> Gedichte und Zitate für alle: J.W.v.Goethe: Nachlese: Chinesisch deutsche Jahres - und - Tageszeiten (83)

2020-08-20

J.W.v.Goethe: Nachlese: Chinesisch deutsche Jahres - und - Tageszeiten (83)

 


     
     
                  Chinesisch deutsche Jahres - und -  Tageszeiten                   
         
   I 
Sag, was könnt uns Mandarinen, 
Satt zu herrschen, müd zu dienen, 
Sag, was könnt uns übrigbleiben, 
Als in solchen Frühlingstagen 
Uns des Nordens zu entschlagen 
Und am Wasser und im Grünen 
Fröhlich trinken, geistig schreiben, 
Schal auf Schale, Zug in Zügen. 

II 
Weiß wie Lilien, reine Kerzen, 
Sternen gleich, bescheidner Beugung, 
Leuchtet aus dem Mittelherzen 
Rot gesäumt die Glut der Neigung. 

So frühzeitige Narzissen 
Blühen reihenweis im Garten. 
Mögen wohl die guten wissen, 
Wen sie so spaliert erwarten. 

III 
Ziehn die Schafe von der Wiese, 
Liegt sie da, ein reines Grün, 
Aber bald zum Paradiese 
Wird sie bunt geblümt erblühn. 

Hoffnung breitet lichte Schleier 
Nebelhaft vor unsern Blick: 
Wunscherfüllung, Sonnenfeier, 
Wolkenteilung bring uns Glück. 

 IV 
Der Pfau schreit häßlich, aber sein Geschrei 
Erinnert mich ans himmlische Gefieder; 
So ist mir auch sein Schreien nicht zuwider. 
Mit indischen Gänsen ist's nicht gleicherlei, 
Sie zu erdulden, ist unmöglich: 
Die häßlichen, sie schreien unerträglich. 

Entwickle deiner Lüste Glanz 
Der Abendsonne goldnen Strahlen, 
Laß deines Schweifes Rad und Kranz 
Kühn äugelnd ihr entgegenprahlen. 
     - 
Sie forscht, wo es im Grünen blüht, 
Im Garten, überwölbt vom Blauen; 
Ein Liebespaar, wo sie's ersieht, 
Glaubt sie das Herrlichste zu schauen. 

 VI 
Der Guckuck wie die Nachtigall, 
Sie möchten den Frühling fesseln, 
Doch drängt der Sommer schon überall 
Mit Disteln und mit Nesseln. 
Auch mir hat er das leichte Laub 
An jenem Baum verdichtet, 
Durch das ich sonst zu schönstem Raub 
Den Liebesblick gerichtet; 
Verdeckt ist mir das bunte Dach, 
Die Gitter und die Pfosten; 
Wohin mein Auge spähend brach, 
Dort ewig bleibt mein Osten. 

 VII 
War schöner als der schönste Tag, 
Drum muß man mir verzeihen, 
Daß ich sie nicht vergessen mag, 
Am wenigsten im Freien. 
Im Garten war's, sie kam heran, 
Mir ihre Gunst zu zeigen; 
Das fühl ich noch und denke dran 
Und bleib ihr ganz zu eigen. 

 VIII 
Dämmrung senkte sich von oben, 
Schon ist alle Nähe fern; 
Doch zuerst emporgehoben 
Holden Lichts der Abendstern! 
Alles schwankt ins Ungewisse, 
Nebel schleichen in die Höh; 
Schwarzvertiefte Finsternisse 
Widerspiegelnd ruht der See. 

Nun im östlichen Bereiche 
Ahn ich Mondenglanz und - glut, 
Schlanker Weiden Haargezweige 
Scherzen auf der nächsten Flut. 
Durch bewegter Schatten Spiele 
Zittert Lunas Zauberschein, 
Und durchs Auge schleicht die Kühle 
Sänftigend ins Herz hinein. 


IX 
Nun weiß man erst, was Rosenknospe sei, 
Jetzt, da die Rosenzeit vorbei; 
Ein Spätling noch am Stocke glänzt 
Und ganz allein die Blumenwelt ergänzt. 


Als Allerschönste bist du anerkannt, 
Bist Königin des Blumenreichs genannt; 
Unwidersprechlich allgemeines Zeugnis, 
Streitsucht verbannend, wundersam Ereignis! 
Du bist es also, bist kein bloßer Schein, 
In dir trifft Schaun und Glauben überein; 
Doch Forschung strebt und ringt, ermüdend nie, 
Nach dem Gesetz, dem Grund, Warum und Wie 
                   
XI 
»Mich ängstigt das Verfängliche 
Im widrigen Geschwätz, 
Wo nichts verharre, alles flieht, 
Wo schon verschwunden, was man sieht; 
Und mich umfängt das bängliche, 
Das graugestrickte Netz.« 
                          
Getrost! Das Unvergängliche, 
Es ist das ewige Gesetz, 
Wonach die Ros und Lilie blüht. 

XII 
»Hingesunken alten Träumen, 
Buhlst mit Rosen, sprichst mit Bäumen 
Statt der Mädchen, statt der Weisen; 
Können das nicht löblich preisen. 
Kommen deshalb die Gesellen, 
Sich zur Seite dir zu stellen, 
Finden, dir und uns zu dienen, 
Pinsel, Farbe, Wein im Grünen.« 

XIII 
Die stille Freude wollt ihr stören? 
Laßt mich bei meinem Becher Wein; 
Mit andern kann man sich belehren, 
Begeistert wird man nur allein. 

XIV 
Nun denn! Eh wir von hinnen eilen, 
Hast noch was Kluges mitzuteilen?« 
Sehnsucht ins Ferne, Künftige zu beschwichtigen, 
Beschäftige dich hier und heut im Tüchtigen. 















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