> Gedichte und Zitate für alle: J.W.v.Goethe: Gedichte letzter Hand- Lieder: Bergschloß (70)

2020-06-29

J.W.v.Goethe: Gedichte letzter Hand- Lieder: Bergschloß (70)

Goethe Gedichte



Bergschloß 

Da droben auf jenem Berge, 
Da steht ein altes Schloß, 
Wo hinter Toren und Türen 
Sonst lauerten Ritter und Roß. 

Verbrannt sind Türen und Tore, 
Und überall ist es so still; 
Das alte, verfallne Gemäuer 
Durchklettr' ich, wie ich nur will. 

Hierneben lag ein Keller, 
So voll von köstlichem Wein; 
Nun steiget nicht mehr mit Krügen 
Die Kellnerin heiter hinein. 

Sie setzt den Gästen im Saale 
Nicht mehr die Becher umher, 
Sie füllt zum heiligen Mahle 
Dem Pfaffen das Fläschchen nicht mehr. 

Sie reicht dem lüsternen Knappen 
Nicht mehr auf dem Gange den Trank 
Und nimmt für flüchtige Gabe 
Nicht mehr den flüchtigen Dank. 

Denn alle Balken und Decken, 
Sie sind schon lange verbrannt, 
Und Trepp und Gang und Kapelle 
In Schutt und Trümmer verwandt. 

Doch als mit Zither und Flasche 
Nach diesen felsigen Höhn 
Ich an dem heitersten Tage 
Mein Liebchen steigen gesehn, 

Da drängte sich frohes Behagen 
Hervor aus verödeter Ruh, 
Da ging's wie in alten Tagen 
Recht feierlich wieder zu. 

Als wären für stattliche Gäste 
Die weitesten Räume bereit, 
Als käm ein Pärchen gegangen 
Aus jener tüchtigen Zeit. 

Als stünd in seiner Kapelle 
Der würdige Pfaffe schon da 
Und fragte: Wollt ihr einander? 
Wir aber lächelten: Ja! 

Und tief bewegten Gesänge 
Des Herzens innigsten Grund, 
Es zeugte statt der Menge 
Der Echo schallender Mund. 

Und als sich gegen den Abend 
Im stillen alles verlor, 
Da blickte die glühende Sonne 
Zum schroffen Gipfel empor. 

Und Knapp und Kellnerin glänzen 
Als Herren weit und breit; 
Sie nimmt sich zum Kredenzen 
Und er zum Danke sich Zeit. 

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