> Gedichte und Zitate für alle: J.W.v.Goethe: Nachlese: Ein zärtlich jugendlicher Kummer (46)

2020-08-08

J.W.v.Goethe: Nachlese: Ein zärtlich jugendlicher Kummer (46)




      

Ein zärtlich jugendlicher Kummer

Ein zärtlich jugendlicher Kummer 
Führt mich ins öde Feld; es liegt 
In einem stillen Morgenschlummer 
Die Mutter Erde. Rauschend wiegt 
Ein kalter Wind die starren Äste. Schauernd 
Tönt er die Melodie zu meinem Lied voll Schmerz, 
Und die Natur ist ängstlich still und trauernd, 
Doch hoffnungsvoller als mein Herz. 

Denn sieh, bald gaukelt dir, mit Rosenkränzen 
In runder Hand, du Sonnengott, das Zwillingspaar 
Mit offnem blauen Aug, mit krausem goldnen Haar 
In deiner Laufbahn dir entgegen. Und zu Tänzen 
Auf neuen Wiesen schickt 
Der Jüngling sich und schmückt 
Den Hut mit Bändern, und das Mädchen pflückt 
Die Veilchen aus dem jungen Gras, und bückend sieht 
Sie heimlich nach dem Busen, sieht mit Seelenfreude 
Entfalteter und reizender ihn heute, 
Als er vorm Jahr am Maienfest geblüht, 
Und fühlt und hofft. 
   Gott segne mir den Mann 
In seinem Garten dort! Wie zeitig fängt er an, 
Ein lockres Bett dem Samen zu bereiten! 
Kaum riß der März das Schneegewand 
Dem Winter von den hagern Seiten, 
Der stürmend floh und hinter sich aufs Land 
Den Nebelschleier warf, der Fluß und Au 
Und Berg in kaltes Grau 
Versteckt, da geht er ohne Säumen, 
Die Seele voll von Ernteträumen, 
Und sät und hofft. 

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