andermal, am 29. Mai 1802, als bei der Aufführung von Friedrich Schlegels „Alarcos" das Publikum in Gelächter ausbrach, sprang Goethe auf und rief mit Donnerstimme: „Man lache nicht." — Kotzebue erzählt in seinem „Freimütigen" den Vorgang in sehr hämischer Weise. Abeken berichtet, daß, als einmal der Hof sich verspätet hatte und man mit dem Beginn der Vorstellung zögerte, das Publikum, besonders jenaische Studenten, laut ihre Ungeduld kundgaben. Da erhob sich Goethe von seinem Sitz und rief mit mächtiger Stimme: „Wird's bald still?" Und mäuschenstill ward's allsogleich. Es ist von mehreren Seiten geschildert worden, wie Goethe während der Vorstellungen, die ihn interessierten, mitten im Parterre saß, wie sein gewaltiger Blick den Kreis um ihn her beherrschte und lenkte und die Mißvergnügten im Zaum hielt. Für die Disziplin, in der die Theaterbesucher gehalten wurden, ist besonders bezeichnend die Art, wie ein ganz harmloses Vorkommnis von Goethe gerügt wurde. Der junge Dr. Schütz, der Sohn des bekannten Literaturleitungs- Schütz, hatte nach der ersten Aufführung der „Braut von Messina" am 19. März 1803 einen Vivatruf auf Schiller ausgebracht, in den die Jenaer Studenten und ein großer Teil des Publikums mit eingestimmt hatten. Goethe forderte hierauf den Kommandanten v. Hendrich in Jena auf, er solle „gedachten Doctor Schütz vor sich kommen lassen, um von ihm zu vernehmen, wie er als ein Eingeborner, dem die Sitten des hiesigen Schauspielhauses bekannt sein mußten, sich eine solche Unregelmäßigkeit habe erlauben können?" Außerdem aber erhielt der Kommandant den Auftrag „im Nahmen Serenissimi, Herrn Hofrath Schütz zu erkennen zu geben: Höchstdieselben hätten sich von ihm versprochen, daß sein Sohn besser gezogen seyn würde" . . , Daß der uns überaus harmlos erscheinende Vorfall zu einer solchen Staatsaktion aufgebauscht wird, betrachten wir heute als kurios — aber daß Goethe so vorgehen zu müssen geglaubt hat, ist doch sehr bezeichnend für die damaligen Theaterzustände. Goethe benutzt denn auch diese Gelegenheit, um den Kommandanten von Jena, ersichtlich im Hinblick auf die Herren Studenten, prinzipiell zu belehren:
Bey uns kann kein Zeichen der Ungeduld Statt finden, das Mißfallen kann sich nur durch Schweigen, der Beyfall nur durch Applaudiren bemerklich machen, kein Schauspieler kann herausgerufen, keine Arie zum zweytenmal gefordert werden. Alles was den gelaßnen Gang des Ganzen, von Eröffnung des Hauses bis zum Verschluß, auf irgend eine Weise, stören möchte, ist bisher unterblieben und darf auch in der Folge nicht Statt finden.
Wobey ich noch die Bemerkung hinzuzufügen habe, daß die Wache, nach der schon lange bestehenden Einrichtung, höhere, nunmehr wiederholte Ordre hat, jeder ungewöhnlichen Bewegung nachdrücklich zu steuern. Deßwegen die Vorsteher eines, ohnehin dornenreichen Geschäftes, nichts lebhafter wünschen müssen, als daß ein, durch Geist, Mühe, Sorgfalt und Aufwand vorbereitetes öffentliches Vergnügen nicht in die unangenehmsten Ereignisse und Weiterungen übergehen möge.
