> Gedichte und Zitate für alle: J.W.v.Goethe: Nachlese: An Psyche (47)

2020-08-09

J.W.v.Goethe: Nachlese: An Psyche (47)




      

An Psyche 

Veilchen bring ich getragen, 
Junge Blüten zu dir, 
Daß ich dein moosig Haupt 
Ringsum bekränze, 
Ringsum dich weihe, 
Felsen des Tals. 

  Sei du mir heilig! 
  Sei den Geliebten 
  Lieber als andre 
  Felsen des Tals! 

  Ich sah von dir 
  Der Freunde Seligkeit, 
  Verbunden Edle 
  Mit ew'gem Band. 

  Ich irrer Wandrer 
  Fühlt erst auf dir 
  Besitztumsfreuden 
  Und Heimatsglück. 

  Da, wo wir lieben, 
  Ist Vaterland; 
  Wo wir genießen, 
  Ist Hof und Haus. 

  Schrieb meinen Namen 
  An deine Stirn; 
  Du bist mir eigen, 
  Mir Ruhesitz. 

  Und aus dem fernen 
  Unlieben Land 
  Mein Geist wird wandern 
  Und ruhn auf dir. 

  Sei du mir heilig, 
  Sei den Geliebten 
  Lieber als andre 
  Felsen des Tals! 

Ich sehe sie versammelt 
Dort unten um den Teich; 
Sie tanzen einen Reihen 
Im Sommerabendrot; 
Und warme Jugendfreude 
Webt in dem Abendrot. 

Sie drücken sich die Hände 
Und glühn einander an. 
Und aus den Reihn verlieret 
Sich Psyche zwischen Felsen 
Und Sträuchen weg, und traurend 
Um den Abwesenden, 
Lehnt sie sich über den Fels. 
Wo meine Brust hier ruht, 
An das Moos mit innigem 
Liebesgefühl sich Atmend drängt, 
Ruhst du vielleicht dann, Psyche. 
Trübe blickt dein Aug 
In den Bach hinab, 
Und eine Träne quillt 
Vorbeigequollnen Freuden nach; 
Hebst dann zum Himmel 
Dein bittend Aug, 
Erblickest über dir 
Da meinen Namen. 
- Auch der - 
Nimm des verlebten Tages Zier, 
Die bald welke Rose, von deinem Busen, 
Streu die freundlichen Blätter 
Übers düstre Moos, 
Ein Opfer der Zukunft! 


Keine Kommentare: