K.v.Müller-Unterhaltungen m. Goethe: 14.Dezember 1808 (1)
1808, 14. December. (1)
war ich bei Goethe. »Ich studire,« sprach er, »jetzt die ältere französische Literatur ganz gründlich wieder, um ein ernstes Wort mit den Franzosen reden zu können. Welche unendliche Cultur,« rief er, »ist schon an ihnen vorübergegangen zu einer Zeit, wo wir Deutsche noch ungeschlachte Bursche waren. Deutschland ist nichts, aber jeder einzelne Deutsche ist viel, und doch bilden sich letztere gerade das Umgekehrte ein.Verpflanzt und zerstreut wie die Juden in alle Welt müssen die Deutschen werden, um die Masse des Guten ganz und zum Heile aller Nationen zu entwickeln, die in ihnen liegt.« Hierauf kam er auf J. H. Voß zu sprechen, dessen Charakter sich erst später »versteinert« habe. »Für seine Angriffe in der Recension über ›des Knaben Wunderhorn‹(2) will ich ihn auch noch einst auf den Blocksberg citiren.«(3)Zum Behufe der geschichtlichen Ausarbeitung über die Farbenlehre studirte Goethe die Zeitgeschichte aller einschlagenden großen Schriftsteller. Wie er jene ansah, davon gab er mir eine Probe durch die Einleitung zu Roger Baco's Leben (geb. 1214). »Auf so heiterm Grunde,« setzte er hinzu, »lasse ich nun die Figur selbst hervortreten. Welch eine Welt von Herrlichkeit liegt in den Wissenschaften! Wie immer reich erfindet man sie! Wie viel Klügeres, Größeres, Edleres hat gelebt, und wir Zeitlinge bilden uns ein, allein klug zu sein. Ein Volk, das ein ›Morgenblatt‹, eine ›elegante Zeitung‹, einen ›Freimüthigen‹ hat, ist schon rein verloren. Wie hundertmal besser ist die so verschrieene Romanlectüre, die doch eine ungeheuer weite, wenngleich nicht solide Bildung hervorgebracht hat!«
1. Müller wurde durch H.Meyer 1801 am 13 September bei Goethe einzuführen gesucht. Letzterer war nicht Zuhause. Meyer zeigte nur einige Goethische Zimmer, einige Zeichnungen von sich Und das Goethische Bild von Bury, welches auf Müller einen gewaltigen Eindruck machte.
Am 21.September lernte dieser Goethe kennen. Müller notiert über diese erste Zusammenkunft nur: Goethe spricht sehr ruhig und gelassen, wie etwa ein bedächtiger, kluger Kaufmann; sein Aug ist scharf; er war recht artig und gesprächig.Da die Tagebücher Müller von 1803—5 fehlen, und von der Zeit an Müller meist auswärts politisch tätig war (vergl. "Müllers Denkwürdigkeiten"), so können wir leider die Müllerische Zusammenstellung seiner Gespräche nicht in gewünschter Weise ergänzen.
Die Daten 1808 8.März und 30. März beurkunden nur ein Zusammensein mit Goethe bei Geh-Rat Voigt und bei Schoppenhauer. In letzteren Zirkel war Goethe theilnehmend und mittheilend, beschrieb Carlsbad, und kam auf die großen Oceane zu sprechen, deren sehr kleine Breite man auf 3-400 Schritte berechnet habe. Von Schröder behauptet er, das er ein wahrer Künstler sei, weil er so viele Kunststücke gemacht und in höchst tragischen Momenten verrückter Späße fähig gewesen sei. Ohne Gemüth sei keine Kunst denkbar.
Dann finden wir Goethe mit Müller 1808 am 12. und 14. Juli bei einer Konferenz in Liebenstein zusammen, wo Goethe sich, "lebhaft für einen Erdfall interessierte".
2. v. Achim von Arnim und Brentano, Heidelberg 1806-08 2.Auflage 1819. Die Rezension von Voß steht im Morgenblatt von 1808 Nr. 283 und 284
3. Düntzer, aus Goethes Freundes Kreisen 1868, J.H.Voß berührt dieses Verhältnis nicht.
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