Es darf überhaupt nicht übersehen werden, laß Goethe seine Theaterdirektion durchaus im Rahmen seiner Gesamttätigkeit als höchster Beamter auffaßte, daß er das Hoftheater als ein Glied in der Kette der herzoglichen Veranstaltungen für Kunst und Wissenschaften betrachtet sehen wollte, und die Theaterleitung gewissermaßen als eine Regierungsbetätigung-, die Respekt beanspruchen durfte. Er vertrat diesen Standpunkt mit der Entschiedenheit des Despotismus, wenn es auch ein aufgeklärter Despotismus war. Er glaubte, wie er am 13. Januar 1802 an Wieland schreibt, bei einer Anstalt, die im Auftrage von seinem Fürsten mit so vieler Aufopferung verwalte, wenigstens eine schickliche Behandlung von seinen Mitbürgern erwarten zu dürfen. Diesen Brief schrieb er an Wieland, um ihn zu ersuchen, keine Besprechung von Böttiger über die Aufführung von A. W. Schlegels „Jon" in den .Deutschen Merkur" aufzunehmen — „ich wünschte nicht, daß er den Merkur zum Gefäß seiner Unreinigkeiten ersehe". Böttiger „Herr Ueberall", „Herr Ubique", wie ihn Goethe nannte — war Theaterreferent von Bertuchs .Journal des Luxus und der Moden". Nun meldet Goethe seinem alten Wieland, daß Böttiger, „dieser Tigeraffe", bei der Vorstellung' im Parterre herumgerannt sei, „durch pedantische Anmerkungen den Genuß einer Darstellung", wie sie Weimar noch nicht gehabt hat, zu stören." Da ihm dies nicht gelang", so schob er eine Anzeige davon in das Modejournal ein, welche „für die Direction äußerst beleidigend". Goethe hatte von dieser beabsichtigten Anzeige gehört und ließ sich den Artikel von Bertuch schicken — nachdem er ihn gelesen, ersuchte er Bertuch, den Aufsatz nicht in sein Journal aufzunehmen — andernfalls wollte Goethe sofort zum Herzog gehen und alles auf die Spitze setzen: „denn ich will entweder von dem Geschäft sogleich entbunden oder für die Zukunft vor solchen Infamien gesichert sein." Der Artikel erschien natürlich nicht. In den „Tag- und Jahresheften" 1802 erzählt Goethe, daß ein den Autor und die Intendanz angreifender Aufsatz über „Jon" in das Modejournal projektiert, aber ernst und kräftig zurückgewiesen worden, und fügt den für seine Auffassung so bezeichnenden Ausspruch hinzu: „Denn es war noch nicht Grundsatz, daß in demselbigen Staat, in derselbigen Stadt es irgend einem Glied erlaubt sei, das zu zerstören, was andere kurz vorher aufgebaut hatten."
Von der Aufführung des Schlegelschen nach Euripides gearbeiteten „Jon", von dem Herders Gattin zu Knebel äußerte, daß ein schamloseres, frecheres, sittenverderbenderes Stück noch nicht gegeben sei, hatte Schiller entschieden abgeraten. Auch war zu erwarten, daß die von den Gebrüder Schlegel beleidigte starke Kotzebue-Partei der Vorstellung Opposition bereiten würde — es trat auch „ein Oppositionsversuch unbescheiden hervor", berichtet Goethe. Aber von derlei Rücksichten hat sich der Theaterdirektor Goethe niemals beeinflussen lassen, — nur zur Franzosenzeit hat er darauf Bedacht genommen, daß nichts aufgeführt wurde, was den französischen Gesandten oder die Offiziere verletzen könnte. Das war eine Rücksichtnahme nicht des Theaterdirektors, sondern des Politikers. Das Publikum aber hat der Theaterdirektor, wiewohl er natürlich finanziell Rücksicht auf dessen Geschmack mitunter nehmen mußte, niemals überschätzt — er hat darüber gelächelt „daß es hernach urteilt, wozu es vorher doch keinen Rat gegeben hat und geben kann, selbst wenn der Autor es beirätig machen wolle." Er teilte auch nicht den heute üblichen Hoftheaterstandpunkt der Rücksichtnahme auf die jungen Mädchen. „Was tun unsere jungen Mädchen im Theater? Das Theater ist blos für Männer und Frauen, die mit menschlichen Dingen bekannt sind." Den Theaterbesuchertypus aber, den Fontane die ,,Madams im ersten Rang" genannt hat und vor dem er für die Aufnahme der ersten Hauptmann-Dichtungen Befürchtungen hegte, hat Goethe noch nicht gekannt. Er wollte ein Theater für reife Menschen. Einen Schritt weiter noch ging Schiller, dem so etwas wie eine „Freie Bühne" vorgeschwebt zu haben scheint — wie Goethe einmal Eckermann erzählt, hatte Schiller den Gedanken, jede Woche ein Stück bloß für Männer zu geben, aber „das war in unsern kleinen Verhältnissen nicht zu realisieren." Im ganzen ist auch der Theaterleiter Goethe zu der Erkenntnis gekommen: „Das Theater wird so wie die übrige Welt durch herrschende Moden geplagt, die es von Zeit zu Zeit überströmen und dann wieder seicht lassen. Die Mode bewirkt eine augenblickliche Gewöhnung an irgend eine Art und Weise, der wir lebhaft nachhängen, um sie alsdann auf ewig zu verbannen.
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