> Gedichte und Zitate für alle: Johann Wolfgang von Goethe: Testament vom 6. Januar 1831. (3)

2020-10-16

Johann Wolfgang von Goethe: Testament vom 6. Januar 1831. (3)

 





GELEITET von dem Wunsche, für meinen Nachlaß—bei der Minderjährigkeit meiner Enkel—die möglichste Fürsorge zu treffen, verordne ich testamentarisch wie folgt:

§ I
Ich ernenne meine drei Enkel Walther, Wolfgang und Alma von Goethe zu meinen Universalerben unter nachstehenden Bestimmungen und Modificationen.

§ 2
Die Verwaltung des ihnen zufallenden Vermögens soll bis zu ihrer Volljährigkeit lediglich ihren—bereits mit meiner Zustimmung ernannten—Vormündern zustehen.

§3
Meine
a) Kunst- und Naturaliensammlungen,
b) Briefsammlungen, Tagebücher, Collectaneen und
c) Bibliothek
stelle ich jedoch unter die besondere Custodie des Großherzogl. Bibliothek-Secretärs Kräuter dahier, dem ich die meisten Schlüssel zu den Behältnissen, worin diese Gegenstände sich befinden, bereits übergeben habe. Dieser Custos soll für Ordnung und Bewahrung derselben, auf dem Grund der vorhandenen Kataloge und Inventarien, Sorge tragen, ganz nach Analogie seiner Verpflichtung bei Großherzogl. Bibliothek, und in Ausübung dieser Pflicht von den Herren Vormündern meiner Enkel unabhängig sein und nur unter Oberaufsicht meines Herrn Testaments -Vollstreckers stehen.

§4
Da ich für das zweckmäßigste halte, wenn sämmtliche oben unter a) bezeichnete Sammlungen, oder doch der größte Theil derselben, an eine öfifentliche Anstalt, und zwar wo möglich an eine Weimarische gegen eine billige Capitalsumme oder Rente veräußert würden, so ersuche
ich für den Fall, daß es mir nicht gelänge, einen Vertrag darüber selbst noch abzuschließen, die Herren Vormünder meiner Enkel, einen solchen alsbald einzuleiten und hinsichtlich
der Werthsbestimmung sich vorzüglich des Beirathes meines alten Freundes, Herrn Hofrath Meyers, zu bedienen. Eine eigentliche Taxe dieser relativ unschätzbaren Gegenstände ist nicht wohl möglich; das Veräußerungs-Quantum bleibe daher, nach abgegebenem Gutachten jenes Freundes und der Vormünder, dem billigen Ermessen der Obervormundschaft überlassen. Würde sich günstige Gelegenheit, die fraglichen Sammlungen an eine öffentliche Anstalt zu veräußern, nicht finden, so sollen sie bis zur Volljährigkeit meiner Enkel aufbewahrt werden,da ich sie nicht einzeln versteigert wünsche.

§5
Der § 3 ernannte Custos soll jährlich ein Honorar von fünfzig Thalern aus meiner Verlassenschaft erhalten. Mindert sich seine Bemühung durch Veräußerung der Kunst-und Naturaliensammlungen, so mindert sich auch von da an sein Honorar um die Hälfte. Ginge Secretär Kräuter von der Custodie ab, so soll mein Herr Testamentsvollstrecker einen andern Custos,unter denselben Bedingungen, ernennen.

§6
Da meine Verhältnisse als Schriftsteller höchst complicirt sind, meine Bezüge zu Verlegern und kritischen Freunden höchst mannichfaltig und verschränkt, sowohl wegen schon herausgegebener als noch herauszugebender Werke, so macht sich eine besondere Verordnung deßhalb nöthig, die ich in einem Codicille dem gegenwärtigen Testamente hinzufügen und gleich demselben befolgt wissen will.

In gedachtem Codicill werden folgende Puncte näher beleuchtet
und aufgeklärt werden:

1. Die vollständige, nunmehr im Druck abgeschlossene Ausgabe meiner Werke in der J.G. Cotta'schen Buchhandlung in 40 Bänden Sedez und Octav betreffend, und zwar

a) das bisher Verhandelte, Abgeschlossene und Abgethane,
b) Bedingungen für die Folge und was dabei zu beobachten,
nicht weniger was sich auf Erlangung der Privilegien
und die dadurch gewonnene Begünstigung bezieht.

2. Vorräthig liegende, vollendete Manuscripte und wieder abzudruckende kleinere und größere Druckschriften.

3. Schillerische  Correspondenz,

a) das bisher Verhandelte und Geleistete,
b) künftige Herausgabe der bei Großherzogl. Regierung
niedergelegten Originalien.

4. Correspondenz mit Herrn Professor Zelter zu Berlin. Von dieser ist vorläufig so viel zu sagen, daß dieselbe nach beiderseitigem Ableben vollständig ausgeboten und abgedruckt werden soll. Die Hälfte der zu erlösenden Summefällt meinen Enkeln zu, die andere Hälfte aber den beiden, zur Zeit unverheiratheten Töchtern meines Freundes Zelter, Doris und Rosamunde Zelter, an welche, oder resp. an ihre Erben, diese Hälfte—wie ich hiermit ausdrücklich verordne—ausgezahlt werden soll und muß, nachdem deren Vater mir das ausschließliche Eigenthum jenes Briefwechsels unter dieser Bedingung überlassen hat.

