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2020-10-19

Gedichte von F.Wedekind: Das Eisenbahnverbot (12)

  




Das Eisenbahnverbot

Der „Kreuzzeitung“ gewidmet

Wohl birgt das Dasein viel Ach und Weh,
Wohl hat diese Welt ihre Fehler,
Doch wenn ich mein liebes Deutschland beseh,
Dann erscheint es mir täglich fideler.

Die Jungfrau Germania in ihrer Pracht,
Sie hat sich verlobt, wie ich glaube.
Bald wird sie nun unter die Haube gebracht,
Und zwar unter die Pickelhaube.

Einem Schutzmann wird sie angetraut,
Einem strammen Berliner Schutzmann:
Der macht sich die Schönheit der staatlichen Braut
Und ihre Reize zunutz dann.

O Jungfrau, Jungfrau, an seinem Arm.
Wie würdevoll wirst du wandern;
Es verwechselt dich niemand im Völkerschwarm
Dann leicht mehr mit einer andern.

Wenn dreie recht lieb miteinander sind,
Wird es immer dieselbe Geschichte;
Von dem einen kriegt die Jungfrau ein Kind,
Und von dem anderen kriegt sie Gedichte.

Und wird das Kind dann ein frecher Wicht
Voll bissiger Anekdoten,
Dann wird das elegische Liebesgedicht
Als Urquell des Übels verboten.

 Und das Publikum, das hat den Schaden davon,
Und das Publikum, das d arf sich mopsen;
Es hungert nach Heines Illustration,
Es lechzt nach Hieronymus Jobsen.

Der knurrende, losgerissene Mops,
Die Schildrung des Proletariates,
Die Elegien des Hieronymus Jobs,
Das sind dann die Schäden des Staates.

Und war denn nicht immer der Lieblingssport,
Der Gewaltigen sehnlichste Neigung,
Die Steeplechäse nach dem freien Wort
Und das Schießen auf Überzeugung!?

Es zaubert ein ministerieller Beschluß
Den bösen Geist in die Säue:
Bestraft sei der „Simplicissimus“
Wegen „Mangel an Königstreue“ ,

Wegen „Überreizung der Sinnlichkeit“
Und „Entwürdigung der idealen
Güter des Lebens“ — du liebe Zeit,
Das sind wohl die Nationalliberalen!

Bestraft sei das Witzblatt außerdem
Wegen „Verächtlichmachung
Des Patriotismus“ — er war so bequem
Als ein Mittel zur völligen Verflachung

Der deutschen Jugend. Die Zeit ist dahin
Der Vergötterung von Viktor Scheffel;
Die Jugend von heute bewundert ihn
Nur noch als den göttlichen Söffel.

Bestraft sei durch ministeriellen Erlaß
Der „Beschützer des Proletariates“ !
Wegen „Erregung von Neid und Haß
Unter Angehörigen des Staates“ . -

Verehrte Herren, so wahr ich die Schlacht
Im offenen Felde nicht scheue:
Ich habe mich niemals schuldig gemacht
Der „Überreizung der Königstreue“ .

Die Zeit fliegt rasch und die Welt ist weit,
Hier steh ich und warte geduldig:
Ich bedaure den „Mangel an Sinnlichkeit“
Bei Ihnen. - Ich bin nicht schuldig.

Der „Erregung zum Bierpatriotismus“ laß
Ich nie und nimmer mich zeihen;
Auch der Verächtlichmachung von Zorn und Haß
Unter deutschen denkenden, freien

Staatsbürgern. Es lehrt die Geschichte der Welt
Und die der heutigen Tage:
Das Neue siegt und das Alte fällt;
Es ist immer die nämliche Frage,

Erst die Frage nach Brot, dann die Frage nach Macht;
Das ist nun der ewige Reigen.
Und wenn der Erdball unter uns kracht,
Wer wird sinken und wer wird steigen?

Der amtlich beeidete Schutzmann klagt
Unter seiner Pickelhaube
Über wachsenden Sittenverfall und sagt:
„Nun vorwärts, du alte Schraube!“

Simplicissimus



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