5. Die oben § 3 lit. b und c gemeldeten Gegenstände sollen bis zur Volljährigkeit meiner beiden männlichen Enkel unveräußert bleiben, es wäre denn, daß ich hierüber noch besonders disponirte.

§7
Mein Wohnhaus und meine Gärten mögen bis zur Volljährigkeit meiner Enkel von ihnen in Gemeinschaft besessen und unveräußert erhalten werden, es sei denn, daß die Umstände eine Veräußerung besonders räthlich oder nothwendig machten, worüber alsdann der Obervormundschafft die Entscheidung anheim gestellt bleibt.

§8
Meine geliebte Schwiegertochter Ottilie, geb. von Pogwisch, soll außer freier Wohnung und Gartengenuß jährlich fünfhundert Thaler Sachs, an Witthum aus meinem Nachlaß erhalten. Überdies soll ihr für jedes meiner Enkel jährlich fünfhundert Thaler Sachs. Alimentations- und Erziehungsgeld bis zur Volljälirigkeit eines jeden, in vierteljährigen Raten, von den Herren Vormündern meiner Enkel ausgezahlt werden. Wenn die akademischen Studien, die Equipirung, die Gesundheits- oder andere außerordentliche Umstände einen besondern Aufwand nöthig oder räthlich machen, so soll, nach billigem Ermessen der Vormünder und resp. der Obervormundschaft, noch außerdem der erforderliche Zuschuß bestimmt und verabreicht werden, und zwar im Verhältniß des durch gute Verwaltung gestiegenen Vermögens meiner Enkel.

§9
Sobald eins meiner Enkel volljährig wird, soll dasselbe, und zwar ein jedes, gehalten sein, seiner Mutter den dritten Theil obigen Alimentations- Quantums, mithin einhundertsechsundsechzig Thaler 16 Gr. Sachs, jährlich auf ihre Lebenszeit fortzuzahlen, damit, wenn einst meine amratlichen Enkel volljährig, gedachter meiner Schwiegertochter gleichwohl jährlich 500 Thlr. Einkommen noch außer ihrem Witthum und ihrer Witwenpension verbleibe.

§10
Sie soll ferner den freien Gebrauch meines Hausmobiliars an Tisch- und Bettzeug, Silber, Küchengeräthe, Schreinzeug und andern Zimmer-Meubles pp bis zur Volljälirigkeit
meiner Enkel haben.

§ 11
Würde meine Schwiegertochter sich wieder vermählen, wie ich jedoch nicht hoffe, so fallen natürlich sowohl das Wittum als der freie Gebrauch des Mobiliars weg; die übrigen zu ihren Gunsten § 8, § 9 und § 12 getroffenen Bestimmungen 4 aber bleiben aufrecht. Nur wenn die Vormünder meiner männlichen Enkel es alsdann aus triftigen, von der Obervormundschaft gebilligten Gründen für unrätlich ansehen sollten, ihr bei einer Wiederverheiratung die Erziehung der Knaben ferner zu überlassen, fiele auch das Alimentationsgeld für solche weg.

§ 12
Wenn meine Enkelin Alma sich vor ihrer Volljährigkeit verehelicht, so hebt die § 9 geordnete Abgabe von jährlich einhundertsechsundsechzig Talern sechzehn Groschen an ihre Mutter für sie schon mit dem Tage ihrer Verheiratung an, und es sollen ihr aus ihrem Vermögen dreitausend Taler sächsisch zur Ausstattung verabfolgt werden, von dem Überrest aber nur die Zinsen, so lange sie nicht volljährig ist.

§ 13
Dem Großherzoglichen Kommissionssekretär Rinaldo Vulpius dahier, der mir meine Vermögensrechnungen schon seit einigen Jahren aufs treuste geführt hat und damit bis auf
weiteres fortfährt, vermache ich zweihundert Taler sächsisch, ferner dem Großherzoglichen Bibliothekskopisten Johann John dahier, ebenfalls in Anerkennung seiner treuen Dienstleistungen,
zweihundert Taler sächsisch und meinem braven Diener Friedrich Krause desgleichen einhundertundfunfzig Taler sächsisch und das Krautland an der Lotte N. 2130 Catastri
, welches ich in hiesiger Flur besitze, vorausgesetzt, daß er bis zu meinem Ableben bei mir bleibt.

§ 14
Ich behalte mir, wie schon oben § 6 bemerkt worden, vor,  über einzelne Gegenstände meines Nachlasses noch besondere Instruktionen und Bestimmungen zu entwerfen, die, wenn
sie von mir unterzeichnet vorgefunden werden, ebenso gültig sein sollen, als wenn sie diesem Testamente einverleibt wären.

§ 15
Dieser mein letzter Wille soll auf jede gedenkbare Weise, sei es als Testament, Kodizill, großväterliche Verordnung und so weiter aufrecht erhalten werden. Und um des Vollzugs desselben in meinem Sinne desto sicherer zu sein, ernenne ich hiermit den Herrn Geheimen Rat und Kanzler Friedrich von Müller dahier zu meinem Testamentsvollstrecker und substituiere ihm für den Fall seines Ablebens seinen Nachfolger in der Kanzlarstelle.

Urkundlich meiner eigenhändigen Unterschrift und Siegels.

Weimar, den 6. Januar 1831.

Johann Wolfgang von Goethe

Gespräche Eckermann

 weiter

Goethe in vertraulichen Briefen seiner Zeitgenossen

Keine Kommentare: